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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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Haben wir so eine höhere Ansicht von der Be-
stimmung der Schule gewonnen, in wie viel hellerem
Licht erscheint nun auch die Disciplin nach ihrer
Wichtigkeit! Wie großes Recht wir ihr vorher schon
eingeräumt haben, so müssen wir doch nun gestehen,
daß wir sie nur sehr einseitig vertheidigten, da es doch
immer schien, als wäre sie eigentlich nur dem Lehrer
nützlich, weil derselbe ohne sie den Lehrzweck nicht
erreichen könnte; daher wir auch zugeben mußten,
daß sie eine zwiefache Gestalt haben möchte, eine solche
nämlich, wo der Lehrer von ihren Gesetzen unabhängig
wäre, oder eine solche, wo er samt den Schülern sich
ihnen unterwürfe, und die letztere konnten wir als
die vollkommne nur wünschen und loben aber nicht
geradezu verlangen. Allein wenn der höchste Zweck
der Schule Bildung ist, so leuchtet ein, daß bloß
durch den Unterricht weder der Lehrer diese vollstän-
dig geben, noch der Schüler sie erlangen kann. Denn
in jeder Schule (in der Volksschule nur am meisten)
finden sich in Hinsicht auf die Lehre zweierlei Schü-
ler. Die einen zeigen sich fähig entweder durch An-
lage oder durch frühere Pflege; die Lehre kann also
ohne Schwierigkeit ihnen überliefert werden. Aber
ist denn damit schon ihre Bildung vollendet? Haben
sie mit der Erkenntniß des Wahren auch schon den
Willen es für immer ins Werk zu setzen, mit dem
Gefühl für das Gute auch die Kraft es zu bewahren?
Wie bekunden sie schon oft in der Schule das Gegen-
theil! Sie bekommen eine große Meinung von ihren
kleinen Künsten, werden voll Ehrgeiz, zu Uebermuth
und Eitelkeit, zu List und Heuchelei, auch wol zu

Haben wir ſo eine hoͤhere Anſicht von der Be-
ſtimmung der Schule gewonnen, in wie viel hellerem
Licht erſcheint nun auch die Diſciplin nach ihrer
Wichtigkeit! Wie großes Recht wir ihr vorher ſchon
eingeraͤumt haben, ſo muͤſſen wir doch nun geſtehen,
daß wir ſie nur ſehr einſeitig vertheidigten, da es doch
immer ſchien, als waͤre ſie eigentlich nur dem Lehrer
nuͤtzlich, weil derſelbe ohne ſie den Lehrzweck nicht
erreichen koͤnnte; daher wir auch zugeben mußten,
daß ſie eine zwiefache Geſtalt haben moͤchte, eine ſolche
naͤmlich, wo der Lehrer von ihren Geſetzen unabhaͤngig
waͤre, oder eine ſolche, wo er ſamt den Schuͤlern ſich
ihnen unterwuͤrfe, und die letztere konnten wir als
die vollkommne nur wuͤnſchen und loben aber nicht
geradezu verlangen. Allein wenn der hoͤchſte Zweck
der Schule Bildung iſt, ſo leuchtet ein, daß bloß
durch den Unterricht weder der Lehrer dieſe vollſtaͤn-
dig geben, noch der Schuͤler ſie erlangen kann. Denn
in jeder Schule (in der Volksſchule nur am meiſten)
finden ſich in Hinſicht auf die Lehre zweierlei Schuͤ-
ler. Die einen zeigen ſich faͤhig entweder durch An-
lage oder durch fruͤhere Pflege; die Lehre kann alſo
ohne Schwierigkeit ihnen uͤberliefert werden. Aber
iſt denn damit ſchon ihre Bildung vollendet? Haben
ſie mit der Erkenntniß des Wahren auch ſchon den
Willen es fuͤr immer ins Werk zu ſetzen, mit dem
Gefuͤhl fuͤr das Gute auch die Kraft es zu bewahren?
Wie bekunden ſie ſchon oft in der Schule das Gegen-
theil! Sie bekommen eine große Meinung von ihren
kleinen Kuͤnſten, werden voll Ehrgeiz, zu Uebermuth
und Eitelkeit, zu Liſt und Heuchelei, auch wol zu

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[16/0024] Haben wir ſo eine hoͤhere Anſicht von der Be- ſtimmung der Schule gewonnen, in wie viel hellerem Licht erſcheint nun auch die Diſciplin nach ihrer Wichtigkeit! Wie großes Recht wir ihr vorher ſchon eingeraͤumt haben, ſo muͤſſen wir doch nun geſtehen, daß wir ſie nur ſehr einſeitig vertheidigten, da es doch immer ſchien, als waͤre ſie eigentlich nur dem Lehrer nuͤtzlich, weil derſelbe ohne ſie den Lehrzweck nicht erreichen koͤnnte; daher wir auch zugeben mußten, daß ſie eine zwiefache Geſtalt haben moͤchte, eine ſolche naͤmlich, wo der Lehrer von ihren Geſetzen unabhaͤngig waͤre, oder eine ſolche, wo er ſamt den Schuͤlern ſich ihnen unterwuͤrfe, und die letztere konnten wir als die vollkommne nur wuͤnſchen und loben aber nicht geradezu verlangen. Allein wenn der hoͤchſte Zweck der Schule Bildung iſt, ſo leuchtet ein, daß bloß durch den Unterricht weder der Lehrer dieſe vollſtaͤn- dig geben, noch der Schuͤler ſie erlangen kann. Denn in jeder Schule (in der Volksſchule nur am meiſten) finden ſich in Hinſicht auf die Lehre zweierlei Schuͤ- ler. Die einen zeigen ſich faͤhig entweder durch An- lage oder durch fruͤhere Pflege; die Lehre kann alſo ohne Schwierigkeit ihnen uͤberliefert werden. Aber iſt denn damit ſchon ihre Bildung vollendet? Haben ſie mit der Erkenntniß des Wahren auch ſchon den Willen es fuͤr immer ins Werk zu ſetzen, mit dem Gefuͤhl fuͤr das Gute auch die Kraft es zu bewahren? Wie bekunden ſie ſchon oft in der Schule das Gegen- theil! Sie bekommen eine große Meinung von ihren kleinen Kuͤnſten, werden voll Ehrgeiz, zu Uebermuth und Eitelkeit, zu Liſt und Heuchelei, auch wol zu

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/24>, abgerufen am 23.11.2024.