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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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als er in Coppenhagen gewesen, und sich zur selben Zeit viele theils gute, theils
vermischte Bewegungen, daselbst geäußert. (3) Bey Gelegenheit der Materie vom
erbaulichen predigen ließ er mit einfließen, daß der hier bekante Jesuite Pater Neuville
in seinen Predigten ungemeinen Zulauff habe, weiter aber nichts, als floride Aus-
drücke und Sententien predige, daher auch einige verständige Frantzosen sich selbst über
ihn moquiret und gesaget: il fait parler Jesus Christ et ses apostres sur le ton de la bon
compagnie. Eine gewiße Dame aber, welche ihn auch gehöret, solle gesprochen haben:
j'aime cela mieux qau un Sermon, wie denn er Herr Petersen selbst eine solche Predigt ge-
höret, welche anders nicht als ein Discours in der academie de belles lettres geklungen.
Gegen mittags gab der hier sich aufhaltende regierende Fürst von Naßau-Weilenburg, Illmo
die Visite, war sehr freundlich und höflich und sprach von denen hiesigen Umständen
sonderlich aber von denen Spielen, unter welchen allen er das Faron vor das sicherste
hielt, weil man nicht obligiret wäre zu continuiren: nur müste man so viel
Herr über sich seyn, daß man bey erfolgendem Verlust aufhörte; er vor seine
Person aber hätte diese Gnade von Gott nicht empfangen, über welchen Aus-
druck Herr Petersen die Reflexion machte, daß es dem unbekehrten Menschen gantz
gewöhnlich sey, die Schuld seiner Unarten auf Gott zu schieben. Es hat dieser Fürst
mit 20 Pferden und vielen Leuten nunmehro 3/4 Jahr allhier gelegen und
große Depenses gemacht, sonderlich aber im Spiel, wie er auch selbst erzehlte
3000 Pistolen, welches 30000 Livres sind, verlohren, in Herr Petersens Armen-Anstalt
aber keinen Heller gegeben, auch keine Kirche, so lange er hier ist, besuchet. Wie
denn die Frantzosen selbst mit ihm nicht zu frieden sind, und von seiner Haus-
haltung urtheilen, qu'il auroit pu faire tant des depenses avec plus d'honeur. Nach-
mittags fuhren wir bey die Marquise de Montbrun, weil sie heute vom Lande
herein kommen, trafen dieselbe aber nicht zu Hause an, und verfügten uns denn
zum Abbe Ferrus, welcher denn das Reinbeckische Buch de redemtione per lytra
darinn er täglich fort lieset, nicht gnug zu rühmen wuste. Von der ungemeinen
Seelen-Gefahr großer Herrn in dieser Welt, redete er sehr erbaulich, und gedachte
beyläuffig, daß nach der Schlacht bey Höchststädt an Ludwig XIV Statue a la place de victoria
woselbst die Victorie dem König einen Lorbeer-Crantz schwebend über dem Kopf
hält, ein satyrischer Zettel mit folgender Schrift angeklebet worden: tollitne
ponitne?
item erzehlte er, daß von des gedachten Königs Beicht Vater Pater dela
Chaise jemand gesaget: je scais ce que deviendra le pere confesseur dans l'autre
monde, mais je vondrois scavoir ce que sera le confesseur du confesseur, anzuzeigen
daß dieser letztere einen gantz umbegreiflichen Grad der Verdamniß haben
würde, weil er seinem Beicht-VaterKinde, dem dela Chaise, das Gewißen nicht regen gemacht, und
dadurch deßen großen Indulgenz gegen den König veranlaßet. Zum Be-
weiß der frantzösischen Prahlerey können folgende zwey Überschriften dienen, welche
wir bey dem heutigen Ausfahren wahr genommen, da nehmlich über einem
Seiffensieder-Laden geschrieben stund: manufacture des chandelles, und über
einer Boutique, darinn man Eßig verkaufte: marchand de vinaigre du Roi

Den 28 October

Ist dem Fürst von Naßau contre Visite gegeben worden, der aber nicht zu Hause
gewesen. Herr Petersens heutiger Besuch gab Gelegenheit zu vielen guten und
erbaulichen Gesprächen. Unter andern erzehlte er, zum Beweiß wie die bösen
Menschen, zu Beruhigung ihres Gewißens, sich gantz falsche Systemata zu machen
pflegten, daß er in Hollstein bey einem Prediger auf dem Lande gewesen

als er in Coppenhagen gewesen, und sich zur selben Zeit viele theils gute, theils
vermischte Bewegungen, daselbst geäußert. (3) Bey Gelegenheit der Materie vom
erbaulichen predigen ließ er mit einfließen, daß der hier bekante Jesuite Pater Neuville
in seinen Predigten ungemeinen Zulauff habe, weiter aber nichts, als floride Aus-
drücke und Sententien predige, daher auch einige verständige Frantzosen sich selbst über
ihn moquiret und gesaget: il fait parler Jesus Christ et ses apostres sur le ton de la bon
compagnie. Eine gewiße Dame aber, welche ihn auch gehöret, solle gesprochen haben:
j’aime cela mieux qû un Sermon, wie denn er Herr Petersen selbst eine solche Predigt ge-
höret, welche anders nicht als ein Discours in der academie de belles lettres geklungen.
Gegen mittags gab der hier sich aufhaltende regierende Fürst von Naßau-Weilenburg, Illmo
die Visite, war sehr freundlich und höflich und sprach von denen hiesigen Umständen
sonderlich aber von denen Spielen, unter welchen allen er das Faron vor das sicherste
hielt, weil man nicht obligiret wäre zu continuiren: nur müste man so viel
Herr über sich seyn, daß man bey erfolgendem Verlust aufhörte; er vor seine
Person aber hätte diese Gnade von Gott nicht empfangen, über welchen Aus-
druck Herr Petersen die Reflexion machte, daß es dem unbekehrten Menschen gantz
gewöhnlich sey, die Schuld seiner Unarten auf Gott zu schieben. Es hat dieser Fürst
mit 20 Pferden und vielen Leuten nunmehro ¾ Jahr allhier gelegen und
große Depenses gemacht, sonderlich aber im Spiel, wie er auch selbst erzehlte
3000 Pistolen, welches 30000 Livres sind, verlohren, in Herr Petersens Armen-Anstalt
aber keinen Heller gegeben, auch keine Kirche, so lange er hier ist, besuchet. Wie
denn die Frantzosen selbst mit ihm nicht zu frieden sind, und von seiner Haus-
haltung urtheilen, qu’il auroit pu faire tant des depenses avec plus d’honeur. Nach-
mittags fuhren wir bey die Marquise de Montbrun, weil sie heute vom Lande
herein kommen, trafen dieselbe aber nicht zu Hause an, und verfügten uns denn
zum Abbé Ferrus, welcher denn das Reinbeckische Buch de redemtione per lytra
darinn er täglich fort lieset, nicht gnug zu rühmen wuste. Von der ungemeinen
Seelen-Gefahr großer Herrn in dieser Welt, redete er sehr erbaulich, und gedachte
beyläuffig, daß nach der Schlacht bey Höchststädt an Ludwig XIV Statue a la place de victoria
woselbst die Victorie dem König einen Lorbeer-Crantz schwebend über dem Kopf
hält, ein satyrischer Zettel mit folgender Schrift angeklebet worden: tollitne
ponitne?
item erzehlte er, daß von des gedachten Königs Beicht Vater Pater dela
Chaise jemand gesaget: je scais ce que deviendra le pere confesseur dans l’autre
monde, mais je vondrois scavoir ce que sera le confesseur du confesseur, anzuzeigen
daß dieser letztere einen gantz umbegreiflichen Grad der Verdamniß haben
würde, weil er seinem Beicht-VaterKinde, dem dela Chaise, das Gewißen nicht regen gemacht, und
dadurch deßen großen Indulgenz gegen den König veranlaßet. Zum Be-
weiß der frantzösischen Prahlerey können folgende zwey Überschriften dienen, welche
wir bey dem heutigen Ausfahren wahr genommen, da nehmlich über einem
Seiffensieder-Laden geschrieben stund: manufacture des chandelles, und über
einer Boutique, darinn man Eßig verkaufte: marchand de vinaigre du Roi

Den 28 October

Ist dem Fürst von Naßau contre Visite gegeben worden, der aber nicht zu Hause
gewesen. Herr Petersens heutiger Besuch gab Gelegenheit zu vielen guten und
erbaulichen Gesprächen. Unter andern erzehlte er, zum Beweiß wie die bösen
Menschen, zu Beruhigung ihres Gewißens, sich gantz falsche Systemata zu machen
pflegten, daß er in Hollstein bey einem Prediger auf dem Lande gewesen

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/27>, abgerufen am 21.11.2024.