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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
alles dasjenige, was im natürlichen Zustande der Menschen
Rechtens ist, es auch in der bürgerlichen Societät seyn
müsse; sodann lasse sich auch unmöglich da eine Aenderung
des Rechts behaupten, wo wegen veränderter Umstände
die Anwendung desselben wegfällt. Da nun die Mit-
glieder eines Staats die Direction ihrer Befugnisse,
worüber sie selbst disponiren können, dem Regenten un-
terworfen haben; und folglich selbst nach dem Naturrechte
schuldig sind, seinen Befehlen zu gehorchen, so sey ersicht-
lich, daß wenn der Regent vermöge dieser ihm übertrage-
nen Direction z. B. gewisse an sich betrachtet nicht uner-
laubte oder ungültige Handlungen und Verträge verbie-
tet, hieraus so wenig eine Aenderung des Naturrechts
herzunehmen seye, daß vielmehr offenbahr ein anderes
Naturgesez zur Anwendung komme, dasjenige nehmlich,
wonach jede an sich erlaubte und rechtsverbindliche Handlung
aufhört, erlaubt und rechtsverbindlich zu seyn, wenn der-
jenige, dessen Willen wir gehorchen müssen, sie unserer
Willkühr entziehet. -- Allein sollte auf solche Art nicht
alles wirklich positive Recht am Ende für natürliches Recht
erkläret werden können? und wo bliebe denn nun der Un-
terschied zwischen dem natürlichen und positiven Rechte?
Es wird also wohl zuletzt immer darauf ankommen, was sich
jeder von Aenderung eines Gesetzes für einen Begrif macht,
und also die ganze Sache auf einen Wortstreit hinaus-
laufen. In folgenden Sätzen kommen jedoch die meisten
Rechtsgelehrte überein. Erstlich daß kein Regent den
Unterthanen solche Rechte entziehen könne, deren sie sich
selbst weder entäussern durften noch konnten, ohne allge-
meine Gesetze der Moral zu verletzen. Z. B. das Recht der
Gewissensfreyheit. Denn es ist ein jezt fast von allen
Lehrern des allgemeinen Staatsrechts anerkannter
Grundsaz: daß die Mitglieder eines Staats
die Direction ihrer freyen Handlungen, ih-

rer

de Iuſtitia et Iure.
alles dasjenige, was im natuͤrlichen Zuſtande der Menſchen
Rechtens iſt, es auch in der buͤrgerlichen Societaͤt ſeyn
muͤſſe; ſodann laſſe ſich auch unmoͤglich da eine Aenderung
des Rechts behaupten, wo wegen veraͤnderter Umſtaͤnde
die Anwendung deſſelben wegfaͤllt. Da nun die Mit-
glieder eines Staats die Direction ihrer Befugniſſe,
woruͤber ſie ſelbſt diſponiren koͤnnen, dem Regenten un-
terworfen haben; und folglich ſelbſt nach dem Naturrechte
ſchuldig ſind, ſeinen Befehlen zu gehorchen, ſo ſey erſicht-
lich, daß wenn der Regent vermoͤge dieſer ihm uͤbertrage-
nen Direction z. B. gewiſſe an ſich betrachtet nicht uner-
laubte oder unguͤltige Handlungen und Vertraͤge verbie-
tet, hieraus ſo wenig eine Aenderung des Naturrechts
herzunehmen ſeye, daß vielmehr offenbahr ein anderes
Naturgeſez zur Anwendung komme, dasjenige nehmlich,
wonach jede an ſich erlaubte und rechtsverbindliche Handlung
aufhoͤrt, erlaubt und rechtsverbindlich zu ſeyn, wenn der-
jenige, deſſen Willen wir gehorchen muͤſſen, ſie unſerer
Willkuͤhr entziehet. — Allein ſollte auf ſolche Art nicht
alles wirklich poſitive Recht am Ende fuͤr natuͤrliches Recht
erklaͤret werden koͤnnen? und wo bliebe denn nun der Un-
terſchied zwiſchen dem natuͤrlichen und poſitiven Rechte?
Es wird alſo wohl zuletzt immer darauf ankommen, was ſich
jeder von Aenderung eines Geſetzes fuͤr einen Begrif macht,
und alſo die ganze Sache auf einen Wortſtreit hinaus-
laufen. In folgenden Saͤtzen kommen jedoch die meiſten
Rechtsgelehrte uͤberein. Erſtlich daß kein Regent den
Unterthanen ſolche Rechte entziehen koͤnne, deren ſie ſich
ſelbſt weder entaͤuſſern durften noch konnten, ohne allge-
meine Geſetze der Moral zu verletzen. Z. B. das Recht der
Gewiſſensfreyheit. Denn es iſt ein jezt faſt von allen
Lehrern des allgemeinen Staatsrechts anerkannter
Grundſaz: daß die Mitglieder eines Staats
die Direction ihrer freyen Handlungen, ih-

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[123/0143] de Iuſtitia et Iure. alles dasjenige, was im natuͤrlichen Zuſtande der Menſchen Rechtens iſt, es auch in der buͤrgerlichen Societaͤt ſeyn muͤſſe; ſodann laſſe ſich auch unmoͤglich da eine Aenderung des Rechts behaupten, wo wegen veraͤnderter Umſtaͤnde die Anwendung deſſelben wegfaͤllt. Da nun die Mit- glieder eines Staats die Direction ihrer Befugniſſe, woruͤber ſie ſelbſt diſponiren koͤnnen, dem Regenten un- terworfen haben; und folglich ſelbſt nach dem Naturrechte ſchuldig ſind, ſeinen Befehlen zu gehorchen, ſo ſey erſicht- lich, daß wenn der Regent vermoͤge dieſer ihm uͤbertrage- nen Direction z. B. gewiſſe an ſich betrachtet nicht uner- laubte oder unguͤltige Handlungen und Vertraͤge verbie- tet, hieraus ſo wenig eine Aenderung des Naturrechts herzunehmen ſeye, daß vielmehr offenbahr ein anderes Naturgeſez zur Anwendung komme, dasjenige nehmlich, wonach jede an ſich erlaubte und rechtsverbindliche Handlung aufhoͤrt, erlaubt und rechtsverbindlich zu ſeyn, wenn der- jenige, deſſen Willen wir gehorchen muͤſſen, ſie unſerer Willkuͤhr entziehet. — Allein ſollte auf ſolche Art nicht alles wirklich poſitive Recht am Ende fuͤr natuͤrliches Recht erklaͤret werden koͤnnen? und wo bliebe denn nun der Un- terſchied zwiſchen dem natuͤrlichen und poſitiven Rechte? Es wird alſo wohl zuletzt immer darauf ankommen, was ſich jeder von Aenderung eines Geſetzes fuͤr einen Begrif macht, und alſo die ganze Sache auf einen Wortſtreit hinaus- laufen. In folgenden Saͤtzen kommen jedoch die meiſten Rechtsgelehrte uͤberein. Erſtlich daß kein Regent den Unterthanen ſolche Rechte entziehen koͤnne, deren ſie ſich ſelbſt weder entaͤuſſern durften noch konnten, ohne allge- meine Geſetze der Moral zu verletzen. Z. B. das Recht der Gewiſſensfreyheit. Denn es iſt ein jezt faſt von allen Lehrern des allgemeinen Staatsrechts anerkannter Grundſaz: daß die Mitglieder eines Staats die Direction ihrer freyen Handlungen, ih- rer

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/143>, abgerufen am 24.11.2024.