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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
keit im römischen Rechte vor. Ganz unrecht hat er
nicht, denn in der angeführten L 95. § 4. D de
solut.
wird die natürliche Verbindlichkeit vinculum ae-
quitatis
genennt; und daß von einer nicht reprobirten
natürlichen Verbindlichkeit daselbst die Rede sey, erhel-
let daraus, weil in dem angeführten Gesez gesagt wird,
daß sie durch den Vertrag, wodurch der Gläubiger seine
Forderung dem Schuldner erläßt, ipso iure, d. i. so-
fort, und selbst dem strengen Rechte nach, aufgehoben
werde. Allein das Wort aequitas ist im römischen
Rechte mehr bedeutender, als daß die angegebene Erklä-
rung von Billigkeit alles erschöpfen sollte Billigkeit,
wenn diese dem strengen Rechte (iuri summo, stri-
cto, rigori iuris
) entgegengesezt wird, bezeichnet erst-
lich
alles dasjenige, was mit den natürlichen Rechten
übereinstimmt; was hingegen blos positiven oder bürger-
lichen Rechtens ist, wird ius schlechtweg genannt. So
z. B. sagt Ulpian 23): Licet hoc iure contingat,
tamen aequitas dictat etc.
und Paulus 24: haec
aequitas suggerit, etsi iure deficiamur.
Diese Bil-
ligkeit wird im römischen Rechte aequitas naturalis 25),
naturalis ratio 26), officium pietatis 27), auch pu-
dor
28) genennt. Zweitens heißt Billigkeit auch,
was der Sinn eines Gesetzes mir sich bringt, und also
Resultat einer Auslegung ist, wobey die vermuthliche

Ab-
23) L. 32. pr. D. de peculio.
24 L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv. arc.
25) L. 1. D. de minorib.
26) Pr. Inst. de nupt. L. 5. § 16. D. de agnos. liber.
L. 7. §. 7. D. de acquir. rer dom.
und cicero in Topi-
cis
sagt: aequitas est, quod naturalis ratio persuasit.
27) L. 5. §. 17. D. de agnos. et alend. liber.
28) §. 1. l de fideicommiss. hered.
Glücks Erläut. d. Pand. 1. Th. N

de Iuſtitia et Iure.
keit im roͤmiſchen Rechte vor. Ganz unrecht hat er
nicht, denn in der angefuͤhrten L 95. § 4. D de
ſolut.
wird die natuͤrliche Verbindlichkeit vinculum ae-
quitatis
genennt; und daß von einer nicht reprobirten
natuͤrlichen Verbindlichkeit daſelbſt die Rede ſey, erhel-
let daraus, weil in dem angefuͤhrten Geſez geſagt wird,
daß ſie durch den Vertrag, wodurch der Glaͤubiger ſeine
Forderung dem Schuldner erlaͤßt, ipſo iure, d. i. ſo-
fort, und ſelbſt dem ſtrengen Rechte nach, aufgehoben
werde. Allein das Wort aequitas iſt im roͤmiſchen
Rechte mehr bedeutender, als daß die angegebene Erklaͤ-
rung von Billigkeit alles erſchoͤpfen ſollte Billigkeit,
wenn dieſe dem ſtrengen Rechte (iuri ſummo, ſtri-
cto, rigori iuris
) entgegengeſezt wird, bezeichnet erſt-
lich
alles dasjenige, was mit den natuͤrlichen Rechten
uͤbereinſtimmt; was hingegen blos poſitiven oder buͤrger-
lichen Rechtens iſt, wird ius ſchlechtweg genannt. So
z. B. ſagt Ulpian 23): Licet hoc iure contingat,
tamen aequitas dictat etc.
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aequitas ſuggerit, etſi iure deficiamur.
Dieſe Bil-
ligkeit wird im roͤmiſchen Rechte aequitas naturalis 25),
naturalis ratio 26), officium pietatis 27), auch pu-
dor
28) genennt. Zweitens heißt Billigkeit auch,
was der Sinn eines Geſetzes mir ſich bringt, und alſo
Reſultat einer Auslegung iſt, wobey die vermuthliche

Ab-
23) L. 32. pr. D. de peculio.
24 L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv. arc.
25) L. 1. D. de minorib.
26) Pr. Inſt. de nupt. L. 5. § 16. D. de agnoſ. liber.
L. 7. §. 7. D. de acquir. rer dom.
und cicero in Topi-
cis
ſagt: aequitas eſt, quod naturalis ratio perſuaſit.
27) L. 5. §. 17. D. de agnoſ. et alend. liber.
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[193/0213] de Iuſtitia et Iure. keit im roͤmiſchen Rechte vor. Ganz unrecht hat er nicht, denn in der angefuͤhrten L 95. § 4. D de ſolut. wird die natuͤrliche Verbindlichkeit vinculum ae- quitatis genennt; und daß von einer nicht reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit daſelbſt die Rede ſey, erhel- let daraus, weil in dem angefuͤhrten Geſez geſagt wird, daß ſie durch den Vertrag, wodurch der Glaͤubiger ſeine Forderung dem Schuldner erlaͤßt, ipſo iure, d. i. ſo- fort, und ſelbſt dem ſtrengen Rechte nach, aufgehoben werde. Allein das Wort aequitas iſt im roͤmiſchen Rechte mehr bedeutender, als daß die angegebene Erklaͤ- rung von Billigkeit alles erſchoͤpfen ſollte Billigkeit, wenn dieſe dem ſtrengen Rechte (iuri ſummo, ſtri- cto, rigori iuris) entgegengeſezt wird, bezeichnet erſt- lich alles dasjenige, was mit den natuͤrlichen Rechten uͤbereinſtimmt; was hingegen blos poſitiven oder buͤrger- lichen Rechtens iſt, wird ius ſchlechtweg genannt. So z. B. ſagt Ulpian 23): Licet hoc iure contingat, tamen aequitas dictat etc. und Paulus 24: haec aequitas ſuggerit, etſi iure deficiamur. Dieſe Bil- ligkeit wird im roͤmiſchen Rechte aequitas naturalis 25), naturalis ratio 26), officium pietatis 27), auch pu- dor 28) genennt. Zweitens heißt Billigkeit auch, was der Sinn eines Geſetzes mir ſich bringt, und alſo Reſultat einer Auslegung iſt, wobey die vermuthliche Ab- 23) L. 32. pr. D. de peculio. 24 L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv. arc. 25) L. 1. D. de minorib. 26) Pr. Inſt. de nupt. L. 5. § 16. D. de agnoſ. liber. L. 7. §. 7. D. de acquir. rer dom. und cicero in Topi- cis ſagt: aequitas eſt, quod naturalis ratio perſuaſit. 27) L. 5. §. 17. D. de agnoſ. et alend. liber. 28) §. 1. l de fideicommiſſ. hered. Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. N

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/213>, abgerufen am 24.11.2024.