Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].222 de Carignan, und weil er nicht zu Hause war, zu dem berühmten Marechal deRehbinder, welcher unter diesem Praedicat, bekanntermaßen, chef von dero gantzen armee des Königes ist: Seines 83 jährigen Alters ohngeachtet, gehet er noch gantz gerade, hat gute couleur, und redet frischweg, wie es ihm ums Hertz ist. Wie er denn im letzten Italiaenischen Kriege deswegen aus der Campagne nach Hause geschickt worden, weil er der von seinem König und der Fran- zösichen Generalitaet gemachten disposition allzu frey wiedersprochen, und durchaus Mantua belagern wollen. Er scheinet auch wie wir hin und wieder gemercket, bey vielen nicht beliebt, sondern vielen ehr in dem Verdacht zu seyn, daß er schon ziemlich vadottire, und keine armee mehr commandiren könne. Weil wir ein paar Leute bey ihn antraffen, die sich bey unserer Ankunft re tirirten, so berichtete er uns, daß es Mitglieder von seiner Confrerie du Saint Esprit wären, und rühmte die große Charitaeten, welche aus ihrer Casse gegeben würden. Indeßen wieder beschuldiget, daß er sich deß= Wegen zum Haupt dieser Brüderschafft erwehlen laßen, weil ihm gesagt worden, daß noch keiner in solchem Amt gestorben. Denn da alle 3 Jahr ein neuer Vorsteher erwählet werde, so hoffe er sein Leben dadurch wenigstens auf diese Zeit, oder auch wohl noch weiter zu verlängern, wenn nehmlich die Confrerie nach Verfließung gedachter 3 Jahre, ihn aufs neue erkiesen sollte. Sein meister discours war die Erzehlung seiner ehmaligen Kriegs-expeditionen, und sonderlich, wie er den Marechal de Villars in denen piemontesischen Gebürgen vexiret, weil jener nichts, als die Cavalerie und den Krieg in offenem Felde verstanden, er hingegen den gantz differenten Berg-Krieg in Schweden und Norwegen aus dem Grunde gelernet habe. Wie denn, als die Franzosen im letzten Kriege Freunde, und Villars hier gewesen, er gar offt mit ihm darüber gelachet, und ihm die begangenen Faux pas gezeiget habe. Auf die Oesterreicher schmählete er sehr, daß sie bey ietzigen conjuncturen alles so spät veranstallteten, und das Geld, davor man Pulver und Kugeln kauffen sollte, auf Solennitaeten und Thorheiten verwendeten. Noch übeler war er auf die Teutschen zu sprechen, daß sie das Hauß Österreich dem Burbonischen Preiß gäben. Alle diese Erzehlungen und raisonnements floßen ihm sehr wohl, und haben wir darinnen nichts tottendes, wohl aber eine starcke Frechheit be- mercket. Vor ein paar Jahren hat er eine 18 jährige Demoiselle geheyrathet, und, weil ihn selbst sein Vater erst im 80sten Jahr erzeuget, bey dieser 222 de Carignan, und weil er nicht zu Hause war, zu dem berühmten Marechal deRehbinder, welcher unter diesem Praedicat, bekanntermaßen, chef von dero gantzen armée des Königes ist: Seines 83 jährigen Alters ohngeachtet, gehet er noch gantz gerade, hat gute couleur, und redet frischweg, wie es ihm ums Hertz ist. Wie er denn im letzten Italiaenischen Kriege deswegen aus der Campagne nach Hause geschickt worden, weil er der von seinem König und der Fran- zösichen Generalitaet gemachten disposition allzu frey wiedersprochen, und durchaus Mantua belagern wollen. Er scheinet auch wie wir hin und wieder gemercket, bey vielen nicht beliebt, sondern vielen ehr in dem Verdacht zu seyn, daß er schon ziemlich vadottire, und keine armée mehr commandiren könne. Weil wir ein paar Leute bey ihn antraffen, die sich bey unserer Ankunft re tirirten, so berichtete er uns, daß es Mitglieder von seiner Confrerie du Saint Esprit wären, und rühmte die große Charitaeten, welche aus ihrer Casse gegeben würden. Indeßen wieder beschuldiget, daß er sich deß= Wegen zum Haupt dieser Brüderschafft erwehlen laßen, weil ihm gesagt worden, daß noch keiner in solchem Amt gestorben. Denn da alle 3 Jahr ein neuer Vorsteher erwählet werde, so hoffe er sein Leben dadurch wenigstens auf diese Zeit, oder auch wohl noch weiter zu verlängern, wenn nehmlich die Confrerie nach Verfließung gedachter 3 Jahre, ihn aufs neue erkiesen sollte. Sein meister discours war die Erzehlung seiner ehmaligen Kriegs-expeditionen, und sonderlich, wie er den Marechal de Villars in denen piemontesischen Gebürgen vexiret, weil jener nichts, als die Cavalerie und den Krieg in offenem Felde verstanden, er hingegen den gantz differenten Berg-Krieg in Schweden und Norwegen aus dem Grunde gelernet habe. Wie denn, als die Franzosen im letzten Kriege Freunde, und Villars hier gewesen, er gar offt mit ihm darüber gelachet, und ihm die begangenen Faux pas gezeiget habe. Auf die Oesterreicher schmählete er sehr, daß sie bey ietzigen conjuncturen alles so spät veranstallteten, und das Geld, davor man Pulver und Kugeln kauffen sollte, auf Solennitaeten und Thorheiten verwendeten. Noch übeler war er auf die Teutschen zu sprechen, daß sie das Hauß Österreich dem Burbonischen Preiß gäben. Alle diese Erzehlungen und raisonnements floßen ihm sehr wohl, und haben wir darinnen nichts tottendes, wohl aber eine starcke Frechheit be- mercket. 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de Carignan, und weil er nicht zu Hause war, zu dem berühmten Marechal de
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Hertz ist. Wie er denn im letzten Italiaenischen Kriege deswegen aus der Campagne
nach Hause geschickt worden, weil er der von seinem König und der Fran-
zösichen Generalitaet gemachten disposition allzu frey wiedersprochen, und
durchaus Mantua belagern wollen. Er scheinet auch wie wir hin und wieder
gemercket, bey vielen nicht beliebt, sondern vielen ehr in dem Verdacht zu seyn,
daß er schon ziemlich vadottire, und keine armée mehr commandiren könne.
Weil wir ein paar Leute bey ihn antraffen, die sich bey unserer Ankunft re
tirirten, so berichtete er uns, daß es Mitglieder von seiner Confrerie
du St: Esprit wären, und rühmte die große Charitaeten, welche aus
ihrer Casse gegeben würden. Indeßen wieder beschuldiget, daß er sich deß=
Wegen zum Haupt dieser Brüderschafft erwehlen laßen, weil ihm gesagt
worden, daß noch keiner in solchem Amt gestorben. Denn da alle 3 Jahr
ein neuer Vorsteher erwählet werde, so hoffe er sein Leben dadurch wenigstens
auf diese Zeit, oder auch wohl noch weiter zu verlängern, wenn nehmlich die
Confrerie nach Verfließung gedachter 3 Jahre, ihn aufs neue erkiesen
sollte. Sein meister discours war die Erzehlung seiner ehmaligen
Kriegs-expeditionen, und sonderlich, wie er den Marechal de Villars in
denen piemontesischen Gebürgen vexiret, weil jener nichts, als die
Cavalerie und den Krieg in offenem Felde verstanden, er hingegen den
gantz differenten Berg-Krieg in Schweden und Norwegen aus dem Grunde
gelernet habe. Wie denn, als die Franzosen im letzten Kriege Freunde, und
Villars hier gewesen, er gar offt mit ihm darüber gelachet, und ihm die
begangenen Faux pas gezeiget habe. Auf die Oesterreicher schmählete
er sehr, daß sie bey ietzigen conjuncturen alles so spät veranstallteten,
und das Geld, davor man Pulver und Kugeln kauffen sollte, auf Solennitaeten
und Thorheiten verwendeten. Noch übeler war er auf die Teutschen zu
sprechen, daß sie das Hauß Österreich dem Burbonischen Preiß gäben.
Alle diese Erzehlungen und raisonnements floßen ihm sehr wohl, und
haben wir darinnen nichts tottendes, wohl aber eine starcke Frechheit be-
mercket. Vor ein paar Jahren hat er eine 18 jährige Demoiselle geheyrathet,
und, weil ihn selbst sein Vater erst im 80sten Jahr erzeuget, bey dieser
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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