Welch eine bunte Blume wieget sich dort an der Quelle? So schön und glänzend von Farbe - - doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter- ling flieget empor, und lässt das wankende Gräs- chen zurük. Izt rauscht ein Würmchen, schwarz beharnischt auf glänzend rothen Flügeln vorbey, und sezt sich, zu seinem Gatten vielleicht, auf die nahe Gloken-Blume. Rausche sanft, du rieselnde Quelle, erschüttert nicht die Blumen und das Gras ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den zärtesten Gesang? Ja sie singen, aber unser Ohr ist zu stumpf, das feine Concert zu vernehmen, so wie unser Auge, die zarten Züge der Bildung zu sehn. Was für ein liebliches Sumsen schwärmt um mich her? Warum wanken die Blumen so? Ein Schwarm kleiner Bienen ists; sie flogen frö- lich aus, aus ihrer fernen Wohnstadt, und zer- streuten sich auf den Fluren und in den fernen Gärten; aufmerksam wählend sammeln sie die gelbe Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren,
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Welch eine bunte Blume wieget ſich dort an der Quelle? So ſchön und glänzend von Farbe ‒ ‒ doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter- ling flieget empor, und läſst das wankende Gräs- chen zurük. Izt rauſcht ein Würmchen, ſchwarz beharniſcht auf glänzend rothen Flügeln vorbey, und ſezt ſich, zu ſeinem Gatten vielleicht, auf die nahe Gloken-Blume. Rauſche ſanft, du rieſelnde Quelle, erſchüttert nicht die Blumen und das Gras ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den zärteſten Geſang? Ja ſie ſingen, aber unſer Ohr iſt zu ſtumpf, das feine Concert zu vernehmen, ſo wie unſer Auge, die zarten Züge der Bildung zu ſehn. Was für ein liebliches Sumſen ſchwärmt um mich her? Warum wanken die Blumen ſo? Ein Schwarm kleiner Bienen iſts; ſie flogen frö- lich aus, aus ihrer fernen Wohnſtadt, und zer- ſtreuten ſich auf den Fluren und in den fernen Gärten; aufmerkſam wählend ſammeln ſie die gelbe Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren,
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Welch eine bunte Blume wieget ſich dort an
der Quelle? So ſchön und glänzend von Farbe ‒ ‒
doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter-
ling flieget empor, und läſst das wankende Gräs-
chen zurük. Izt rauſcht ein Würmchen, ſchwarz
beharniſcht auf glänzend rothen Flügeln vorbey,
und ſezt ſich, zu ſeinem Gatten vielleicht, auf die
nahe Gloken-Blume. Rauſche ſanft, du rieſelnde
Quelle, erſchüttert nicht die Blumen und das Gras
ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den
zärteſten Geſang? Ja ſie ſingen, aber unſer Ohr iſt
zu ſtumpf, das feine Concert zu vernehmen, ſo
wie unſer Auge, die zarten Züge der Bildung zu
ſehn. Was für ein liebliches Sumſen ſchwärmt
um mich her? Warum wanken die Blumen ſo?
Ein Schwarm kleiner Bienen iſts; ſie flogen frö-
lich aus, aus ihrer fernen Wohnſtadt, und zer-
ſtreuten ſich auf den Fluren und in den fernen
Gärten; aufmerkſam wählend ſammeln ſie die gelbe
Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren,
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/120>, abgerufen am 16.02.2025.
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