Saamen ganz entwickelte Auge hat mit der gan- zen Pflanze eines Krautes gleiche Schicksale, daß es nehmlich nach dem Fruchttragen jedesmahl ganz abstirbet; dahingegen bildet das Mark der beständigen Wurzel eines Staudengewächses jährlich neue Knospen. Die Fortpflanzung und Vermehrung einer solchen Pflanzenart geschiehet also, theils durch die Saamen, theils aus der Wurzel der Mutterpflanze zugleich, da sie bey den Kräutern nur allein aus dem Stamme gesetz- mäßig wird, ob schon der Zufall und Kunst die Vermehrung aus andern Pflanzen, durch den Saa- men von der Natur bewirket.
Hierinnen liegt der wahre Unterschied zwi- schen beyden, dessen Gewißheit und Beständigkeit sich in allen Welttheilen allgemein zeiget, ohne daß man dieses vor Einbildung, oder gar für eine nichts bedeutende Kleinigkeit halten dürfte. Denn hier zeiget sich ein gedoppeltes Vermögen zu der Ver- mehrung und Fortpflanzung solcher Arten, zu- gleich aber dabey eine Dauer, mehrere jährliche Befruchtung aushalten zu können, als die Kräu- ter haben. Man verwechsle also die wahren Um- stände, bey der mit andern aus einem fremden Him- melsstriche behandelten Gewächse nicht, und verstehe sie recht, damit man sich und andere vor Trugschlüs- sen verwahren kann.
Die Entwickelung der Kräuter geschiehet ins- gemein aus ihren Saamen, in einem und eben dem
Jahre
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Saamen ganz entwickelte Auge hat mit der gan- zen Pflanze eines Krautes gleiche Schickſale, daß es nehmlich nach dem Fruchttragen jedesmahl ganz abſtirbet; dahingegen bildet das Mark der beſtaͤndigen Wurzel eines Staudengewaͤchſes jaͤhrlich neue Knospen. Die Fortpflanzung und Vermehrung einer ſolchen Pflanzenart geſchiehet alſo, theils durch die Saamen, theils aus der Wurzel der Mutterpflanze zugleich, da ſie bey den Kraͤutern nur allein aus dem Stamme geſetz- maͤßig wird, ob ſchon der Zufall und Kunſt die Vermehrung aus andern Pflanzen, durch den Saa- men von der Natur bewirket.
Hierinnen liegt der wahre Unterſchied zwi- ſchen beyden, deſſen Gewißheit und Beſtaͤndigkeit ſich in allen Welttheilen allgemein zeiget, ohne daß man dieſes vor Einbildung, oder gar fuͤr eine nichts bedeutende Kleinigkeit halten duͤrfte. Denn hier zeiget ſich ein gedoppeltes Vermoͤgen zu der Ver- mehrung und Fortpflanzung ſolcher Arten, zu- gleich aber dabey eine Dauer, mehrere jaͤhrliche Befruchtung aushalten zu koͤnnen, als die Kraͤu- ter haben. Man verwechsle alſo die wahren Um- ſtaͤnde, bey der mit andern aus einem fremden Him- melsſtriche behandelten Gewaͤchſe nicht, und verſtehe ſie recht, damit man ſich und andere vor Trugſchluͤſ- ſen verwahren kann.
Die Entwickelung der Kraͤuter geſchiehet ins- gemein aus ihren Saamen, in einem und eben dem
Jahre
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Saamen ganz entwickelte Auge hat mit der gan-
zen Pflanze eines Krautes gleiche Schickſale, daß
es nehmlich nach dem Fruchttragen jedesmahl
ganz abſtirbet; dahingegen bildet das Mark
der beſtaͤndigen Wurzel eines Staudengewaͤchſes
jaͤhrlich neue Knospen. Die Fortpflanzung und
Vermehrung einer ſolchen Pflanzenart geſchiehet
alſo, theils durch die Saamen, theils aus der
Wurzel der Mutterpflanze zugleich, da ſie bey
den Kraͤutern nur allein aus dem Stamme geſetz-
maͤßig wird, ob ſchon der Zufall und Kunſt die
Vermehrung aus andern Pflanzen, durch den Saa-
men von der Natur bewirket.
Hierinnen liegt der wahre Unterſchied zwi-
ſchen beyden, deſſen Gewißheit und Beſtaͤndigkeit
ſich in allen Welttheilen allgemein zeiget, ohne daß
man dieſes vor Einbildung, oder gar fuͤr eine nichts
bedeutende Kleinigkeit halten duͤrfte. Denn hier
zeiget ſich ein gedoppeltes Vermoͤgen zu der Ver-
mehrung und Fortpflanzung ſolcher Arten, zu-
gleich aber dabey eine Dauer, mehrere jaͤhrliche
Befruchtung aushalten zu koͤnnen, als die Kraͤu-
ter haben. Man verwechsle alſo die wahren Um-
ſtaͤnde, bey der mit andern aus einem fremden Him-
melsſtriche behandelten Gewaͤchſe nicht, und verſtehe
ſie recht, damit man ſich und andere vor Trugſchluͤſ-
ſen verwahren kann.
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Gleditsch, Johann Gottlieb: Vermischte botanische Abhandlungen. Bd. 1. Berlin, 1789, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gleditsch_abhandlungen01_1789/229>, abgerufen am 23.07.2024.
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