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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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282
Nummer 55
1742
Vom 1 - 6 Januar:

Am neuen Jahrs-Tage haben wir bey dem Cardinal Tencin und dem König
von Engelland die Gratulationen persönlich abgeleget, welches an beyden Orten
sehr wohl aufgenommen wurde, weil solches a la Francoise und a l'Angloise,
nicht aber a l'Italienne gewöhnlich ist. Denn die Italiäner verrichten
dergleichen Glückwünschungen nur bey den 3 hohen Festen. Bey dem König
fanden wir eine alte Mylaidi, welche die merite hat, daß sie ihrem
ietzo in des Königs Diensten stehenden Mann aus dem Tower in London
geholffen, und zwar denselben Abend, da er des folgenden Tags executiret
werden sollen. Sie hat nehmlich unter dem Praetext von ihm den letzten
Abschied zu nehmen sich etliche Stunden bey ihm im Gefängniß auf-
gehalten, und ist sodenn daselbst in seinen Kleidern zurück geblie-
ben, er hingegen in denen ihrigen herausgegangen, da es sich denn
gefüget, daß er auf dieser seiner Retirade unter eben demselben
Echafot hindurch passiret, auf welchem er des folgenden Tages eine
Spanne kützer gemacht werden sollen. In Gesellschafft sind wir
diese Zeit her gewesen bey denen Cardinälen Tencin und Acquaviva
item bey denen Marchesen Crescenzi und Piccolomini. Bey dem Cardinal
Acquaviva sahen wir zwar den Duc de Castro Pignano, welcher die
nach der Lombardie marschierende Neapolitanischen Truppen commandiret.
Weil er aber sehr geschäfftig und eilig war, und des andern Tages
nach Napoli zurück gehen wolte, so konten wir weder der in
Paris gemachten Bekantschafft ihn erinnern, noch auch die von
dem Neapolitanischen Ambassadeur in Turin an ihn mithabende
Recommendation übergeben. In der Gesellschafft des Cardinals Tencin
ist etwas sehr angenehmes, daß die neuesten gedruckt- und geschrie-
benen Italiänisch= und Frantzösischen Zeitungen iedesmal zum
Dienst der Anwesenden auf einer besondern Tafel parat liegen,
und überhaupt sind diese Cardinals-Conversationes deswegen noch
besonders vor uns bequem, weil dabey gar nicht gespielet; sondern
bloß discouriret wird, alles auch nur 2 Stunden dauret, und Abends
gegen 8 Uhr unsers Zeigers ein Ende hat. Bey dem Cardinal Tencin
sind wir abermal zur Mittags-Tafel gewesen, und waren, außer
dem Malthesischen Ambassadeur, die vornehmsten Mit-Gäste der Graf
Lagnasko, welcher das Chur-Sächschische Interesse hier zu observiren hat, und
en Abbe gekleidet ist, Monsieur: Lepratti des Pabsts Leib-Medicus, ein
gelehrter und geschickter Mann, mit dem der Cardinal ungemein
schön that, und ihn zu verschiedenenmalen bey Gelegenheit embrassirete,
Monsieur Caprara ein junger sehr modest scheinender Praelat, aus
dem künfftig ein Cardinal werden soll, Monsieur Bouchet des Pabsts Capellan
und Haus-Praelat, von Geburt ein Frantzose. Er ist etliche 60 Jahr alt, aber

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Nummer 55
1742
Vom 1 - 6 Januar:

Am neuen Jahrs-Tage haben wir bey dem Cardinal Tencin und dem König
von Engelland die Gratulationen persönlich abgeleget, welches an beyden Orten
sehr wohl aufgenommen wurde, weil solches á la Francoise und á l'Angloise,
nicht aber á l'Italienne gewöhnlich ist. Denn die Italiäner verrichten
dergleichen Glückwünschungen nur bey den 3 hohen Festen. Bey dem König
fanden wir eine alte Mylaidi, welche die merite hat, daß sie ihrem
ietzo in des Königs Diensten stehenden Mann aus dem Tower in London
geholffen, und zwar denselben Abend, da er des folgenden Tags executiret
werden sollen. Sie hat nehmlich unter dem Praetext von ihm den letzten
Abschied zu nehmen sich etliche Stunden bey ihm im Gefängniß auf-
gehalten, und ist sodenn daselbst in seinen Kleidern zurück geblie-
ben, er hingegen in denen ihrigen herausgegangen, da es sich denn
gefüget, daß er auf dieser seiner Retirade unter eben demselben
Echafot hindurch passiret, auf welchem er des folgenden Tages eine
Spanne kützer gemacht werden sollen. In Gesellschafft sind wir
diese Zeit her gewesen bey denen Cardinälen Tencin und Acquaviva
item bey denen Marchesen Crescenzi und Piccolomini. Bey dem Cardinal
Acquaviva sahen wir zwar den Duc de Castro Pignano, welcher die
nach der Lombardie marschierende Neapolitanischen Truppen commandiret.
Weil er aber sehr geschäfftig und eilig war, und des andern Tages
nach Napoli zurück gehen wolte, so konten wir weder der in
Paris gemachten Bekantschafft ihn erinnern, noch auch die von
dem Neapolitanischen Ambassadeur in Turin an ihn mithabende
Recommendation übergeben. In der Gesellschafft des Cardinals Tencin
ist etwas sehr angenehmes, daß die neuesten gedruckt- und geschrie-
benen Italiänisch= und Frantzösischen Zeitungen iedesmal zum
Dienst der Anwesenden auf einer besondern Tafel parat liegen,
und überhaupt sind diese Cardinals-Conversationes deswegen noch
besonders vor uns bequem, weil dabey gar nicht gespielet; sondern
bloß discouriret wird, alles auch nur 2 Stunden dauret, und Abends
gegen 8 Uhr unsers Zeigers ein Ende hat. Bey dem Cardinal Tencin
sind wir abermal zur Mittags-Tafel gewesen, und waren, außer
dem Malthesischen Ambassadeur, die vornehmsten Mit-Gäste der Graf
Lagnasko, welcher das Chur-Sächschische Interesse hier zu observiren hat, und
en Abbé gekleidet ist, Monsieur: Lepratti des Pabsts Leib-Medicus, ein
gelehrter und geschickter Mann, mit dem der Cardinal ungemein
schön that, und ihn zu verschiedenenmalen bey Gelegenheit embrassirete,
Monsieur Caprara ein junger sehr modest scheinender Praelat, aus
dem künfftig ein Cardinal werden soll, Monsieur Bouchet des Pabsts Capellan
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[0578] 282 No 55 1742 Vom 1 - 6 Januar: Am neuen Jahrs-Tage haben wir bey dem Cardinal Tencin und dem König von Engelland die Gratulationen persönlich abgeleget, welches an beyden Orten sehr wohl aufgenommen wurde, weil solches á la Francoise und á l'Angloise, nicht aber á l'Italienne gewöhnlich ist. Denn die Italiäner verrichten dergl: Glückwünschungen nur bey den 3 hohen Festen. Bey dem König fanden wir eine alte Myladi, welche die merite hat, daß sie ihrem ietzo in des Königs Diensten stehenden Mann aus dem Tower in London geholffen, und zwar denselben Abend, da er des folgenden Tags executiret werden sollen. Sie hat nehml: unter dem Praetext von ihm den letzten Abschied zu nehmen sich etliche Stunden bey ihm im Gefängniß auf- gehalten, und ist sodenn daselbst in seinen Kleidern zurück geblie- ben, er hingegen in denen ihrigen herausgegangen, da es sich denn gefüget, daß er auf dieser seiner Retirade unter eben demselben Echafot hindurch passiret, auf welchem er des folgenden Tages eine Spanne kützer gemacht werden sollen. In Gesellschafft sind wir diese Zeit her gewesen bey denen Cardinälen Tencin und Acquaviva item bey denen Marchesen Crescenzi und Piccolomini. Bey dem Cardinal Acquaviva sahen wir zwar den Duc de Castro Pignano, welcher die nach der Lombardie marschierende Neapolitanil: Truppen commandiret. Weil er aber sehr geschäfftig und eilig war, und des andern Tages nach Napoli zurück gehen wolte, so konten wir weder der in Paris gemachten Bekantschafft ihn erinnern, noch auch die von dem Neapolitanischen Ambassadeur in Turin an ihn mithabende Recommendation übergeben. In der Gesellschafft des Cardinals Tencin ist etwas sehr angenehmes, daß die neuesten gedruckt- und geschrie- benen Italiänisch= und Frantzösischen Zeitungen iedesmal zum Dienst der Anwesenden auf einer besondern Tafel parat liegen, und überhaupt sind diese Cardinals-Conversationes deswegen noch besonders vor uns bequem, weil dabey gar nicht gespielet; sondern bloß discouriret wird, alles auch nur 2 Stunden dauret, und Abends gegen 8 Uhr unsers Zeigers ein Ende hat. Bey dem Cardinal Tencin sind wir abermal zur Mittags-Tafel gewesen, und waren, außer dem Malthesischen Ambassadeur, die vornehmsten Mit-Gäste der Graf Lagnasko, welcher das Chur-Sächl: Interesse hier zu observiren hat, und en Abbé gekleidet ist, Mr: Lepratti des Pabsts Leib-Medicus, ein gelehrter und geschickter Mann, mit dem der Cardinal ungemein schön that, und ihn zu verschiedenenmalen bey Gelegenheit embrassirete, Mr: Caprara ein junger sehr modest scheinender Praelat, aus dem künfftig ein Cardinal werden soll, Mr: Bouchet des Pabsts Capellan und Haus-Praelat, von Geburt ein Frantzose. Er ist etliche 60 Jahr alt, aber

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/578>, abgerufen am 30.12.2024.