Eine Amme hatte das Unglück ein ihrer Wartung anvertrautes Kind in ihrem Bette zu ersticken. Ihr Mann lief zu dem Herrn Janin, einem Wundarzt in Paris, um ihm diesen traurigen Vorfall bekannt zu machen, und es war kein Augenblick zu verliehren, weil die Amme auch die Zeit, da das Kind gestorben war, nicht angeben konnte. Wie der Wundarzt kam, fand er das kleine Schlachtopfer in seiner Wiege, oh- ne einige Zeichen des Lebens, ohne Pulsschlag in den Arterien, ohne Athemholen; das Gesicht war blas- gelb, die Augen offen ohne Bewegung und Glanz, die Nase voller Unreinigkeit, der Mund stand weit offen, kurz, es war ganz erkaltet. Inzwischen, daß etwas leinen Zeug und etwas Asche warm gemacht ward, hatte man es loß gewickelt, und legte es in ein wohl gewärmtes Bett auf die rechte Seite. Darauf wur- de es über den ganzen Körper gerieben, aber mit fei- ner Leinewand, damit die zarte Haut nicht verletzt wer- den möchte. So bald die Asche den gehörigen Grad der Wärme erhalten hatte, begrub Herr Janin das Kind bis ans Gesichte, legte es auf die Seite, welche derjenigen, worauf es vorhin gelegen hatte, entgegen gesetzt war, und deckte es mit einem Oberbette zu. Er hielt ihm ein Glas mit Eau de Luce, welches er von ohngefähr in der Tasche hatte, von Zeit zu Zeit
vor
Merkwuͤrdige Cur eines erſtickten Kindes.
Eine Amme hatte das Ungluͤck ein ihrer Wartung anvertrautes Kind in ihrem Bette zu erſticken. Ihr Mann lief zu dem Herrn Janin, einem Wundarzt in Paris, um ihm dieſen traurigen Vorfall bekannt zu machen, und es war kein Augenblick zu verliehren, weil die Amme auch die Zeit, da das Kind geſtorben war, nicht angeben konnte. Wie der Wundarzt kam, fand er das kleine Schlachtopfer in ſeiner Wiege, oh- ne einige Zeichen des Lebens, ohne Pulsſchlag in den Arterien, ohne Athemholen; das Geſicht war blas- gelb, die Augen offen ohne Bewegung und Glanz, die Naſe voller Unreinigkeit, der Mund ſtand weit offen, kurz, es war ganz erkaltet. Inzwiſchen, daß etwas leinen Zeug und etwas Aſche warm gemacht ward, hatte man es loß gewickelt, und legte es in ein wohl gewaͤrmtes Bett auf die rechte Seite. Darauf wur- de es uͤber den ganzen Koͤrper gerieben, aber mit fei- ner Leinewand, damit die zarte Haut nicht verletzt wer- den moͤchte. So bald die Aſche den gehoͤrigen Grad der Waͤrme erhalten hatte, begrub Herr Janin das Kind bis ans Geſichte, legte es auf die Seite, welche derjenigen, worauf es vorhin gelegen hatte, entgegen geſetzt war, und deckte es mit einem Oberbette zu. Er hielt ihm ein Glas mit Eau de Luce, welches er von ohngefaͤhr in der Taſche hatte, von Zeit zu Zeit
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Merkwuͤrdige Cur
eines
erſtickten Kindes.
Eine Amme hatte das Ungluͤck ein ihrer Wartung
anvertrautes Kind in ihrem Bette zu erſticken. Ihr
Mann lief zu dem Herrn Janin, einem Wundarzt in
Paris, um ihm dieſen traurigen Vorfall bekannt zu
machen, und es war kein Augenblick zu verliehren,
weil die Amme auch die Zeit, da das Kind geſtorben
war, nicht angeben konnte. Wie der Wundarzt kam,
fand er das kleine Schlachtopfer in ſeiner Wiege, oh-
ne einige Zeichen des Lebens, ohne Pulsſchlag in den
Arterien, ohne Athemholen; das Geſicht war blas-
gelb, die Augen offen ohne Bewegung und Glanz,
die Naſe voller Unreinigkeit, der Mund ſtand weit
offen, kurz, es war ganz erkaltet. Inzwiſchen, daß
etwas leinen Zeug und etwas Aſche warm gemacht
ward, hatte man es loß gewickelt, und legte es in ein wohl
gewaͤrmtes Bett auf die rechte Seite. Darauf wur-
de es uͤber den ganzen Koͤrper gerieben, aber mit fei-
ner Leinewand, damit die zarte Haut nicht verletzt wer-
den moͤchte. So bald die Aſche den gehoͤrigen Grad
der Waͤrme erhalten hatte, begrub Herr Janin das
Kind bis ans Geſichte, legte es auf die Seite, welche
derjenigen, worauf es vorhin gelegen hatte, entgegen
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Er hielt ihm ein Glas mit Eau de Luce, welches er
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Gleditsch, Johann Gottlieb: Vermischte botanische und ökonomische Abhandlungen. Bd. 3. Berlin, 1789, S. [144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gleditsch_abhandlungen03_1789/154>, abgerufen am 23.02.2025.
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