Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.rung derselben findet sieh nur in ganz vereinzelten Fällen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer Völker, besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas ähnlichem fast immer erklären lassen. Wohl aber sind die Menschenopfer im Laufe der Zeiten bei manchen Völkern abgekommen: so bei den Indogermanen, den Semiten u. s. w. Die Zahl dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu ungeheuer, wie folgende Zeugnisse, die alle aus Waitz 4, 157 ff. entlehnt sind, beweisen. Der Bischof Zumarraga (zur Zeit der Entdeckung) schätzt sie bei Torquemada auf 20,000 jährlich, wenigstens für die letzte Zeit des Reichs; in der Hauptstadt und ihrer nächsten Umgebung soll ihre Zahl jährlich mehr als 2500 gewesen sein. Oviedo behauptet, dass Montezuma jedes Jahr über 5000 geopfert hätte; bei einem Fest in der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer jährlich; der zweite Monat des Jahres war, weil er so viele Menschenopfer forderte, nach der Schlaflosigkeit der Menschen benannt. Trat Dürre, Misswachs u. dergl. ein, so wurden die Opfer vermehrt. Die Einweihung des Haupttempels zu Tenochtitlan (den 19. Februar 1487 nach Gama) "soll nach Torquemada (1610) 62,344, nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl (von mütterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen Fürstengeschlecht, von väterlicher Seite Spanier, der mit grossem Eifer die Geschichte des Landes seiner mütterlichen Vorfahren durchforschte und seine grossentheils zuverlässigen Werke um 1600 schrieb Waitz 4, 7 u. 8) sogar 80,400 Menschen das Leben gekostet haben." Die Schädel der Opfer wurden zu einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet, die man im mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat (Waitz 4, 149). Und ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen dadurch hinzu, dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer, nur wenigere forderte: durch die stete Wiederholung aber, denn es gab viel Feste im Jahr, sammeln sich auch diese zu einer grossen Summe. Wenn wir nun auch mit Waitz die kleinsten der genannten Zahlen für die wahrscheinlichsten halten; so ist die Zahl, die für jedes Jahr herauskommt, noch immer enorm. Waren die eben besprochenen nur solche Opfer, die man den Göttern brachte, so forderte der Tod vornehmer Menschen andere. Starb der Herrscher oder irgend ein Vornehmerer sonst, so folgten diesem Weiber und Sklaven in den Tod; aber da nun am 4ten, 20sten, 40sten und 80sten Tage nach dem Begräbniss auf dem Grabe derartige Abschlachtungen stattfinden mussten, so darf man sich auch die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Menschen nicht zu gering denken: stieg sie doch manchmal bis auf 200 (4, 167). Die Quiches in Guatemala (4, 264) so wie die Chorotegen in Nikaragua (279), toltekische Völker, brachten Menschenopfer dar wohl ebenso reichlich als die Mexikaner, wie denn ihre Religion in fast allen Stücken der mexikanischen gleich war. In Yukatan, wo rung derselben findet sieh nur in ganz vereinzelten Fällen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer Völker, besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas ähnlichem fast immer erklären lassen. Wohl aber sind die Menschenopfer im Laufe der Zeiten bei manchen Völkern abgekommen: so bei den Indogermanen, den Semiten u. s. w. Die Zahl dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu ungeheuer, wie folgende Zeugnisse, die alle aus Waitz 4, 157 ff. entlehnt sind, beweisen. Der Bischof Zumarraga (zur Zeit der Entdeckung) schätzt sie bei Torquemada auf 20,000 jährlich, wenigstens für die letzte Zeit des Reichs; in der Hauptstadt und ihrer nächsten Umgebung soll ihre Zahl jährlich mehr als 2500 gewesen sein. Oviedo behauptet, dass Montezuma jedes Jahr über 5000 geopfert hätte; bei einem Fest in der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer jährlich; der zweite Monat des Jahres war, weil er so viele Menschenopfer forderte, nach der Schlaflosigkeit der Menschen benannt. Trat Dürre, Misswachs u. dergl. ein, so wurden die Opfer vermehrt. Die Einweihung des Haupttempels zu Tenochtitlan (den 19. Februar 1487 nach Gama) »soll nach Torquemada (1610) 62,344, nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl (von mütterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen Fürstengeschlecht, von väterlicher Seite Spanier, der mit grossem Eifer die Geschichte des Landes seiner mütterlichen Vorfahren durchforschte und seine grossentheils zuverlässigen Werke um 1600 schrieb Waitz 4, 7 u. 8) sogar 80,400 Menschen das Leben gekostet haben.« Die Schädel der Opfer wurden zu einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet, die man im mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat (Waitz 4, 149). Und ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen dadurch hinzu, dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer, nur wenigere forderte: durch die stete Wiederholung aber, denn es gab viel Feste im Jahr, sammeln sich auch diese zu einer grossen Summe. Wenn wir nun auch mit Waitz die kleinsten der genannten Zahlen für die wahrscheinlichsten halten; so ist die Zahl, die für jedes Jahr herauskommt, noch immer enorm. Waren die eben besprochenen nur solche Opfer, die man den Göttern brachte, so forderte der Tod vornehmer Menschen andere. Starb der Herrscher oder irgend ein Vornehmerer sonst, so folgten diesem Weiber und Sklaven in den Tod; aber da nun am 4ten, 20sten, 40sten und 80sten Tage nach dem Begräbniss auf dem Grabe derartige Abschlachtungen stattfinden mussten, so darf man sich auch die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Menschen nicht zu gering denken: stieg sie doch manchmal bis auf 200 (4, 167). Die Quiches in Guatemala (4, 264) so wie die Chorotegen in Nikaragua (279), toltekische Völker, brachten Menschenopfer dar wohl ebenso reichlich als die Mexikaner, wie denn ihre Religion in fast allen Stücken der mexikanischen gleich war. In Yukatan, wo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086"/> rung derselben findet sieh nur in ganz vereinzelten Fällen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer Völker, besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas ähnlichem fast immer erklären lassen. Wohl aber sind die Menschenopfer im Laufe der Zeiten bei manchen Völkern abgekommen: so bei den Indogermanen, den Semiten u. s. w. Die Zahl dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu ungeheuer, wie folgende Zeugnisse, die alle aus Waitz 4, 157 ff. entlehnt sind, beweisen. Der Bischof Zumarraga (zur Zeit der Entdeckung) schätzt sie bei Torquemada auf 20,000 jährlich, wenigstens für die letzte Zeit des Reichs; in der Hauptstadt und ihrer nächsten Umgebung soll ihre Zahl jährlich mehr als 2500 gewesen sein. Oviedo behauptet, dass Montezuma jedes Jahr über 5000 geopfert hätte; bei einem Fest in der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer jährlich; der zweite Monat des Jahres war, weil er so viele Menschenopfer forderte, nach der Schlaflosigkeit der Menschen benannt. Trat Dürre, Misswachs u. dergl. ein, so wurden die Opfer vermehrt. Die Einweihung des Haupttempels zu Tenochtitlan (den 19. Februar 1487 nach Gama) »soll nach Torquemada (1610) 62,344, nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl (von mütterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen Fürstengeschlecht, von väterlicher Seite Spanier, der mit grossem Eifer die Geschichte des Landes seiner mütterlichen Vorfahren durchforschte und seine grossentheils zuverlässigen Werke um 1600 schrieb Waitz 4, 7 u. 8) sogar 80,400 Menschen das Leben gekostet haben.« Die Schädel der Opfer wurden zu einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet, die man im mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat (Waitz 4, 149). Und ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen dadurch hinzu, dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer, nur wenigere forderte: durch die stete Wiederholung aber, denn es gab viel Feste im Jahr, sammeln sich auch diese zu einer grossen Summe. Wenn wir nun auch mit Waitz die kleinsten der genannten Zahlen für die wahrscheinlichsten halten; so ist die Zahl, die für jedes Jahr herauskommt, noch immer enorm. Waren die eben besprochenen nur solche Opfer, die man den Göttern brachte, so forderte der Tod vornehmer Menschen andere. Starb der Herrscher oder irgend ein Vornehmerer sonst, so folgten diesem Weiber und Sklaven in den Tod; aber da nun am 4ten, 20sten, 40sten und 80sten Tage nach dem Begräbniss auf dem Grabe derartige Abschlachtungen stattfinden mussten, so darf man sich auch die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Menschen nicht zu gering denken: stieg sie doch manchmal bis auf 200 (4, 167).</p> <p>Die Quiches in Guatemala (4, 264) so wie die Chorotegen in Nikaragua (279), toltekische Völker, brachten Menschenopfer dar wohl ebenso reichlich als die Mexikaner, wie denn ihre Religion in fast allen Stücken der mexikanischen gleich war. In Yukatan, wo </p> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
rung derselben findet sieh nur in ganz vereinzelten Fällen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer Völker, besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas ähnlichem fast immer erklären lassen. Wohl aber sind die Menschenopfer im Laufe der Zeiten bei manchen Völkern abgekommen: so bei den Indogermanen, den Semiten u. s. w. Die Zahl dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu ungeheuer, wie folgende Zeugnisse, die alle aus Waitz 4, 157 ff. entlehnt sind, beweisen. Der Bischof Zumarraga (zur Zeit der Entdeckung) schätzt sie bei Torquemada auf 20,000 jährlich, wenigstens für die letzte Zeit des Reichs; in der Hauptstadt und ihrer nächsten Umgebung soll ihre Zahl jährlich mehr als 2500 gewesen sein. Oviedo behauptet, dass Montezuma jedes Jahr über 5000 geopfert hätte; bei einem Fest in der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer jährlich; der zweite Monat des Jahres war, weil er so viele Menschenopfer forderte, nach der Schlaflosigkeit der Menschen benannt. Trat Dürre, Misswachs u. dergl. ein, so wurden die Opfer vermehrt. Die Einweihung des Haupttempels zu Tenochtitlan (den 19. Februar 1487 nach Gama) »soll nach Torquemada (1610) 62,344, nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl (von mütterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen Fürstengeschlecht, von väterlicher Seite Spanier, der mit grossem Eifer die Geschichte des Landes seiner mütterlichen Vorfahren durchforschte und seine grossentheils zuverlässigen Werke um 1600 schrieb Waitz 4, 7 u. 8) sogar 80,400 Menschen das Leben gekostet haben.« Die Schädel der Opfer wurden zu einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet, die man im mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat (Waitz 4, 149). Und ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen dadurch hinzu, dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer, nur wenigere forderte: durch die stete Wiederholung aber, denn es gab viel Feste im Jahr, sammeln sich auch diese zu einer grossen Summe. Wenn wir nun auch mit Waitz die kleinsten der genannten Zahlen für die wahrscheinlichsten halten; so ist die Zahl, die für jedes Jahr herauskommt, noch immer enorm. Waren die eben besprochenen nur solche Opfer, die man den Göttern brachte, so forderte der Tod vornehmer Menschen andere. Starb der Herrscher oder irgend ein Vornehmerer sonst, so folgten diesem Weiber und Sklaven in den Tod; aber da nun am 4ten, 20sten, 40sten und 80sten Tage nach dem Begräbniss auf dem Grabe derartige Abschlachtungen stattfinden mussten, so darf man sich auch die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Menschen nicht zu gering denken: stieg sie doch manchmal bis auf 200 (4, 167).
Die Quiches in Guatemala (4, 264) so wie die Chorotegen in Nikaragua (279), toltekische Völker, brachten Menschenopfer dar wohl ebenso reichlich als die Mexikaner, wie denn ihre Religion in fast allen Stücken der mexikanischen gleich war. In Yukatan, wo
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/86>, abgerufen am 16.02.2025. |