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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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Die Revolutionierung der Gedanken war nicht mehr zurück-
zudrängen. Wenn eine große Wahrheit auch nur von einem
Menschen erkannt worden ist, so kann Niemand ihrer Aus-
breitung Grenzen setzen, oder sie hinter Schloß und Riegel
verwahren. Sie wird aller Fesseln spotten, bis sie die Welt
erobert hat.

Es war in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als ein
armer Buchdrucker in seiner engen Werkstatt zu Boston, die zu-
gleich sein Wohn- und Schlafraum war, mit Hülfe eines einzigen
ebenso armen Freundes die erste Nummer seiner Zeitschrift
"The Liberator" druckte. Dieser Mann war William Lloyd
Garrison, der Apostel der Sklaven-Befreiung. Mit der ganzen
Gewalt einer von heiliger Begeisterung getragenen Sprache ver-
kündete er der Welt die Menschenrechte der Sklaven. Er schil-
derte das Elend dieser armen, zu Lasttieren ihrer christlichen
Herren herabgedrückten Schwarzen, er forderte ihre unverzügliche,
vollständige Befreiung. Und alle Mächte der neuen Welt er-
hoben sich gegen den armen unbekannten Buchdrucker. Die
Prediger des Wortes Christi donnerten von der Kanzel gegen
ihn, die Herrscher des Landes verfolgten ihn, die Presse über-
schüttete ihn mit Hohn und Spott, der Pöbel warf ihn, wo
er sich zeigte, mit Steinen.

Aber der eine Mann mit der Wahrheit im Bunde war
mächtiger, als alle.

Er fand Bundesgenossen, und unter ihnen schwache, unter-
drückte Frauen, in deren Herzen das Bewußtsein ihrer Menschen-
pflichten erwacht war. Noch niemals hatten die Frauen gewagt,
öffentlich aufzutreten und da sie es zum erstenmale thaten,
traten sie nicht für sich selber ein, sondern für die ärmsten, die
verachtetsten ihrer Brüder: die Sklaven.

Drei Frauen, Sara und Angelina Grimke und Abby Kelly,
waren es zuerst, die unter den schwersten Verfolgungen zum
Kampfe für die Menschlichkeit auszogen. Alle Stürme, welche Vor-
urteil, Frömmelei und Herkommen hervorrufen können, wurden
gegen sie entfesselt. Aber durch das Hohnlachen des Pöbels,
den Spott der Presse, den Fluch der Kirche hörten sie das

Die Revolutionierung der Gedanken war nicht mehr zurück-
zudrängen. Wenn eine große Wahrheit auch nur von einem
Menschen erkannt worden ist, so kann Niemand ihrer Aus-
breitung Grenzen setzen, oder sie hinter Schloß und Riegel
verwahren. Sie wird aller Fesseln spotten, bis sie die Welt
erobert hat.

Es war in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als ein
armer Buchdrucker in seiner engen Werkstatt zu Boston, die zu-
gleich sein Wohn- und Schlafraum war, mit Hülfe eines einzigen
ebenso armen Freundes die erste Nummer seiner Zeitschrift
The Liberator‟ druckte. Dieser Mann war William Lloyd
Garrison, der Apostel der Sklaven-Befreiung. Mit der ganzen
Gewalt einer von heiliger Begeisterung getragenen Sprache ver-
kündete er der Welt die Menschenrechte der Sklaven. Er schil-
derte das Elend dieser armen, zu Lasttieren ihrer christlichen
Herren herabgedrückten Schwarzen, er forderte ihre unverzügliche,
vollständige Befreiung. Und alle Mächte der neuen Welt er-
hoben sich gegen den armen unbekannten Buchdrucker. Die
Prediger des Wortes Christi donnerten von der Kanzel gegen
ihn, die Herrscher des Landes verfolgten ihn, die Presse über-
schüttete ihn mit Hohn und Spott, der Pöbel warf ihn, wo
er sich zeigte, mit Steinen.

Aber der eine Mann mit der Wahrheit im Bunde war
mächtiger, als alle.

Er fand Bundesgenossen, und unter ihnen schwache, unter-
drückte Frauen, in deren Herzen das Bewußtsein ihrer Menschen-
pflichten erwacht war. Noch niemals hatten die Frauen gewagt,
öffentlich aufzutreten und da sie es zum erstenmale thaten,
traten sie nicht für sich selber ein, sondern für die ärmsten, die
verachtetsten ihrer Brüder: die Sklaven.

Drei Frauen, Sara und Angelina Grimke und Abby Kelly,
waren es zuerst, die unter den schwersten Verfolgungen zum
Kampfe für die Menschlichkeit auszogen. Alle Stürme, welche Vor-
urteil, Frömmelei und Herkommen hervorrufen können, wurden
gegen sie entfesselt. Aber durch das Hohnlachen des Pöbels,
den Spott der Presse, den Fluch der Kirche hörten sie das

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[7/0008] Die Revolutionierung der Gedanken war nicht mehr zurück- zudrängen. Wenn eine große Wahrheit auch nur von einem Menschen erkannt worden ist, so kann Niemand ihrer Aus- breitung Grenzen setzen, oder sie hinter Schloß und Riegel verwahren. Sie wird aller Fesseln spotten, bis sie die Welt erobert hat. Es war in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als ein armer Buchdrucker in seiner engen Werkstatt zu Boston, die zu- gleich sein Wohn- und Schlafraum war, mit Hülfe eines einzigen ebenso armen Freundes die erste Nummer seiner Zeitschrift „The Liberator‟ druckte. Dieser Mann war William Lloyd Garrison, der Apostel der Sklaven-Befreiung. Mit der ganzen Gewalt einer von heiliger Begeisterung getragenen Sprache ver- kündete er der Welt die Menschenrechte der Sklaven. Er schil- derte das Elend dieser armen, zu Lasttieren ihrer christlichen Herren herabgedrückten Schwarzen, er forderte ihre unverzügliche, vollständige Befreiung. Und alle Mächte der neuen Welt er- hoben sich gegen den armen unbekannten Buchdrucker. Die Prediger des Wortes Christi donnerten von der Kanzel gegen ihn, die Herrscher des Landes verfolgten ihn, die Presse über- schüttete ihn mit Hohn und Spott, der Pöbel warf ihn, wo er sich zeigte, mit Steinen. Aber der eine Mann mit der Wahrheit im Bunde war mächtiger, als alle. Er fand Bundesgenossen, und unter ihnen schwache, unter- drückte Frauen, in deren Herzen das Bewußtsein ihrer Menschen- pflichten erwacht war. Noch niemals hatten die Frauen gewagt, öffentlich aufzutreten und da sie es zum erstenmale thaten, traten sie nicht für sich selber ein, sondern für die ärmsten, die verachtetsten ihrer Brüder: die Sklaven. Drei Frauen, Sara und Angelina Grimke und Abby Kelly, waren es zuerst, die unter den schwersten Verfolgungen zum Kampfe für die Menschlichkeit auszogen. Alle Stürme, welche Vor- urteil, Frömmelei und Herkommen hervorrufen können, wurden gegen sie entfesselt. Aber durch das Hohnlachen des Pöbels, den Spott der Presse, den Fluch der Kirche hörten sie das

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/8>, abgerufen am 23.11.2024.