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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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15.
Den 12 November

Früh gegen 9 Uhr begaben wir uns in Gesellschaft des Herrn von Uffel auf
das Palais, um die große Ceremonie der sogenannten Messe rouge mit anzu-
sehen, welche bey Widereröffnung des Parlaments nach denen Ferien, alle
Jahr auf diesen Tag gehalten wird, weil aber diese Solennitaet in denen
ehemaligen Diariis genugsam beschrieben worden, so will man ietzo nur
noch folgende Umstände Suppliren. Wenn die Praesidenten mit ihren
ehemals beschriebenen gantz außerordentlichen und häuffigen Reverenzen
fertig sind, so gehen sie mit allen Parlaments-Räthen, Mann vor Mann,
zum Opfer, welches also geschiehet, daß der Meße haltende Bischoff, welcher dieses mal
Monsieur Fenelon, Eveque de Senlis war, auf einem Lehn-Stuhl unten vor
denen Stuffen des Altars sitzet, und ein Küßen zu seinen Füßen liegen
hat, auf welches ein iedweder mit beyden Knien fällt, die mit einem Hand-
schuh überzogene Hand des Bischofs küßet, und dagegen von ihm die Benediction
empfängt, sodann seine Gabe in ein silbernes Becken, welches von einem
neben dem Bischoff stehenden Priester gehalten wird, hineingeleget, und endlich
mit 2 bis 3 Reverenzen seinen Rückweg nimmt. Der Premier President ist
an seiner Kleidung von denen übrigen Presidents a mortier darinn unter-
schieden, daß er um seinen runden Hut oder Mütze 2 übereinander ge-
setzte goldene Galonen führet, da die andern davon nur eine haben: Unter
denen Parlaments-Räthen sind viel junge Leute, welches gröstentheils von der
hier eingeführten Verkauffung aller Chargen herrühret. Man muß bey die-
ser Solennitaet die Sitze theuer bezahlen, hat hingegen den Vortheil, daß man,
weil die Stühle auf denen aufgerichteten Bühnen sehr enge beysammen
stehen, wegen des Niederfallens, keiner Gefahr exponiret ist. Wiewohl,
weil wes bereits gegen 1 Uhr war, wir die Elevation nicht abwarteten,
sondern, nachdem wir uns fast 4 Stunden bey diesem Jüdischen Cere-
monial-Wesen ennagiret hatten, unsern Weg nach dem Hotel des Car-
dinals Polignac nahmen, jedoch den Herrn von Uffel en passant bey seinem
Quartier absetzten. Doch ist der seine lateinische vers, welcher auf
dem großen Saal des Palais unter der Uhr geschrieben stehet, noch bey-
zubringen: alma regit Themis mores, ut pendula horas. Wir
wurden von dem Cardinal in seinem Cabinet von mancherley Materien
unterhalten, und als von der Devotion des verstorbenen Kaysers gesprochen
wurde, sagte er zu Illmo gantz leise: qu' il y avoit deffus des difficultes
afaire, par exemple: le sen Empereur avoit entrainer dans la derniere
guerre avec la france les Etats de l'Empire, contre leur volonte; qu'il
avoit fait la paix sans eux, et que meme il ne leurs avoit pas
communique le traite qu' apres deux ans. Tout cela etoit contraire a ses
obligations. Il etoit donc a decider, si, non obstant cela, on pouvoit etre
veritablement devot. Es wurde auch von der Zeitung gesprochen, daß etliche
Frantzösische Regiementer, mit Genehmhaltung des Churfürsten, in das
Trierische eingerücket seyn solten, unter dem Praetext, die dortige überflüßige
Fourage an den Mann zu bringen, welches doch der Cardinal um so vielmehr

15.
Den 12 November

Früh gegen 9 Uhr begaben wir uns in Gesellschaft des Herrn von Uffel auf
das Palais, um die große Ceremonie der sogenannten Messe rouge mit anzu-
sehen, welche bey Widereröffnung des Parlaments nach denen Ferien, alle
Jahr auf diesen Tag gehalten wird, weil aber diese Solennitaet in denen
ehemaligen Diariis genugsam beschrieben worden, so will man ietzo nur
noch folgende Umstände Suppliren. Wenn die Praesidenten mit ihren
ehemals beschriebenen gantz außerordentlichen und häuffigen Reverenzen
fertig sind, so gehen sie mit allen Parlaments-Räthen, Mann vor Mann,
zum Opfer, welches also geschiehet, daß der Meße haltende Bischoff, welcher dieses mal
Monsieur Fenelon, Evêque de Senlis war, auf einem Lehn-Stuhl unten vor
denen Stuffen des Altars sitzet, und ein Küßen zu seinen Füßen liegen
hat, auf welches ein iedweder mit beyden Knien fällt, die mit einem Hand-
schuh überzogene Hand des Bischofs küßet, und dagegen von ihm die Benediction
empfängt, sodann seine Gabe in ein silbernes Becken, welches von einem
neben dem Bischoff stehenden Priester gehalten wird, hineingeleget, und endlich
mit 2 bis 3 Reverenzen seinen Rückweg nimmt. Der Premier President ist
an seiner Kleidung von denen übrigen Presidents â mortier darinn unter-
schieden, daß er um seinen runden Hut oder Mütze 2 übereinander ge-
setzte goldene Galonen führet, da die andern davon nur eine haben: Unter
denen Parlaments-Räthen sind viel junge Leute, welches gröstentheils von der
hier eingeführten Verkauffung aller Chargen herrühret. Man muß bey die-
ser Solennitaet die Sitze theuer bezahlen, hat hingegen den Vortheil, daß man,
weil die Stühle auf denen aufgerichteten Bühnen sehr enge beysammen
stehen, wegen des Niederfallens, keiner Gefahr exponiret ist. Wiewohl,
weil wes bereits gegen 1 Uhr war, wir die Elevation nicht abwarteten,
sondern, nachdem wir uns fast 4 Stunden bey diesem Jüdischen Cere-
monial-Wesen ennagiret hatten, unsern Weg nach dem Hôtel des Car-
dinals Polignac nahmen, jedoch den Herrn von Uffel en passant bey seinem
Quartier absetzten. Doch ist der seine lateinische vers, welcher auf
dem großen Saal des Palais unter der Uhr geschrieben stehet, noch bey-
zubringen: alma regit Themis mores, ut pendula horas. Wir
wurden von dem Cardinal in seinem Cabinet von mancherley Materien
unterhalten, und als von der Devotion des verstorbenen Kaysers gesprochen
wurde, sagte er zu Illmo gantz leise: qu‘ il y avoit deffus des difficultes
afaire, par exemple: le sen Empereur avoit entrainer dans la derniére
guerre avec la france les Etats de l’Empire, contre leur volonté; qu’il
avoit fait la paix sans eux, et que même il ne leurs avoit pas
communiqué le traité qu‘ apres deux ans. Tout cela etoit contraire a ses
obligations. Il étoit donc à decider, si, non obstant cela, on pouvoit être
veritablement devot. Es wurde auch von der Zeitung gesprochen, daß etliche
Frantzösische Regiementer, mit Genehmhaltung des Churfürsten, in das
Trierische eingerücket seyn solten, unter dem Praetext, die dortige überflüßige
Fourage an den Mann zu bringen, welches doch der Cardinal um so vielmehr

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/40>, abgerufen am 21.12.2024.