Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.vierter Aufzug. netta! Wider mich hebt sie ihr bleiches Antlitz zum Himmel! Aufihren Ugolino ruft ihr unwilliger Schatten den Richter herab! Liebenswürdiger Geist! liebenswürdig in deinem Unmuth! Jst dein Antlitz ganz ernst? Ah! dein Antlitz ist ernst! Einst hab ich dich gesehn, meine Gianetta; liebevoll und schüchtern sankst du in meine Arme. Ruggieri Ubaldini trat heran; das Gewand des Heuchlers rauschte lauter; sein bleyfarbigtes wässerigtes Angesicht tobte vom Sturm seiner Seele; er wälzte seine adrigten Augen weit hervor; Tücke und Verderben lauschten nicht mehr im Schleyer der Nacht! Du aber lagst furchtsam athmend an mei- nem Halse. Da erhob sich mein Herz! Da erkannte Ruggieri noch einmal Gherardesca, den Mann! Da waren deine Blicke mild, wie der Morgenthan; und deine süßen Lippen, deine Necktarlippen, deine Wonnelippen (er küßt sie) nannten Pisas Befreyer deinen Erretter! Nun bin ich gebeugt, meine Liebe! Mein Haar ist nun grau, und mein Bart ist fürchterlich, wie eines Gefangnen. Doch der grosse Morgen wird ja kommen! schrecklich, dunkelroth und schwühl von Gewittern wird er ja kom- men! Jn seinem schwarzen Strahle will ich erlöschen! Jn seiner gebährenden Wolke soll, wie Feuer vom Himmel, mein Geist über Pisa stehn! Dann erzittre Ein Elender! aber nur Einer. Feuer und Rache! ist meine Gianetta gefallen! (steht tiefsinnig) Mit Gift hingerichtet haben sie meine Gianetta? Gift sogen sie aus den Worten meiner Liebe? ah! aus den Worten meiner Lie- be? Einsame Erde! ich traure! Was? mit Gift hingerichtet haben sie meine Gianetta? (geht stillschweigend) Gern möcht ich die Stimme des Abgrundes vergessen! o daß ich sie nie gehört hätte! Ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ein Gebeinhaus der Ver- hungernden! Denn der Thurm ist von dieser Stund an verflucht! ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ha! wie er wütet, der Gedanke! wie er sich in mir umkehrt! Jch kann ihn nicht aus- denken! und mag nicht! O pfui! pfui! Brandmaal für die Mensch- F
vierter Aufzug. netta! Wider mich hebt ſie ihr bleiches Antlitz zum Himmel! Aufihren Ugolino ruft ihr unwilliger Schatten den Richter herab! Liebenswuͤrdiger Geiſt! liebenswuͤrdig in deinem Unmuth! Jſt dein Antlitz ganz ernſt? Ah! dein Antlitz iſt ernſt! Einſt hab ich dich geſehn, meine Gianetta; liebevoll und ſchuͤchtern ſankſt du in meine Arme. Ruggieri Ubaldini trat heran; das Gewand des Heuchlers rauſchte lauter; ſein bleyfarbigtes waͤſſerigtes Angeſicht tobte vom Sturm ſeiner Seele; er waͤlzte ſeine adrigten Augen weit hervor; Tuͤcke und Verderben lauſchten nicht mehr im Schleyer der Nacht! Du aber lagſt furchtſam athmend an mei- nem Halſe. Da erhob ſich mein Herz! Da erkannte Ruggieri noch einmal Gherardeſca, den Mann! Da waren deine Blicke mild, wie der Morgenthan; und deine ſuͤßen Lippen, deine Necktarlippen, deine Wonnelippen (er kuͤßt ſie) nannten Piſas Befreyer deinen Erretter! Nun bin ich gebeugt, meine Liebe! Mein Haar iſt nun grau, und mein Bart iſt fuͤrchterlich, wie eines Gefangnen. Doch der groſſe Morgen wird ja kommen! ſchrecklich, dunkelroth und ſchwuͤhl von Gewittern wird er ja kom- men! Jn ſeinem ſchwarzen Strahle will ich erloͤſchen! Jn ſeiner gebaͤhrenden Wolke ſoll, wie Feuer vom Himmel, mein Geiſt uͤber Piſa ſtehn! Dann erzittre Ein Elender! aber nur Einer. Feuer und Rache! iſt meine Gianetta gefallen! (ſteht tiefſinnig) Mit Gift hingerichtet haben ſie meine Gianetta? Gift ſogen ſie aus den Worten meiner Liebe? ah! aus den Worten meiner Lie- be? Einſame Erde! ich traure! Was? mit Gift hingerichtet haben ſie meine Gianetta? (geht ſtillſchweigend) Gern moͤcht ich die Stimme des Abgrundes vergeſſen! o daß ich ſie nie gehoͤrt haͤtte! Ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ein Gebeinhaus der Ver- hungernden! Denn der Thurm iſt von dieſer Stund an verflucht! ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ha! wie er wuͤtet, der Gedanke! wie er ſich in mir umkehrt! Jch kann ihn nicht aus- denken! und mag nicht! O pfui! pfui! Brandmaal fuͤr die Menſch- F
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vierter Aufzug.
netta! Wider mich hebt ſie ihr bleiches Antlitz zum Himmel! Auf
ihren Ugolino ruft ihr unwilliger Schatten den Richter herab!
Liebenswuͤrdiger Geiſt! liebenswuͤrdig in deinem Unmuth! Jſt
dein Antlitz ganz ernſt? Ah! dein Antlitz iſt ernſt! Einſt hab ich
dich geſehn, meine Gianetta; liebevoll und ſchuͤchtern ſankſt du
in meine Arme. Ruggieri Ubaldini trat heran; das Gewand des
Heuchlers rauſchte lauter; ſein bleyfarbigtes waͤſſerigtes Angeſicht
tobte vom Sturm ſeiner Seele; er waͤlzte ſeine adrigten Augen
weit hervor; Tuͤcke und Verderben lauſchten nicht mehr im
Schleyer der Nacht! Du aber lagſt furchtſam athmend an mei-
nem Halſe. Da erhob ſich mein Herz! Da erkannte Ruggieri
noch einmal Gherardeſca, den Mann! Da waren deine Blicke
mild, wie der Morgenthan; und deine ſuͤßen Lippen, deine
Necktarlippen, deine Wonnelippen (er kuͤßt ſie) nannten Piſas
Befreyer deinen Erretter! Nun bin ich gebeugt, meine Liebe!
Mein Haar iſt nun grau, und mein Bart iſt fuͤrchterlich, wie
eines Gefangnen. Doch der groſſe Morgen wird ja kommen!
ſchrecklich, dunkelroth und ſchwuͤhl von Gewittern wird er ja kom-
men! Jn ſeinem ſchwarzen Strahle will ich erloͤſchen! Jn ſeiner
gebaͤhrenden Wolke ſoll, wie Feuer vom Himmel, mein Geiſt
uͤber Piſa ſtehn! Dann erzittre Ein Elender! aber nur Einer.
Feuer und Rache! iſt meine Gianetta gefallen! (ſteht tiefſinnig)
Mit Gift hingerichtet haben ſie meine Gianetta? Gift ſogen ſie
aus den Worten meiner Liebe? ah! aus den Worten meiner Lie-
be? Einſame Erde! ich traure! Was? mit Gift hingerichtet
haben ſie meine Gianetta? (geht ſtillſchweigend) Gern moͤcht ich die
Stimme des Abgrundes vergeſſen! o daß ich ſie nie gehoͤrt haͤtte!
Ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ein Gebeinhaus der Ver-
hungernden! Denn der Thurm iſt von dieſer Stund an verflucht!
ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ha! wie er wuͤtet, der
Gedanke! wie er ſich in mir umkehrt! Jch kann ihn nicht aus-
denken! und mag nicht! O pfui! pfui! Brandmaal fuͤr die
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