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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
Staats von selbst erkundigen, in welchem er lebt, sol-
te schon aus Gründen des öffentlichen und privat
Wohls, nicht aus Furcht vor der Strafe, die Gesetze des
Staats beobachten; allein daraus folgt nur so viel, daß
eben keine Ungerechtigkeit begangen wird, wenn man jemand
nach Gesetzen richtet, von denen er durch eigene Schuld
nicht gehörige Wissenschaft gehabt hat. Unterdessen
bleibt doch immer jene, wenn gleich verschuldete, Un-
kunde der Gesetze die Hauptursache, daß oft so schwere
Verbrechen dennoch begangen werden, die doch durch
diese Gesetze verhütet werden sollen; und auch das ge-
rechteste Gesez bleibt zu völliger Erreichung seines Ent-
zwecks unwürksam. Wieviel liegt also nicht an einer
sorgfältigern Bekanntmachung der Gesetze? Allein wie
soll man genauere und allgemeinere Kenntniß derselben,
und zwar der Strafgesetze, von denen ich hier vorzüg-
lich rede, verbreiten? Hierüber sind schon mancherley
Vorschläge gethan worden, auf welche mich aber hier
einzulassen, wider meinen Plan ist. Man erlaube mir
iedoch, von den treflichen Bemerkungen, die ich über
diesen Gegenstand in der neuesten Schrift eines berühm-
ten Rechtsgelehrten 24) gelesen habe, hier Gebrauch zu
machen. Dieser sagt, man solle sich in der Schreibart
solcher Strafgesetze mehr nach der Fassungskraft der
niedern Volksclassen und der Nichtiuristen richten. Da-
zu möchte vorzüglich dienen, wenn man von jedem
Strafgesez unter öffentlicher Auctorität einen zweckmä-
sigen Auszug für das Volk machte, mit Vermeidung
alles Kunstmäsigen, und aller feinern Unterscheidungen,
welche bey den Graden der Moralität, und bey der Im-
putation statt finden u. s. w. Man verfertige zu dem

Ende
24) D. Aug. Frid. schott Diss. de ignorantia po-
puli circa poenas, earum vim impediente
.
Lipsiae
1788.

1. Buch. 1. Tit.
Staats von ſelbſt erkundigen, in welchem er lebt, ſol-
te ſchon aus Gruͤnden des oͤffentlichen und privat
Wohls, nicht aus Furcht vor der Strafe, die Geſetze des
Staats beobachten; allein daraus folgt nur ſo viel, daß
eben keine Ungerechtigkeit begangen wird, wenn man jemand
nach Geſetzen richtet, von denen er durch eigene Schuld
nicht gehoͤrige Wiſſenſchaft gehabt hat. Unterdeſſen
bleibt doch immer jene, wenn gleich verſchuldete, Un-
kunde der Geſetze die Haupturſache, daß oft ſo ſchwere
Verbrechen dennoch begangen werden, die doch durch
dieſe Geſetze verhuͤtet werden ſollen; und auch das ge-
rechteſte Geſez bleibt zu voͤlliger Erreichung ſeines Ent-
zwecks unwuͤrkſam. Wieviel liegt alſo nicht an einer
ſorgfaͤltigern Bekanntmachung der Geſetze? Allein wie
ſoll man genauere und allgemeinere Kenntniß derſelben,
und zwar der Strafgeſetze, von denen ich hier vorzuͤg-
lich rede, verbreiten? Hieruͤber ſind ſchon mancherley
Vorſchlaͤge gethan worden, auf welche mich aber hier
einzulaſſen, wider meinen Plan iſt. Man erlaube mir
iedoch, von den treflichen Bemerkungen, die ich uͤber
dieſen Gegenſtand in der neueſten Schrift eines beruͤhm-
ten Rechtsgelehrten 24) geleſen habe, hier Gebrauch zu
machen. Dieſer ſagt, man ſolle ſich in der Schreibart
ſolcher Strafgeſetze mehr nach der Faſſungskraft der
niedern Volksclaſſen und der Nichtiuriſten richten. Da-
zu moͤchte vorzuͤglich dienen, wenn man von jedem
Strafgeſez unter oͤffentlicher Auctoritaͤt einen zweckmaͤ-
ſigen Auszug fuͤr das Volk machte, mit Vermeidung
alles Kunſtmaͤſigen, und aller feinern Unterſcheidungen,
welche bey den Graden der Moralitaͤt, und bey der Im-
putation ſtatt finden u. ſ. w. Man verfertige zu dem

Ende
24) D. Aug. Frid. schott Diſſ. de ignorantia po-
puli circa poenas, earum vim impediente
.
Lipſiae
1788.
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[132/0152] 1. Buch. 1. Tit. Staats von ſelbſt erkundigen, in welchem er lebt, ſol- te ſchon aus Gruͤnden des oͤffentlichen und privat Wohls, nicht aus Furcht vor der Strafe, die Geſetze des Staats beobachten; allein daraus folgt nur ſo viel, daß eben keine Ungerechtigkeit begangen wird, wenn man jemand nach Geſetzen richtet, von denen er durch eigene Schuld nicht gehoͤrige Wiſſenſchaft gehabt hat. Unterdeſſen bleibt doch immer jene, wenn gleich verſchuldete, Un- kunde der Geſetze die Haupturſache, daß oft ſo ſchwere Verbrechen dennoch begangen werden, die doch durch dieſe Geſetze verhuͤtet werden ſollen; und auch das ge- rechteſte Geſez bleibt zu voͤlliger Erreichung ſeines Ent- zwecks unwuͤrkſam. Wieviel liegt alſo nicht an einer ſorgfaͤltigern Bekanntmachung der Geſetze? Allein wie ſoll man genauere und allgemeinere Kenntniß derſelben, und zwar der Strafgeſetze, von denen ich hier vorzuͤg- lich rede, verbreiten? Hieruͤber ſind ſchon mancherley Vorſchlaͤge gethan worden, auf welche mich aber hier einzulaſſen, wider meinen Plan iſt. Man erlaube mir iedoch, von den treflichen Bemerkungen, die ich uͤber dieſen Gegenſtand in der neueſten Schrift eines beruͤhm- ten Rechtsgelehrten 24) geleſen habe, hier Gebrauch zu machen. Dieſer ſagt, man ſolle ſich in der Schreibart ſolcher Strafgeſetze mehr nach der Faſſungskraft der niedern Volksclaſſen und der Nichtiuriſten richten. Da- zu moͤchte vorzuͤglich dienen, wenn man von jedem Strafgeſez unter oͤffentlicher Auctoritaͤt einen zweckmaͤ- ſigen Auszug fuͤr das Volk machte, mit Vermeidung alles Kunſtmaͤſigen, und aller feinern Unterſcheidungen, welche bey den Graden der Moralitaͤt, und bey der Im- putation ſtatt finden u. ſ. w. Man verfertige zu dem Ende 24) D. Aug. Frid. schott Diſſ. de ignorantia po- puli circa poenas, earum vim impediente. Lipſiae 1788.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/152>, abgerufen am 28.11.2024.