Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 1. Tit.
nige Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen; da
es einen Inbegrif von Gesetzen einerley Art anzeigt. In
dieser Bedeutung wird nun ius

1) nach Verschiedenheit des Erkenntnißgrundes in
ius naturale et positivum
eingethellet. Naturrecht
nennen wir den Inbegrif aller derienigen Gesetze, welche,
wie der Apostel sagt, dem Menschen gleichsam ins Herz
geschrieben sind, und daher mittelst der Vernunft aus
der Natur der Dinge und ihren Wirkungen erkannt wer-
den können. Es wird daher auch das Recht der Ver-
nunft
genennet. Hommel 23) nennt es ius mundi
universale,
und er hat nicht ganz unrecht, wenn er
sagt: ivs natvrae est voluntas Dei, non litteris,
sed signis, in universum mundum scriptis, manifestata
.

Positives Recht wird im Gegentheil der Inbegrif
derjenigen Gesetze genennt, welche sich blos allein auf den
erklärten Willen eines Gesezgebers gründen, und also
aus demselben lediglich zu erkennen sind. Z. B. daß ich
das Eigenthum einer fremden Sache binnen einer gewissen
gesezlich bestimmten Zeit usucapire, Weibspersohnen aus
übernommenen Bürgschaften nicht belangt werden können,
Eltern und leibliche Geschwister des Verstorbenen zugleich
erben, ist positiven Rechtens; denn Herz und Vernunft
lehren mir davon nichts. Allein daß ich mein ernstlich
gethanes Versprechen halten, daß ich dem Verkäufer
den bedungenen Kaufschilling bezahlen muß, lehrt schon
das Vernunftrecht. Ganz verschieden war der Be-
grif der alten Römischen Rechtsgelehrten vom Natur,
recht, welches sie vom lure gentium und civili unter-
schieden, wie der folgende §. lehren wird.


§. 11.
23) S. Carl Ferdinand Hommel Diss. Ius mundiuni-
versale
. Lipsiae
1763.

1. Buch. 1. Tit.
nige Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen; da
es einen Inbegrif von Geſetzen einerley Art anzeigt. In
dieſer Bedeutung wird nun ius

1) nach Verſchiedenheit des Erkenntnißgrundes in
ius naturale et poſitivum
eingethellet. Naturrecht
nennen wir den Inbegrif aller derienigen Geſetze, welche,
wie der Apoſtel ſagt, dem Menſchen gleichſam ins Herz
geſchrieben ſind, und daher mittelſt der Vernunft aus
der Natur der Dinge und ihren Wirkungen erkannt wer-
den koͤnnen. Es wird daher auch das Recht der Ver-
nunft
genennet. Hommel 23) nennt es ius mundi
univerſale,
und er hat nicht ganz unrecht, wenn er
ſagt: ivs natvrae eſt voluntas Dei, non litteris,
ſed ſignis, in univerſum mundum ſcriptis, manifeſtata
.

Poſitives Recht wird im Gegentheil der Inbegrif
derjenigen Geſetze genennt, welche ſich blos allein auf den
erklaͤrten Willen eines Geſezgebers gruͤnden, und alſo
aus demſelben lediglich zu erkennen ſind. Z. B. daß ich
das Eigenthum einer fremden Sache binnen einer gewiſſen
geſezlich beſtimmten Zeit uſucapire, Weibsperſohnen aus
uͤbernommenen Buͤrgſchaften nicht belangt werden koͤnnen,
Eltern und leibliche Geſchwiſter des Verſtorbenen zugleich
erben, iſt poſitiven Rechtens; denn Herz und Vernunft
lehren mir davon nichts. Allein daß ich mein ernſtlich
gethanes Verſprechen halten, daß ich dem Verkaͤufer
den bedungenen Kaufſchilling bezahlen muß, lehrt ſchon
das Vernunftrecht. Ganz verſchieden war der Be-
grif der alten Roͤmiſchen Rechtsgelehrten vom Natur,
recht, welches ſie vom lure gentium und civili unter-
ſchieden, wie der folgende §. lehren wird.


§. 11.
23) S. Carl Ferdinand Hommel Diſſ. Ius mundiuni-
verſale
. Lipſiae
1763.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0102" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/>
nige Bedeutung des Worts <hi rendition="#i"><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">ius</hi></hi></hi> zum Grunde legen; da<lb/>
es einen Inbegrif von Ge&#x017F;etzen einerley Art anzeigt. In<lb/>
die&#x017F;er Bedeutung wird nun <hi rendition="#aq">ius</hi></p><lb/>
            <p>1) nach Ver&#x017F;chiedenheit des Erkenntnißgrundes <hi rendition="#aq">in<lb/>
ius naturale et po&#x017F;itivum</hi> eingethellet. <hi rendition="#g">Naturrecht</hi><lb/>
nennen wir den Inbegrif aller derienigen Ge&#x017F;etze, welche,<lb/>
wie der Apo&#x017F;tel &#x017F;agt, dem Men&#x017F;chen gleich&#x017F;am ins Herz<lb/>
ge&#x017F;chrieben &#x017F;ind, und daher mittel&#x017F;t der Vernunft aus<lb/>
der Natur der Dinge und ihren Wirkungen erkannt wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnen. Es wird daher auch das <hi rendition="#g">Recht der Ver-<lb/>
nunft</hi> genennet. <hi rendition="#fr">Hommel</hi> <note place="foot" n="23)">S. <hi rendition="#fr">Carl Ferdinand Hommel</hi> <hi rendition="#aq">Di&#x017F;&#x017F;. <hi rendition="#g">Ius mundiuni-<lb/>
ver&#x017F;ale</hi>. Lip&#x017F;iae</hi> 1763.</note> nennt es <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius mundi<lb/>
univer&#x017F;ale,</hi></hi> und er hat nicht ganz unrecht, wenn er<lb/>
&#x017F;agt: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">ivs natvrae</hi><hi rendition="#i">e&#x017F;t voluntas Dei, non litteris,<lb/>
&#x017F;ed &#x017F;ignis, in univer&#x017F;um mundum &#x017F;criptis, manife&#x017F;tata</hi>.</hi><lb/><hi rendition="#g">Po&#x017F;itives Recht</hi> wird im Gegentheil der Inbegrif<lb/>
derjenigen Ge&#x017F;etze genennt, welche &#x017F;ich blos allein auf den<lb/>
erkla&#x0364;rten Willen eines Ge&#x017F;ezgebers gru&#x0364;nden, und al&#x017F;o<lb/>
aus dem&#x017F;elben lediglich zu erkennen &#x017F;ind. Z. B. daß ich<lb/>
das Eigenthum einer fremden Sache binnen einer gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ge&#x017F;ezlich be&#x017F;timmten Zeit u&#x017F;ucapire, Weibsper&#x017F;ohnen aus<lb/>
u&#x0364;bernommenen Bu&#x0364;rg&#x017F;chaften nicht belangt werden ko&#x0364;nnen,<lb/>
Eltern und leibliche Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter des Ver&#x017F;torbenen zugleich<lb/>
erben, i&#x017F;t <hi rendition="#g">po&#x017F;itiven</hi> Rechtens; denn Herz und Vernunft<lb/>
lehren mir davon nichts. Allein daß ich mein ern&#x017F;tlich<lb/>
gethanes Ver&#x017F;prechen halten, daß ich dem Verka&#x0364;ufer<lb/>
den bedungenen Kauf&#x017F;chilling bezahlen muß, lehrt &#x017F;chon<lb/>
das <hi rendition="#g">Vernunftrecht</hi>. Ganz ver&#x017F;chieden war der Be-<lb/>
grif der alten Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtsgelehrten vom Natur,<lb/>
recht, welches &#x017F;ie vom <hi rendition="#aq">lure gentium</hi> und <hi rendition="#aq">civili</hi> unter-<lb/>
&#x017F;chieden, wie der folgende §. lehren wird.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 11.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0102] 1. Buch. 1. Tit. nige Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen; da es einen Inbegrif von Geſetzen einerley Art anzeigt. In dieſer Bedeutung wird nun ius 1) nach Verſchiedenheit des Erkenntnißgrundes in ius naturale et poſitivum eingethellet. Naturrecht nennen wir den Inbegrif aller derienigen Geſetze, welche, wie der Apoſtel ſagt, dem Menſchen gleichſam ins Herz geſchrieben ſind, und daher mittelſt der Vernunft aus der Natur der Dinge und ihren Wirkungen erkannt wer- den koͤnnen. Es wird daher auch das Recht der Ver- nunft genennet. Hommel 23) nennt es ius mundi univerſale, und er hat nicht ganz unrecht, wenn er ſagt: ivs natvrae eſt voluntas Dei, non litteris, ſed ſignis, in univerſum mundum ſcriptis, manifeſtata. Poſitives Recht wird im Gegentheil der Inbegrif derjenigen Geſetze genennt, welche ſich blos allein auf den erklaͤrten Willen eines Geſezgebers gruͤnden, und alſo aus demſelben lediglich zu erkennen ſind. Z. B. daß ich das Eigenthum einer fremden Sache binnen einer gewiſſen geſezlich beſtimmten Zeit uſucapire, Weibsperſohnen aus uͤbernommenen Buͤrgſchaften nicht belangt werden koͤnnen, Eltern und leibliche Geſchwiſter des Verſtorbenen zugleich erben, iſt poſitiven Rechtens; denn Herz und Vernunft lehren mir davon nichts. Allein daß ich mein ernſtlich gethanes Verſprechen halten, daß ich dem Verkaͤufer den bedungenen Kaufſchilling bezahlen muß, lehrt ſchon das Vernunftrecht. Ganz verſchieden war der Be- grif der alten Roͤmiſchen Rechtsgelehrten vom Natur, recht, welches ſie vom lure gentium und civili unter- ſchieden, wie der folgende §. lehren wird. §. 11. 23) S. Carl Ferdinand Hommel Diſſ. Ius mundiuni- verſale. Lipſiae 1763.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/102
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/102>, abgerufen am 28.11.2024.