VII. Kapitel. Frachtwägen, Strassen- und Eisenbahnen.
§. 529.
Die ältesten Maschinen, welche die Menschen erfunden haben, sind unstreitig der Pflug und der Wagen. Es musste gleich den ersten Menschen einfallen, wenn sie eine ihre Kräfte übersteigende Last bewegen wollten, selbe auf der Erde fortzuziehen, statt ihr ganzes Gewicht zu tragen. Da jedoch auch bei dem Fortziehen oder Schleppen einer Last ein grosser Widerstand dadurch entsteht, indem die untere Seite der Last von der rauhen Erde, Sand und Steinen angegriffen, Theile abgerissen und die Last selbst beschädigt wird, so verfiel man wohl bald auf den Gedanken hölzerne Schleifen unterzulegen, um dadurch die Waaren vor Beschädigungen zu schützen. Diese Schleifen konnten überdiess auch mehr eben gemacht werden, als es in den meisten Fällen bei der Last möglich ist; durch die grössere Länge derselben wurde der Druck auf die Erde gleichförmiger vertheilt und sie konnten über die Unebenheiten des Bodens leichter fortgebracht werden. Dieses Fuhrwerk, nämlich die Schleife oder der Schlitten ist noch bis zum heutigen Tage die einfachste Art, eine Last zu transportiren, und wenn der Boden, auf welchem gefahren wird, sehr eben und glatt ist, welches in unsern Gegenden im Winter auf einer gefrorenen und schon hinlänglich befahrenen Schlittenbahn der Fall ist, so werden die Pferde dadurch in Stand gesetzt, sehr grosse Lasten fortzuziehen. Nennen wir nämlich das Gewicht der Ladung und der Schleife = Q und den Reibungscoeffizienten, welcher den WiderstandFig. 1. Tab. 29. zwischen der Schleife und dem Boden ausdrückt = m, so ist offenbar, dass die Kraft nur den Widerstand m . Q zu überwältigen hat, und dass sonach K = m . Q ist. Im Winter ist auf einer gefrorenen und hinlänglich abgefahrenen Bahn m = 1/20 bis 1/30, ein Pferd kann sonach 20 bis 30 Zentner auf einer guten Schlittenbahn fortziehen. Allein im Sommer und vorzüglich auf schlechten Strassen ist der Widerstand solcher Schleifen sehr gross, und wir sehen gewöhnlich, dass Stücke Holz von denselben abge- rissen werden und auf der Strasse zurückbleiben; man kann demnach für solche Fälle m = 1/5 , 1/4 und selbst 1/2 setzen, der Vortheil solcher Schleifen ist daher bei schlechten Strassen äusserst gering.
In dieser Hinsicht musste wohl die Erfahrung gleich die ersten Menschen beleh- ren, dass es in vielen Fällen leichter sey, die Lasten zu wälzen, als sie auf einer und derselben Fläche fortzuschleppen. Diese Leichtigkeit findet vorzüglich bei kreisrunden Körpern statt, wobei die gleiche Entfernung der Aussenseite von ihrer Mitte oder vom Schwerpunkte das Wälzen ungemein erleichtert. Hieraus ergab sich von selbst die An- wendung kreisrunder Körper bei dem Fortschaffen grosser Lasten, welcher Vortheil bis auf unsere Zeiten beibehalten und nur noch zweckmässig verbessert worden ist. Ein merk- würdiges Beispiel einer solchen bloss wälzenden Bewegung erzählt Vitruvius im 6ten Kapitel des 10ten Buches vom Baumeister Ktesiphon, welcher bei dem berühmten Baue des Tempels der Diana zu Ephesus für die Zufuhr der grossen, übermässig schweren
72 *
VII. Kapitel. Frachtwägen, Strassen- und Eisenbahnen.
§. 529.
Die ältesten Maschinen, welche die Menschen erfunden haben, sind unstreitig der Pflug und der Wagen. Es musste gleich den ersten Menschen einfallen, wenn sie eine ihre Kräfte übersteigende Last bewegen wollten, selbe auf der Erde fortzuziehen, statt ihr ganzes Gewicht zu tragen. Da jedoch auch bei dem Fortziehen oder Schleppen einer Last ein grosser Widerstand dadurch entsteht, indem die untere Seite der Last von der rauhen Erde, Sand und Steinen angegriffen, Theile abgerissen und die Last selbst beschädigt wird, so verfiel man wohl bald auf den Gedanken hölzerne Schleifen unterzulegen, um dadurch die Waaren vor Beschädigungen zu schützen. Diese Schleifen konnten überdiess auch mehr eben gemacht werden, als es in den meisten Fällen bei der Last möglich ist; durch die grössere Länge derselben wurde der Druck auf die Erde gleichförmiger vertheilt und sie konnten über die Unebenheiten des Bodens leichter fortgebracht werden. Dieses Fuhrwerk, nämlich die Schleife oder der Schlitten ist noch bis zum heutigen Tage die einfachste Art, eine Last zu transportiren, und wenn der Boden, auf welchem gefahren wird, sehr eben und glatt ist, welches in unsern Gegenden im Winter auf einer gefrorenen und schon hinlänglich befahrenen Schlittenbahn der Fall ist, so werden die Pferde dadurch in Stand gesetzt, sehr grosse Lasten fortzuziehen. Nennen wir nämlich das Gewicht der Ladung und der Schleife = Q und den Reibungscoeffizienten, welcher den WiderstandFig. 1. Tab. 29. zwischen der Schleife und dem Boden ausdrückt = m, so ist offenbar, dass die Kraft nur den Widerstand m . Q zu überwältigen hat, und dass sonach K = m . Q ist. Im Winter ist auf einer gefrorenen und hinlänglich abgefahrenen Bahn m = 1/20 bis 1/30, ein Pferd kann sonach 20 bis 30 Zentner auf einer guten Schlittenbahn fortziehen. Allein im Sommer und vorzüglich auf schlechten Strassen ist der Widerstand solcher Schleifen sehr gross, und wir sehen gewöhnlich, dass Stücke Holz von denselben abge- rissen werden und auf der Strasse zurückbleiben; man kann demnach für solche Fälle m = ⅕, ¼ und selbst ½ setzen, der Vortheil solcher Schleifen ist daher bei schlechten Strassen äusserst gering.
In dieser Hinsicht musste wohl die Erfahrung gleich die ersten Menschen beleh- ren, dass es in vielen Fällen leichter sey, die Lasten zu wälzen, als sie auf einer und derselben Fläche fortzuschleppen. Diese Leichtigkeit findet vorzüglich bei kreisrunden Körpern statt, wobei die gleiche Entfernung der Aussenseite von ihrer Mitte oder vom Schwerpunkte das Wälzen ungemein erleichtert. Hieraus ergab sich von selbst die An- wendung kreisrunder Körper bei dem Fortschaffen grosser Lasten, welcher Vortheil bis auf unsere Zeiten beibehalten und nur noch zweckmässig verbessert worden ist. Ein merk- würdiges Beispiel einer solchen bloss wälzenden Bewegung erzählt Vitruvius im 6ten Kapitel des 10ten Buches vom Baumeister Ktesiphon, welcher bei dem berühmten Baue des Tempels der Diana zu Ephesus für die Zufuhr der grossen, übermässig schweren
72 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0603"n="571"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#i"><hirendition="#g">VII. Kapitel</hi></hi>.<lb/>
Frachtwägen, Strassen- und Eisenbahnen.</hi></head><lb/><divn="3"><head>§. 529.</head><lb/><p>Die ältesten Maschinen, welche die Menschen erfunden haben, sind unstreitig<lb/>
der <hirendition="#g">Pflug</hi> und der <hirendition="#g">Wagen</hi>. Es musste gleich den ersten Menschen einfallen,<lb/>
wenn sie eine ihre Kräfte übersteigende Last bewegen wollten, selbe auf der Erde<lb/>
fortzuziehen, statt ihr ganzes Gewicht zu tragen. Da jedoch auch bei dem Fortziehen<lb/>
oder Schleppen einer Last ein grosser Widerstand dadurch entsteht, indem die untere<lb/>
Seite der Last von der rauhen Erde, Sand und Steinen angegriffen, Theile abgerissen<lb/>
und die Last selbst beschädigt wird, so verfiel man wohl bald auf den Gedanken<lb/>
hölzerne <hirendition="#g">Schleifen</hi> unterzulegen, um dadurch die Waaren vor Beschädigungen zu<lb/>
schützen. Diese Schleifen konnten überdiess auch mehr eben gemacht werden, als es<lb/>
in den meisten Fällen bei der Last möglich ist; durch die grössere Länge derselben<lb/>
wurde der Druck auf die Erde gleichförmiger vertheilt und sie konnten über die<lb/>
Unebenheiten des Bodens leichter fortgebracht werden. Dieses Fuhrwerk, nämlich die<lb/><hirendition="#g">Schleife</hi> oder der <hirendition="#g">Schlitten</hi> ist noch bis zum heutigen Tage die einfachste Art,<lb/>
eine Last zu transportiren, und wenn der Boden, auf welchem gefahren wird, sehr<lb/>
eben und glatt ist, welches in unsern Gegenden im Winter auf einer gefrorenen und<lb/>
schon hinlänglich befahrenen Schlittenbahn der Fall ist, so werden die Pferde dadurch<lb/>
in Stand gesetzt, sehr grosse Lasten fortzuziehen. Nennen wir nämlich das Gewicht der<lb/>
Ladung und der Schleife = Q und den Reibungscoeffizienten, welcher den Widerstand<noteplace="right">Fig.<lb/>
1.<lb/>
Tab.<lb/>
29.</note><lb/>
zwischen der Schleife und dem Boden ausdrückt = m, so ist offenbar, dass die Kraft<lb/>
nur den Widerstand m . Q zu überwältigen hat, und dass sonach K = m . Q ist. Im<lb/>
Winter ist auf einer gefrorenen und hinlänglich abgefahrenen Bahn m = 1/20 bis 1/30,<lb/>
ein Pferd kann sonach 20 bis 30 Zentner auf einer guten Schlittenbahn fortziehen.<lb/>
Allein im Sommer und vorzüglich auf schlechten Strassen ist der Widerstand solcher<lb/>
Schleifen sehr gross, und wir sehen gewöhnlich, dass Stücke Holz von denselben abge-<lb/>
rissen werden und auf der Strasse zurückbleiben; man kann demnach für solche Fälle<lb/>
m = ⅕, ¼ und selbst ½ setzen, der Vortheil solcher Schleifen ist daher bei schlechten<lb/>
Strassen äusserst gering.</p><lb/><p>In dieser Hinsicht musste wohl die Erfahrung gleich die ersten Menschen beleh-<lb/>
ren, dass es in vielen Fällen leichter sey, die Lasten zu wälzen, als sie auf einer und<lb/>
derselben Fläche fortzuschleppen. Diese Leichtigkeit findet vorzüglich bei kreisrunden<lb/>
Körpern statt, wobei die gleiche Entfernung der Aussenseite von ihrer Mitte oder vom<lb/>
Schwerpunkte das Wälzen ungemein erleichtert. Hieraus ergab sich von selbst die An-<lb/>
wendung kreisrunder Körper bei dem Fortschaffen grosser Lasten, welcher Vortheil bis auf<lb/>
unsere Zeiten beibehalten und nur noch zweckmässig verbessert worden ist. Ein merk-<lb/>
würdiges Beispiel einer solchen bloss wälzenden Bewegung erzählt <hirendition="#i">Vitruvius</hi> im 6<hirendition="#sup">ten</hi><lb/>
Kapitel des 10<hirendition="#sup">ten</hi> Buches vom Baumeister <hirendition="#i">Ktesiphon</hi>, welcher bei dem berühmten Baue<lb/>
des Tempels der Diana zu Ephesus für die Zufuhr der grossen, übermässig schweren<lb/><fwplace="bottom"type="sig">72 *</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[571/0603]
VII. Kapitel.
Frachtwägen, Strassen- und Eisenbahnen.
§. 529.
Die ältesten Maschinen, welche die Menschen erfunden haben, sind unstreitig
der Pflug und der Wagen. Es musste gleich den ersten Menschen einfallen,
wenn sie eine ihre Kräfte übersteigende Last bewegen wollten, selbe auf der Erde
fortzuziehen, statt ihr ganzes Gewicht zu tragen. Da jedoch auch bei dem Fortziehen
oder Schleppen einer Last ein grosser Widerstand dadurch entsteht, indem die untere
Seite der Last von der rauhen Erde, Sand und Steinen angegriffen, Theile abgerissen
und die Last selbst beschädigt wird, so verfiel man wohl bald auf den Gedanken
hölzerne Schleifen unterzulegen, um dadurch die Waaren vor Beschädigungen zu
schützen. Diese Schleifen konnten überdiess auch mehr eben gemacht werden, als es
in den meisten Fällen bei der Last möglich ist; durch die grössere Länge derselben
wurde der Druck auf die Erde gleichförmiger vertheilt und sie konnten über die
Unebenheiten des Bodens leichter fortgebracht werden. Dieses Fuhrwerk, nämlich die
Schleife oder der Schlitten ist noch bis zum heutigen Tage die einfachste Art,
eine Last zu transportiren, und wenn der Boden, auf welchem gefahren wird, sehr
eben und glatt ist, welches in unsern Gegenden im Winter auf einer gefrorenen und
schon hinlänglich befahrenen Schlittenbahn der Fall ist, so werden die Pferde dadurch
in Stand gesetzt, sehr grosse Lasten fortzuziehen. Nennen wir nämlich das Gewicht der
Ladung und der Schleife = Q und den Reibungscoeffizienten, welcher den Widerstand
zwischen der Schleife und dem Boden ausdrückt = m, so ist offenbar, dass die Kraft
nur den Widerstand m . Q zu überwältigen hat, und dass sonach K = m . Q ist. Im
Winter ist auf einer gefrorenen und hinlänglich abgefahrenen Bahn m = 1/20 bis 1/30,
ein Pferd kann sonach 20 bis 30 Zentner auf einer guten Schlittenbahn fortziehen.
Allein im Sommer und vorzüglich auf schlechten Strassen ist der Widerstand solcher
Schleifen sehr gross, und wir sehen gewöhnlich, dass Stücke Holz von denselben abge-
rissen werden und auf der Strasse zurückbleiben; man kann demnach für solche Fälle
m = ⅕, ¼ und selbst ½ setzen, der Vortheil solcher Schleifen ist daher bei schlechten
Strassen äusserst gering.
Fig.
1.
Tab.
29.
In dieser Hinsicht musste wohl die Erfahrung gleich die ersten Menschen beleh-
ren, dass es in vielen Fällen leichter sey, die Lasten zu wälzen, als sie auf einer und
derselben Fläche fortzuschleppen. Diese Leichtigkeit findet vorzüglich bei kreisrunden
Körpern statt, wobei die gleiche Entfernung der Aussenseite von ihrer Mitte oder vom
Schwerpunkte das Wälzen ungemein erleichtert. Hieraus ergab sich von selbst die An-
wendung kreisrunder Körper bei dem Fortschaffen grosser Lasten, welcher Vortheil bis auf
unsere Zeiten beibehalten und nur noch zweckmässig verbessert worden ist. Ein merk-
würdiges Beispiel einer solchen bloss wälzenden Bewegung erzählt Vitruvius im 6ten
Kapitel des 10ten Buches vom Baumeister Ktesiphon, welcher bei dem berühmten Baue
des Tempels der Diana zu Ephesus für die Zufuhr der grossen, übermässig schweren
72 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/603>, abgerufen am 18.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.