Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.dem Volke, den man
unbewaffnet trifft (so wurden einmal 16 Weiber gefangen und
gegessen, wie Erskine 182 erzählt). Dass man allen Freunden
von dieser geschätztesten Speise schickt, ist so feste Sitte,
dass gar nicht selten, weil es bei irgend einer Gelegenheit
unterlassen, Krieg entsteht. Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule
in die Hand, malt ihm das Gesicht roth und setzt ihm eine
Perrücke auf (Erskine 262); ja in einigen Gegenden der Gruppe
führen die Weiber um diese Todten und ihnen zum Hohne die
allerschandbarsten Tänze auf (Jacks, bei Erskine 440). Auch
hat man verschiedene Arten, Menschenfleisch zu kochen, welche nach
den Landestheilen verschieden sind (261. 439). Als der Sohn eines
Häuptlings starb; jammerte ihm sein Vater nach: er war so
kühn! er tödtete, wenn sie ihn erzürnten, seine
eigenen Weiber und ass sie (Ersk. 244). Auch Mariner (1, 329) nennt
den Kannibalismus auf den Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt,
dass er von dort erst zu den Tonganern, die ihn nur in
prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausüben, gekommen sei;
an einem Fest hätten die Fidschimänner 200 Feinde
gegessen (1, 345; 2, 71). Wer eines natürlichen Todes stirbt,
wird nicht gegessen (Williams und Calvert 1, 266), doch hat man
auch Gräber erbrochen, um die Leichen zu verzehren! (eb. 212),
ja man schneidet, um auch das Scheusslichste nicht zu verschweigen,
auch von Lebenden, aber nur von gefangenen Feinden, Fleisch ab und
verzehrt es vor ihren Augen (Will. u. Calv. 1, 212). Der Grund des
Kannibalismus, ursprünglich Hass und Rachedurst oder
Prahlerei, indem man sich dadurch furchtbar machen wollte, oder die
Absicht, sich die Eigenschaften des Gefressenen anzueignen, ist
jetzt fast überall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am
Menschenfleisch, das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen.
Roh verzehren sie es nie: die Gabel, mit der es gegessen wird, ist
für alle anderen Speisen verboten (Tabu) (eb. 212). Mit
Trommelschlag in ganz bestimmtem Rythmus
Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt, einmal, weil es anthropologisch von hohem Interesse ist -- dann aber und hauptsächlich, um zu beweisen, dass der Kannibalismus, der so ausgeprägt, so eingewurzelt bei den Fidschis ist, nicht erst, wie jetzt die Häuptlinge gern erzählen, in der letzten Zeit aufgekommen sei, Hand in Hand mit dem blutiger werdenden Kriege (Erskine, 272). dem Volke, den man
unbewaffnet trifft (so wurden einmal 16 Weiber gefangen und
gegessen, wie Erskine 182 erzählt). Dass man allen Freunden
von dieser geschätztesten Speise schickt, ist so feste Sitte,
dass gar nicht selten, weil es bei irgend einer Gelegenheit
unterlassen, Krieg entsteht. Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule
in die Hand, malt ihm das Gesicht roth und setzt ihm eine
Perrücke auf (Erskine 262); ja in einigen Gegenden der Gruppe
führen die Weiber um diese Todten und ihnen zum Hohne die
allerschandbarsten Tänze auf (Jacks, bei Erskine 440). Auch
hat man verschiedene Arten, Menschenfleisch zu kochen, welche nach
den Landestheilen verschieden sind (261. 439). Als der Sohn eines
Häuptlings starb; jammerte ihm sein Vater nach: er war so
kühn! er tödtete, wenn sie ihn erzürnten, seine
eigenen Weiber und ass sie (Ersk. 244). Auch Mariner (1, 329) nennt
den Kannibalismus auf den Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt,
dass er von dort erst zu den Tonganern, die ihn nur in
prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausüben, gekommen sei;
an einem Fest hätten die Fidschimänner 200 Feinde
gegessen (1, 345; 2, 71). Wer eines natürlichen Todes stirbt,
wird nicht gegessen (Williams und Calvert 1, 266), doch hat man
auch Gräber erbrochen, um die Leichen zu verzehren! (eb. 212),
ja man schneidet, um auch das Scheusslichste nicht zu verschweigen,
auch von Lebenden, aber nur von gefangenen Feinden, Fleisch ab und
verzehrt es vor ihren Augen (Will. u. Calv. 1, 212). Der Grund des
Kannibalismus, ursprünglich Hass und Rachedurst oder
Prahlerei, indem man sich dadurch furchtbar machen wollte, oder die
Absicht, sich die Eigenschaften des Gefressenen anzueignen, ist
jetzt fast überall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am
Menschenfleisch, das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen.
Roh verzehren sie es nie: die Gabel, mit der es gegessen wird, ist
für alle anderen Speisen verboten (Tabu) (eb. 212). Mit
Trommelschlag in ganz bestimmtem Rythmus
Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt, einmal, weil es anthropologisch von hohem Interesse ist — dann aber und hauptsächlich, um zu beweisen, dass der Kannibalismus, der so ausgeprägt, so eingewurzelt bei den Fidschis ist, nicht erst, wie jetzt die Häuptlinge gern erzählen, in der letzten Zeit aufgekommen sei, Hand in Hand mit dem blutiger werdenden Kriege (Erskine, 272). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0081"/> dem Volke, den man unbewaffnet trifft (so wurden einmal 16 Weiber gefangen und gegessen, wie Erskine 182 erzählt). Dass man allen Freunden von dieser geschätztesten Speise schickt, ist so feste Sitte, dass gar nicht selten, weil es bei irgend einer Gelegenheit unterlassen, Krieg entsteht. Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule in die Hand, malt ihm das Gesicht roth und setzt ihm eine Perrücke auf (Erskine 262); ja in einigen Gegenden der Gruppe führen die Weiber um diese Todten und ihnen zum Hohne die allerschandbarsten Tänze auf (Jacks, bei Erskine 440). Auch hat man verschiedene Arten, Menschenfleisch zu kochen, welche nach den Landestheilen verschieden sind (261. 439). Als der Sohn eines Häuptlings starb; jammerte ihm sein Vater nach: er war so kühn! er tödtete, wenn sie ihn erzürnten, seine eigenen Weiber und ass sie (Ersk. 244). Auch Mariner (1, 329) nennt den Kannibalismus auf den Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt, dass er von dort erst zu den Tonganern, die ihn nur in prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausüben, gekommen sei; an einem Fest hätten die Fidschimänner 200 Feinde gegessen (1, 345; 2, 71). Wer eines natürlichen Todes stirbt, wird nicht gegessen (Williams und Calvert 1, 266), doch hat man auch Gräber erbrochen, um die Leichen zu verzehren! (eb. 212), ja man schneidet, um auch das Scheusslichste nicht zu verschweigen, auch von Lebenden, aber nur von gefangenen Feinden, Fleisch ab und verzehrt es vor ihren Augen (Will. u. Calv. 1, 212). Der Grund des Kannibalismus, ursprünglich Hass und Rachedurst oder Prahlerei, indem man sich dadurch furchtbar machen wollte, oder die Absicht, sich die Eigenschaften des Gefressenen anzueignen, ist jetzt fast überall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am Menschenfleisch, das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen. Roh verzehren sie es nie: die Gabel, mit der es gegessen wird, ist für alle anderen Speisen verboten (Tabu) (eb. 212). Mit Trommelschlag in ganz bestimmtem Rythmus<lb/><figure facs="http://www.gutenberg.org/files/14028/14028-h/images/rythmus.png"/><lb/> der sonst nie angewendet wird, laden sie zu den Kannibalenfesten ein (Erskine 291), von denen Weiber fast immer, Sklaven und gewisse Priester immer ausgeschlossen sind (Erskine 260; Williams und Calvert 1, 211). Und trotz alledem hatte der Kannibalismus eine religiöse Weihe bei ihnen: die getödteten Feinde werden zuerst den Göttern dargeboten (Erskine 261), die selbst Kannibalen sind (247) und jedes Kannibalenfest hat bestimmte, sonst nicht getanzte heilige Tänze (209. 440).</p> <p>Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt, einmal, weil es anthropologisch von hohem Interesse ist — dann aber und hauptsächlich, um zu beweisen, dass der Kannibalismus, der so ausgeprägt, so eingewurzelt bei den Fidschis ist, nicht erst, wie jetzt die Häuptlinge gern erzählen, in der letzten Zeit aufgekommen sei, Hand in Hand mit dem blutiger werdenden Kriege (Erskine, 272). </p> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
dem Volke, den man unbewaffnet trifft (so wurden einmal 16 Weiber gefangen und gegessen, wie Erskine 182 erzählt). Dass man allen Freunden von dieser geschätztesten Speise schickt, ist so feste Sitte, dass gar nicht selten, weil es bei irgend einer Gelegenheit unterlassen, Krieg entsteht. Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule in die Hand, malt ihm das Gesicht roth und setzt ihm eine Perrücke auf (Erskine 262); ja in einigen Gegenden der Gruppe führen die Weiber um diese Todten und ihnen zum Hohne die allerschandbarsten Tänze auf (Jacks, bei Erskine 440). Auch hat man verschiedene Arten, Menschenfleisch zu kochen, welche nach den Landestheilen verschieden sind (261. 439). Als der Sohn eines Häuptlings starb; jammerte ihm sein Vater nach: er war so kühn! er tödtete, wenn sie ihn erzürnten, seine eigenen Weiber und ass sie (Ersk. 244). Auch Mariner (1, 329) nennt den Kannibalismus auf den Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt, dass er von dort erst zu den Tonganern, die ihn nur in prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausüben, gekommen sei; an einem Fest hätten die Fidschimänner 200 Feinde gegessen (1, 345; 2, 71). Wer eines natürlichen Todes stirbt, wird nicht gegessen (Williams und Calvert 1, 266), doch hat man auch Gräber erbrochen, um die Leichen zu verzehren! (eb. 212), ja man schneidet, um auch das Scheusslichste nicht zu verschweigen, auch von Lebenden, aber nur von gefangenen Feinden, Fleisch ab und verzehrt es vor ihren Augen (Will. u. Calv. 1, 212). Der Grund des Kannibalismus, ursprünglich Hass und Rachedurst oder Prahlerei, indem man sich dadurch furchtbar machen wollte, oder die Absicht, sich die Eigenschaften des Gefressenen anzueignen, ist jetzt fast überall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am Menschenfleisch, das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen. Roh verzehren sie es nie: die Gabel, mit der es gegessen wird, ist für alle anderen Speisen verboten (Tabu) (eb. 212). Mit Trommelschlag in ganz bestimmtem Rythmus
[Abbildung]
der sonst nie angewendet wird, laden sie zu den Kannibalenfesten ein (Erskine 291), von denen Weiber fast immer, Sklaven und gewisse Priester immer ausgeschlossen sind (Erskine 260; Williams und Calvert 1, 211). Und trotz alledem hatte der Kannibalismus eine religiöse Weihe bei ihnen: die getödteten Feinde werden zuerst den Göttern dargeboten (Erskine 261), die selbst Kannibalen sind (247) und jedes Kannibalenfest hat bestimmte, sonst nicht getanzte heilige Tänze (209. 440).
Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt, einmal, weil es anthropologisch von hohem Interesse ist — dann aber und hauptsächlich, um zu beweisen, dass der Kannibalismus, der so ausgeprägt, so eingewurzelt bei den Fidschis ist, nicht erst, wie jetzt die Häuptlinge gern erzählen, in der letzten Zeit aufgekommen sei, Hand in Hand mit dem blutiger werdenden Kriege (Erskine, 272).
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