Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Rechtschreibung.
sere Art an ihnen rächen, als durch den Ubelstand, den
meine Abwesenheit in ihrer Schrift verursachet. So
hat sich Achilles vormals an dem Agamemnon auch ge-
rochen. Jn der Mitte aber soll mich die Verwirrung
rechtfertigen, die in gewissen Wörtern entstehen wird,
wenn man mich wird meiden wollen: denn wie will
man freyen und freuen, meynen und meinen von ei-
nander unterscheiden, wenn man meine Hülfe nicht
brauchet? Genug für mich allein geredet, Gnädige
Richterinnen. Eure Gerechtigkeit verspricht mir allen
möglichen Beystand: Daher setze ich kein Wort mehr
hinzu euren Urtheilspruch zu erbitten.

Sobald diese Kläger ihre Beschwerden angeführ-
ter massen aufs Kürzeste vorgebracht hatten, musten sie
samt ihren Clienten einen Abtritt nehmen; Die Rich-
terinnen aber unterredeten sich mit einander, und such-
ten sich wegen des Urtheils zu vereinigen. Die Ge-
wohnheit,
als die jüngste der Beysitzerinnen fieng zu
erst an, ihr Gutachten zu eröfnen; und erklärte sich
schlechterdings vor die Kläger. Sie bezeugte es sehr
freymüthig, was vor eine Feindin aller Neuerungen sie
wäre. Sie gestund ihre grosse Ehrerbietung vor das
graue Alterthum, und wollte durchaus nicht wissen, wie
man schreiben sollte oder müßte; sondern wie man von
undenklichen Zeiten her geschrieben hätte.

Jn diesem Eifer erhitzte sie sich dergestalt über die
Sprachlehrer der Deutschen, als Schotteln, den Spa-
ten, Bödickern, Heräum u. a. m. daß sie dieselben alle
mit einander vor Grübler, Buchstäbler, Grillenfänger,
ja mit einem Worte, vor Zesianer schalt. Keinen em-
pfindlichern Schimpf wuste sie wieder diese Leute aus-
zusinnen; bis ihr Christian Weisens Comödie von der
Tannzapfen-Gesellschaft einfiel. Jn diese wollte sie

alles

Von der Rechtſchreibung.
ſere Art an ihnen raͤchen, als durch den Ubelſtand, den
meine Abweſenheit in ihrer Schrift verurſachet. So
hat ſich Achilles vormals an dem Agamemnon auch ge-
rochen. Jn der Mitte aber ſoll mich die Verwirrung
rechtfertigen, die in gewiſſen Woͤrtern entſtehen wird,
wenn man mich wird meiden wollen: denn wie will
man freyen und freuen, meynen und meinen von ei-
nander unterſcheiden, wenn man meine Huͤlfe nicht
brauchet? Genug fuͤr mich allein geredet, Gnaͤdige
Richterinnen. Eure Gerechtigkeit verſpricht mir allen
moͤglichen Beyſtand: Daher ſetze ich kein Wort mehr
hinzu euren Urtheilſpruch zu erbitten.

Sobald dieſe Klaͤger ihre Beſchwerden angefuͤhr-
ter maſſen aufs Kuͤrzeſte vorgebracht hatten, muſten ſie
ſamt ihren Clienten einen Abtritt nehmen; Die Rich-
terinnen aber unterredeten ſich mit einander, und ſuch-
ten ſich wegen des Urtheils zu vereinigen. Die Ge-
wohnheit,
als die juͤngſte der Beyſitzerinnen fieng zu
erſt an, ihr Gutachten zu eroͤfnen; und erklaͤrte ſich
ſchlechterdings vor die Klaͤger. Sie bezeugte es ſehr
freymuͤthig, was vor eine Feindin aller Neuerungen ſie
waͤre. Sie geſtund ihre groſſe Ehrerbietung vor das
graue Alterthum, und wollte durchaus nicht wiſſen, wie
man ſchreiben ſollte oder muͤßte; ſondern wie man von
undenklichen Zeiten her geſchrieben haͤtte.

Jn dieſem Eifer erhitzte ſie ſich dergeſtalt uͤber die
Sprachlehrer der Deutſchen, als Schotteln, den Spa-
ten, Boͤdickern, Heraͤum u. a. m. daß ſie dieſelben alle
mit einander vor Gruͤbler, Buchſtaͤbler, Grillenfaͤnger,
ja mit einem Worte, vor Zeſianer ſchalt. Keinen em-
pfindlichern Schimpf wuſte ſie wieder dieſe Leute aus-
zuſinnen; bis ihr Chriſtian Weiſens Comoͤdie von der
Tannzapfen-Geſellſchaft einfiel. Jn dieſe wollte ſie

alles
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0319" n="90"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Recht&#x017F;chreibung.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ere Art an ihnen ra&#x0364;chen, als durch den Ubel&#x017F;tand, den<lb/>
meine Abwe&#x017F;enheit in ihrer Schrift verur&#x017F;achet. So<lb/>
hat &#x017F;ich Achilles vormals an dem Agamemnon auch ge-<lb/>
rochen. Jn der Mitte aber &#x017F;oll mich die Verwirrung<lb/>
rechtfertigen, die in gewi&#x017F;&#x017F;en Wo&#x0364;rtern ent&#x017F;tehen wird,<lb/>
wenn man mich wird meiden wollen: denn wie will<lb/>
man <hi rendition="#fr">freyen</hi> und <hi rendition="#fr">freuen, meynen</hi> und <hi rendition="#fr">meinen</hi> von ei-<lb/>
nander unter&#x017F;cheiden, wenn man meine Hu&#x0364;lfe nicht<lb/>
brauchet? Genug fu&#x0364;r mich allein geredet, Gna&#x0364;dige<lb/>
Richterinnen. Eure Gerechtigkeit ver&#x017F;pricht mir allen<lb/>
mo&#x0364;glichen Bey&#x017F;tand: Daher &#x017F;etze ich kein Wort mehr<lb/>
hinzu euren Urtheil&#x017F;pruch zu erbitten.</p><lb/>
          <p>Sobald die&#x017F;e Kla&#x0364;ger ihre Be&#x017F;chwerden angefu&#x0364;hr-<lb/>
ter ma&#x017F;&#x017F;en aufs Ku&#x0364;rze&#x017F;te vorgebracht hatten, mu&#x017F;ten &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;amt ihren Clienten einen Abtritt nehmen; Die Rich-<lb/>
terinnen aber unterredeten &#x017F;ich mit einander, und &#x017F;uch-<lb/>
ten &#x017F;ich wegen des Urtheils zu vereinigen. <hi rendition="#fr">Die Ge-<lb/>
wohnheit,</hi> als die ju&#x0364;ng&#x017F;te der Bey&#x017F;itzerinnen fieng zu<lb/>
er&#x017F;t an, ihr Gutachten zu ero&#x0364;fnen; und erkla&#x0364;rte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chlechterdings vor die Kla&#x0364;ger. Sie bezeugte es &#x017F;ehr<lb/>
freymu&#x0364;thig, was vor eine Feindin aller Neuerungen &#x017F;ie<lb/>
wa&#x0364;re. Sie ge&#x017F;tund ihre gro&#x017F;&#x017F;e Ehrerbietung vor das<lb/>
graue Alterthum, und wollte durchaus nicht wi&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
man &#x017F;chreiben &#x017F;ollte oder mu&#x0364;ßte; &#x017F;ondern wie man von<lb/>
undenklichen Zeiten her ge&#x017F;chrieben ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Jn die&#x017F;em Eifer erhitzte &#x017F;ie &#x017F;ich derge&#x017F;talt u&#x0364;ber die<lb/>
Sprachlehrer der Deut&#x017F;chen, als Schotteln, den Spa-<lb/>
ten, Bo&#x0364;dickern, Hera&#x0364;um u. a. m. daß &#x017F;ie die&#x017F;elben alle<lb/>
mit einander vor Gru&#x0364;bler, Buch&#x017F;ta&#x0364;bler, Grillenfa&#x0364;nger,<lb/>
ja mit einem Worte, vor Ze&#x017F;ianer &#x017F;chalt. Keinen em-<lb/>
pfindlichern Schimpf wu&#x017F;te &#x017F;ie wieder die&#x017F;e Leute aus-<lb/>
zu&#x017F;innen; bis ihr Chri&#x017F;tian Wei&#x017F;ens Como&#x0364;die von der<lb/>
Tannzapfen-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft einfiel. Jn die&#x017F;e wollte &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">alles</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0319] Von der Rechtſchreibung. ſere Art an ihnen raͤchen, als durch den Ubelſtand, den meine Abweſenheit in ihrer Schrift verurſachet. So hat ſich Achilles vormals an dem Agamemnon auch ge- rochen. Jn der Mitte aber ſoll mich die Verwirrung rechtfertigen, die in gewiſſen Woͤrtern entſtehen wird, wenn man mich wird meiden wollen: denn wie will man freyen und freuen, meynen und meinen von ei- nander unterſcheiden, wenn man meine Huͤlfe nicht brauchet? Genug fuͤr mich allein geredet, Gnaͤdige Richterinnen. Eure Gerechtigkeit verſpricht mir allen moͤglichen Beyſtand: Daher ſetze ich kein Wort mehr hinzu euren Urtheilſpruch zu erbitten. Sobald dieſe Klaͤger ihre Beſchwerden angefuͤhr- ter maſſen aufs Kuͤrzeſte vorgebracht hatten, muſten ſie ſamt ihren Clienten einen Abtritt nehmen; Die Rich- terinnen aber unterredeten ſich mit einander, und ſuch- ten ſich wegen des Urtheils zu vereinigen. Die Ge- wohnheit, als die juͤngſte der Beyſitzerinnen fieng zu erſt an, ihr Gutachten zu eroͤfnen; und erklaͤrte ſich ſchlechterdings vor die Klaͤger. Sie bezeugte es ſehr freymuͤthig, was vor eine Feindin aller Neuerungen ſie waͤre. Sie geſtund ihre groſſe Ehrerbietung vor das graue Alterthum, und wollte durchaus nicht wiſſen, wie man ſchreiben ſollte oder muͤßte; ſondern wie man von undenklichen Zeiten her geſchrieben haͤtte. Jn dieſem Eifer erhitzte ſie ſich dergeſtalt uͤber die Sprachlehrer der Deutſchen, als Schotteln, den Spa- ten, Boͤdickern, Heraͤum u. a. m. daß ſie dieſelben alle mit einander vor Gruͤbler, Buchſtaͤbler, Grillenfaͤnger, ja mit einem Worte, vor Zeſianer ſchalt. Keinen em- pfindlichern Schimpf wuſte ſie wieder dieſe Leute aus- zuſinnen; bis ihr Chriſtian Weiſens Comoͤdie von der Tannzapfen-Geſellſchaft einfiel. Jn dieſe wollte ſie alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740/319
Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740/319>, abgerufen am 25.11.2024.