Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].123 Sonnen-Uhr, welche in Form eines runden Tisches horizontalstehet, und so eingerichtet ist, daß man darauf sehen kan, nicht nur welche Stunde und minute es in Paris, sondern auch zu eben der Zeit an denen Haupt-Orten in allen 4 Theilen der Welt sey. Nach geendeter promenade passireten wir wiederum durch obgedachtes Cabinet zu dem Comte d'Evreux in sein Zimmer, da er sich indeßen angezogen hatte, mit uns bey das camin setzte, und von Staats-Sachen discourirte. Den arrest des Cardinals von Sinzendorff erkannte er vor rechtmäßig, meinte auch, etwas von Schlesien würde der König in Preußen wohl eben so gewiß bekommen, als Franckreich die Festung Luxenburg, mit deren Schleifung man sich doch vielleicht auch wohl dürfte begnügen laßen. Wir nahmen von hier unsern Weg nach Monsieur de Fontenelle. Er rühmte die teutsche nation wegen ihrer solidi- taet und Fähigkeit, und führete die vielen von derselben herrüh- renden Erfindungen, als Buchdruckerey, Pulver, Luft-Pumpe perge zum Beweiß an. Von der teutschen Sprache, deren unter- schiedenen dialectis, von deren teutschen Gesellschaften zu Leipzig und anderwärts, auch von dem Professor Gottsched, nach welchem er fragte, wurde ihm nähere Nachricht gegeben. An der Historie de l'academie des Sciences arbeitet er noch, und genießet die 6000 Livre tournois pension, welche er als Secretaire de l'academie vom König gehabt, auf Lebens-Zeit, hat auch eben so viel eigenthümliche Renthen, daß er also sehr wohl und manierlich leben kan. In einem von seinen Vor-Zimmern hengen die Original-portraits von Cartesio und Malherbe. Endlich besuchten wir noch vor der Tafel den Heßischen Mi- nister Herr von Böhmer, besahen sein sehr commode und artig eingerichtetes apartement, und musten ihm von dem in teutschen documentis bey Anführung einer Jahr-Zahl oft vorkommenden Ausdruck: der mindern Zahl, Unterricht geben, weil er von einem Frantzösischen Herrn, der zu seinem amusement die vornehmsten teutschen Reichs-Ge- setze in das frantzösische vertiret, darüber consuliret und beredet worden, gedachter Ausdruck heiße so viel, als nach dem neuen Stilo. Nachmittags besahen wir die hiesigen Haupt-Kirche de Notre Dame, und besonders das Chor, wie solches von Louis XIV, dem gethanen Gelübde seines Vaters zu Folge, durch Aufwendung etlicher Millionen in einen höchst magnifiquen Stand gesetzet worden, wovon eine um- ständliche Nachricht zu geben, bey so vielen vorhadenen Kupfer-Stichen 123 Sonnen-Uhr, welche in Form eines runden Tisches horizontalstehet, und so eingerichtet ist, daß man darauf sehen kan, nicht nur welche Stunde und minute es in Paris, sondern auch zu eben der Zeit an denen Haupt-Orten in allen 4 Theilen der Welt sey. Nach geendeter promenade passireten wir wiederum durch obgedachtes Cabinet zu dem Comte d’Evreux in sein Zimmer, da er sich indeßen angezogen hatte, mit uns bey das camin setzte, und von Staats-Sachen discourirte. Den arrest des Cardinals von Sinzendorff erkannte er vor rechtmäßig, meinte auch, etwas von Schlesien würde der König in Preußen wohl eben so gewiß bekommen, als Franckreich die Festung Luxenburg, mit deren Schleifung man sich doch vielleicht auch wohl dürfte begnügen laßen. Wir nahmen von hier unsern Weg nach Monsieur de Fontenelle. Er rühmte die teutsche nation wegen ihrer solidi- taet und Fähigkeit, und führete die vielen von derselben herrüh- renden Erfindungen, als Buchdruckerey, Pulver, Luft-Pumpe perge zum Beweiß an. Von der teutschen Sprache, deren unter- schiedenen dialectis, von deren teutschen Gesellschaften zu Leipzig und anderwärts, auch von dem Professor Gottsched, nach welchem er fragte, wurde ihm nähere Nachricht gegeben. An der Historie de l’academie des Sciences arbeitet er noch, und genießet die 6000 Livre tournois pension, welche er als Secretaire de l’academie vom König gehabt, auf Lebens-Zeit, hat auch eben so viel eigenthümliche Renthen, daß er also sehr wohl und manierlich leben kan. In einem von seinen Vor-Zimmern hengen die Original-portraits von Cartesio und Malherbe. Endlich besuchten wir noch vor der Tafel den Heßischen Mi- nister Herr von Böhmer, besahen sein sehr commode und artig eingerichtetes apartement, und musten ihm von dem in teutschen documentis bey Anführung einer Jahr-Zahl oft vorkommenden Ausdruck: der mindern Zahl, Unterricht geben, weil er von einem Frantzösischen Herrn, der zu seinem amusement die vornehmsten teutschen Reichs-Ge- setze in das frantzösische vertiret, darüber consuliret und beredet worden, gedachter Ausdruck heiße so viel, als nach dem neuen Stilo. Nachmittags besahen wir die hiesigen Haupt-Kirche de Nôtre Dame, und besonders das Chor, wie solches von Louis XIV, dem gethanen Gelübde seines Vaters zu Folge, durch Aufwendung etlicher Millionen in einen höchst magnifiquen Stand gesetzet worden, wovon eine um- ständliche Nachricht zu geben, bey so vielen vorhadenen Kupfer-Stichen <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0260"/><fw type="folNum" place="top">123</fw><lb/> Sonnen-Uhr, welche in Form eines runden Tisches horizontal<lb/> stehet, und so eingerichtet ist, daß man darauf sehen kan, nicht<lb/> nur welche Stunde und minute es in <placeName xml:id="TidB13429" corresp="register.xml#regID_66.lemID_10004" ref="http://d-nb.info/gnd/4044660-8">Paris,</placeName> sondern auch<lb/> zu eben der Zeit an denen Haupt-Orten in allen 4 Theilen der<lb/> Welt sey. 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123
Sonnen-Uhr, welche in Form eines runden Tisches horizontal
stehet, und so eingerichtet ist, daß man darauf sehen kan, nicht
nur welche Stunde und minute es in Paris, sondern auch
zu eben der Zeit an denen Haupt-Orten in allen 4 Theilen der
Welt sey. Nach geendeter promenade passireten wir wiederum
durch obgedachtes Cabinet zu dem Comte d’Evreux in sein Zimmer,
da er sich indeßen angezogen hatte, mit uns bey das camin setzte,
und von Staats-Sachen discourirte. Den arrest des Cardinals
von Sinzendorff erkannte er vor rechtmäßig, meinte auch, etwas
von Schlesien würde der König in Preußen wohl eben so gewiß
bekommen, als Franckreich die Festung Luxenburg, mit deren
Schleifung man sich doch vielleicht auch wohl dürfte begnügen
laßen. Wir nahmen von hier unsern Weg nach Mr: de
Fontenelle. Er rühmte die teutsche nation wegen ihrer solidi-
taet und Fähigkeit, und führete die vielen von derselben herrüh-
renden Erfindungen, als Buchdruckerey, Pulver, Luft-Pumpe p
zum Beweiß an. Von der teutschen Sprache, deren unter-
schiedenen dialectis, von deren teutschen Gesellschaften zu
Leipzig und anderwärts, auch von dem Prof. Gottsched, nach
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und genießet die 6000 Lv pension, welche er als Secretaire de
l’academie vom König gehabt, auf Lebens-Zeit, hat auch eben
so viel eigenthümliche Renthen, daß er also sehr wohl und
manierlich leben kan. In einem von seinen Vor-Zimmern
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Endlich besuchten wir noch vor der Tafel den Heßischen Mi-
nister H. von Böhmer, besahen sein sehr commode und artig
eingerichtetes apartement, und musten ihm von dem
in teutschen documentis bey Anführung einer Jahr-Zahl
oft vorkommenden Ausdruck: der mindern Zahl, Unterricht
geben, weil er von einem Frantzösischen Herrn, der zu
seinem amusement die vornehmsten teutschen Reichs-Ge-
setze in das frantzösische vertiret, darüber consuliret und
beredet worden, gedachter Ausdruck heiße so viel, als nach
dem neuen Stilo. Nachmittags besahen wir die hiesigen
Haupt-Kirche de Nôtre Dame, und besonders das Chor, wie
solches von Louis XIV, dem gethanen Gelübde seines Vaters
zu Folge, durch Aufwendung etlicher Millionen in einen
höchst magnifiquen Stand gesetzet worden, wovon eine um-
ständliche Nachricht zu geben, bey so vielen vorhadenen Kupfer-Stichen
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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