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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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abgelesen, und darinn die Cartesianische Meinung, daß
die Seele ihren eigentlichen Sitz in der glandula pineali
habe, auch aus seiner chirurgischen Erfahrung refutiret.
Da ihm nehmlich am Kopf blessirte Leute unter die Hände ge-
kommen, denen die gedachte glandula zerquetscht gewesen,
und er also solche, nach vorheriger trepanation, heraus nehmen
müßen, davon die Leute aber weder verrückt worden, noch
vielweniger gestorben. Daß auch im Gehirn die Seele
nicht wohnen könne, solches habe er damit erwiesen, weil
er blessirte patienten gehabt, denen er etwas von Gehirn,
wie auch von der pia und dura matre heraus zu nehmen
genötiget gewesen, die gleichwol glücklich curiret worden.
Ja er habe angeführet, daß schon zu Zeiten des Louis XIV
dergleichen operation an dem bekanten Duc de Feuillade
geschehen, der so voller bons mots gewesen, daß, als
man ihm bey dieser Operation das Gehirn gewiesen,
welches mit einem Löffelgen aus seinem Kopf ge-
nommen worden, er zu denen Umstehenden gesaget,
montrez le au Roi, cas il dit toujours, que je
huis un ecerve[lle]. Monsieur de la Peronnie habe darauf
seine Vermuthung hin zu gethan, daß nehmlich der
Sitz der Seele wohl in dem Corpore Calloso seyn
möchte, welches zwischen dem nervo optico und
acustico hinter der Stirne liege, weil er bey denen
in dieser Gegend verwundeten Patienten wahrgenommen,
daß, wenn er etwas eingesprützet, so gedachtes corpus
callosum afficiret hätte, sie so fort alle mercklichen Motus vi-
tales verlohren, und, sobald er das eingesprützte
wieder ausgepumpet, solche wieder bekommen. Zum Beweiß,
daß die Thiere keine Seele haben könten, führete der Cardinal
ein experimtent an, welches man mit dem vielfüßigen
Wurm, millepes genannt, gemacht, da man nehmlich den-
selben erst in 2 Theile, iede Helfte aber wieder in
mehrere Stücke zerschnitten, nichts desto weniger aber
wahrgenommen, daß iedwedes auch kleines Stück vor sich fortge-
lauffen, und, wenn man demselben das Meßer vorgehalten,
wieder umgekehret. Hätten nun die Thieren Seelen, so müsten
sie derselben so viel haben, als [Zer]schnittene Stücke des

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abgelesen, und darinn die Cartesianische Meinung, daß
die Seele ihren eigentlichen Sitz in der glandula pineali
habe, auch aus seiner chirurgischen Erfahrung refutiret.
Da ihm nehmlich am Kopf blessirte Leute unter die Hände ge-
kommen, denen die gedachte glandula zerquetscht gewesen,
und er also solche, nach vorheriger trepanation, heraus nehmen
müßen, davon die Leute aber weder verrückt worden, noch
vielweniger gestorben. Daß auch im Gehirn die Seele
nicht wohnen könne, solches habe er damit erwiesen, weil
er blessirte patienten gehabt, denen er etwas von Gehirn,
wie auch von der pia und dura matre heraus zu nehmen
genötiget gewesen, die gleichwol glücklich curiret worden.
Ja er habe angeführet, daß schon zu Zeiten des Louis XIV
dergleichen operation an dem bekanten Duc de Feuillade
geschehen, der so voller bons mots gewesen, daß, als
man ihm bey dieser Operation das Gehirn gewiesen,
welches mit einem Löffelgen aus seinem Kopf ge-
nommen worden, er zu denen Umstehenden gesaget,
montrez le au Roi, cas il dit toujours, que je
huis un ecerve[lle]. Monsieur de la Peronnie habe darauf
seine Vermuthung hin zu gethan, daß nehmlich der
Sitz der Seele wohl in dem Corpore Calloso seyn
möchte, welches zwischen dem nervo optico und
acustico hinter der Stirne liege, weil er bey denen
in dieser Gegend verwundeten Patienten wahrgenommen,
daß, wenn er etwas eingesprützet, so gedachtes corpus
callosum afficiret hätte, sie so fort alle mercklichen Motus vi-
tales verlohren, und, sobald er das eingesprützte
wieder ausgepumpet, solche wieder bekommen. Zum Beweiß,
daß die Thiere keine Seele haben könten, führete der Cardinal
ein experimtent an, welches man mit dem vielfüßigen
Wurm, millepes genannt, gemacht, da man nehmlich den-
selben erst in 2 Theile, iede Helfte aber wieder in
mehrere Stücke zerschnitten, nichts desto weniger aber
wahrgenommen, daß iedwedes auch kleines Stück vor sich fortge-
lauffen, und, wenn man demselben das Meßer vorgehalten,
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[0256] 121 abgelesen, und darinn die Cartesianische Meinung, daß die Seele ihren eigentlichen Sitz in der glandula pineali habe, auch aus seiner chirurgischen Erfahrung refutiret. Da ihm nehml: am Kopf blessirte Leute unter die Hände ge- kommen, denen die gedachte glandula zerquetscht gewesen, u. er also solche, nach vorheriger trepanation, heraus nehmen müßen, davon die Leute aber weder verrückt worden, noch vielweniger gestorben. Daß auch im Gehirn die Seele nicht wohnen könne, solches habe er damit erwiesen, weil er blessirte patienten gehabt, denen er etwas von Gehirn, wie auch von der pia u. dura matre heraus zu nehmen genötiget gewesen, die gleichwol glückl: curiret worden. Ja er habe angeführet, daß schon zu Zeiten des Louis XIV dergl: operation an dem bekanten Duc de Feuillade geschehen, der so voller bons mots gewesen, daß, als man ihm bey dieser Operation das Gehirn gewiesen, welches mit einem Löffelgen aus seinem Kopf ge- nommen worden, er zu denen Umstehenden gesaget, montrez le au Roi, cas il dit toujours, que je huis un ecervelle. Mr. de la Peronnie habe darauf seine Vermuthung hin zu gethan, daß nehml: der Sitz der Seele wohl in dem Corpore Calloso seyn möchte, welches zwischen dem nervo optico und acustico hinter der Stirne liege, weil er bey denen in dieser Gegend verwundeten Patienten wahrgenommen, daß, wenn er etwas eingesprützet, so gedachtes corpus callosum afficiret hätte, sie so fort alle mercklichen Motus vi- tales verlohren, und, sobald er das eingesprützte wieder ausgepumpet, solche wieder bekommen. Zum Beweiß, daß die Thiere keine Seele haben könten, führete der Cardinal ein experimtent an, welches man mit dem vielfüßigen Wurm, millepes genannt, gemacht, da man nehml: den- selben erst in 2 Theile, iede Helfte aber wieder in mehrere Stücke zerschnitten, nichts desto weniger aber wahrgenommen, daß iedwedes auch kleines Stück vor sich fortge- lauffen, und, wenn man demselben das Meßer vorgehalten, wieder umgekehret. Hätten nun die Thieren Seelen, so müsten sie derselben so viel haben, als Zerschnittene Stücke des

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/256>, abgerufen am 17.09.2024.