An einem schönen Morgen sass das Mädchen im Hain, mit Blumen bekränzt sass es da und sang; Sey gegrüsst liebliche Sonne hinter dem Berg her- vor, schon beglänzen deine Stralen der Bäume Wipfel auf den hohen Hügeln, und der frohen Lerche hoch schwebendes Gefieder. Dir singen die Vögel des Hains entgegen, und - - Izt schwieg sie, und sah aufmerksam umher, welche liebliche Stimme mischet sich in meinen Gesang? So rief sie erstaunt, sie begleitet jeden Ton mei- nes Gesanges! Wo bist du? - - Warum schwei- gest du Lied? Singe, liebliche Stimme! Bist du ein gefiederter Bewohner dieses Hains, o so schwinge die Flügel hieher auf diesen Fichten- baum, dass ich dich sehe und deinen Gesang höre! so sprach sie, und sah weit in den Wipfeln umher; Bist du schüchtern weggeflogen? Oder - - diese Stimme hab ich noch nie im Hain gehört, wenn ich mich betrogen hätte? Mich täuscht doch kein Traum? Ich will noch ein Lied singen.
Seyd
An einem ſchönen Morgen ſaſs das Mädchen im Hain, mit Blumen bekränzt ſaſs es da und ſang; Sey gegrüſst liebliche Sonne hinter dem Berg her- vor, ſchon beglänzen deine Stralen der Bäume Wipfel auf den hohen Hügeln, und der frohen Lerche hoch ſchwebendes Gefieder. Dir ſingen die Vögel des Hains entgegen, und ‒ ‒ Izt ſchwieg ſie, und ſah aufmerkſam umher, welche liebliche Stimme miſchet ſich in meinen Geſang? So rief ſie erſtaunt, ſie begleitet jeden Ton mei- nes Geſanges! Wo biſt du? ‒ ‒ Warum ſchwei- geſt du Lied? Singe, liebliche Stimme! Biſt du ein gefiederter Bewohner dieſes Hains, o ſo ſchwinge die Flügel hieher auf dieſen Fichten- baum, daſs ich dich ſehe und deinen Geſang höre! ſo ſprach ſie, und ſah weit in den Wipfeln umher; Biſt du ſchüchtern weggeflogen? Oder ‒ ‒ dieſe Stimme hab ich noch nie im Hain gehört, wenn ich mich betrogen hätte? Mich täuſcht doch kein Traum? Ich will noch ein Lied ſingen.
Seyd
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An einem ſchönen Morgen ſaſs das Mädchen im
Hain, mit Blumen bekränzt ſaſs es da und ſang;
Sey gegrüſst liebliche Sonne hinter dem Berg her-
vor, ſchon beglänzen deine Stralen der Bäume
Wipfel auf den hohen Hügeln, und der frohen
Lerche hoch ſchwebendes Gefieder. Dir ſingen
die Vögel des Hains entgegen, und ‒ ‒ Izt
ſchwieg ſie, und ſah aufmerkſam umher, welche
liebliche Stimme miſchet ſich in meinen Geſang?
So rief ſie erſtaunt, ſie begleitet jeden Ton mei-
nes Geſanges! Wo biſt du? ‒ ‒ Warum ſchwei-
geſt du Lied? Singe, liebliche Stimme! Biſt du
ein gefiederter Bewohner dieſes Hains, o ſo
ſchwinge die Flügel hieher auf dieſen Fichten-
baum, daſs ich dich ſehe und deinen Geſang
höre! ſo ſprach ſie, und ſah weit in den Wipfeln
umher; Biſt du ſchüchtern weggeflogen? Oder ‒ ‒
dieſe Stimme hab ich noch nie im Hain gehört,
wenn ich mich betrogen hätte? Mich täuſcht
doch kein Traum? Ich will noch ein Lied ſingen.
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/101>, abgerufen am 16.02.2025.
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