Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.liessen, bis auf den Tribut, den sie zahlen mussten (Waitz 4, 77. 406), so konnten diese wohl den Namen von Völkern aufhören machen, indem sie das besiegte dem eigenen Volke einverleibten, und namentlich in Peru geschah das öfters (407), aber ein Volk vernichten oder auch nur so weit verringern, dass seine Lebenskraft dadurch gebrochen wäre, konnten sie nicht und haben sie nicht gethan, denn Columbus, Cortez und Pizarro fanden dichtbevölkerte, blühende Staaten vor. Zwar herrschte auch Anthropophagie in Mexiko: die geopferten Sklaven oder Kriegsgefangenen wurden verzehrt, und die Ottomies sollen sogar Menschenfleisch auf dem Markte verkauft haben, eine Sitte, die man so wenig anstössig fand, dass man offen davon sprach und den Spaniern erzählte, ihr Fleisch schmecke bitter (Waitz 4, 158); doch liegt es auf der Hand, dass auch diese Sitte dem Bestehen dieser Völker oder seiner Nachbarn nicht die mindeste Gefahr brachte, da sie sehr wenig ausgedehnt war. Sie scheint ein Recht zu sein aus alter und ältester Zeit, wo sie dann freilich weitere Verbreitung gehabt haben wird. Auch in Neugranada war Kannibalismus, in manchen Gegenden des Landes in sehr roher Form, verbreitet (Waitz 4, 374, 376). Was von den Cariben erzählt wird, dass sie ihre eigenen mit gefangenen Weibern erzeugten Kinder gefressen hätten, wird auch von ihnen berichtet (4, 374). Auch in Yukatan (310) fand sich Anthropophagie. Anders aber finden wir es in der Südsee. Zwar in Australien sind, ausser im Norden, die Kämpfe an sich wenig blutig: Hale 115 beschreibt dieselben, wie sie meist aus Privatschlägereien entstehen, wie sich dann beide Parteien, jede bis 200 stark, heftig und lange erst schelten, und dann Mann für Mann vortritt und den Speer schleudert, bis einer verwundet wird: dann hört der Kampf auf. Doch fehlt es ihnen keineswegs an Muth, Kraft und Standhaftigkeit, wie sie auch Schmerzen mit grosser Geduld ertragen (Turnbull 34-35). Allein da die Kriege, bei der Verfehdung fast aller Stämme unter einander, doch sehr zahlreich sind (Wilson 143 v.d. Rafflesbai), da man manche Stämme von ihnen, namentlich die Nordaustralier, deren Krieger und Zauberer durch den ganzen Continent aufs Aeusserste gefürchtet sind, als Gegner auch Europäern gegenüber keineswegs verachten darf (Grey 1, 152), da ferner auch diese Kriege zum grössten Theil in Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder Schlafender bestehen und, weil jede solche That wieder Rache verlangt, geradezu unendlich sind (Meinicke a 2, 198) -- so sind sie für die Zahl und das Gedeihen der Einwohner so verhängnissvoll, dass wir sie als eine der wichtigeren Ursachen für das Aussterben der Australier hier bezeichnen müssen. Auch die Eingeborenen von Vandiemensland lebten unter einander in beständigem Streit, der von Stamm gegen Stamm ausgefochten wurde (Nixon 26). Auch Kannibalismus herrscht in Neuholland, doch keineswegs liessen, bis auf den Tribut, den sie zahlen mussten (Waitz 4, 77. 406), so konnten diese wohl den Namen von Völkern aufhören machen, indem sie das besiegte dem eigenen Volke einverleibten, und namentlich in Peru geschah das öfters (407), aber ein Volk vernichten oder auch nur so weit verringern, dass seine Lebenskraft dadurch gebrochen wäre, konnten sie nicht und haben sie nicht gethan, denn Columbus, Cortez und Pizarro fanden dichtbevölkerte, blühende Staaten vor. Zwar herrschte auch Anthropophagie in Mexiko: die geopferten Sklaven oder Kriegsgefangenen wurden verzehrt, und die Ottomies sollen sogar Menschenfleisch auf dem Markte verkauft haben, eine Sitte, die man so wenig anstössig fand, dass man offen davon sprach und den Spaniern erzählte, ihr Fleisch schmecke bitter (Waitz 4, 158); doch liegt es auf der Hand, dass auch diese Sitte dem Bestehen dieser Völker oder seiner Nachbarn nicht die mindeste Gefahr brachte, da sie sehr wenig ausgedehnt war. Sie scheint ein Recht zu sein aus alter und ältester Zeit, wo sie dann freilich weitere Verbreitung gehabt haben wird. Auch in Neugranada war Kannibalismus, in manchen Gegenden des Landes in sehr roher Form, verbreitet (Waitz 4, 374, 376). Was von den Cariben erzählt wird, dass sie ihre eigenen mit gefangenen Weibern erzeugten Kinder gefressen hätten, wird auch von ihnen berichtet (4, 374). Auch in Yukatan (310) fand sich Anthropophagie. Anders aber finden wir es in der Südsee. Zwar in Australien sind, ausser im Norden, die Kämpfe an sich wenig blutig: Hale 115 beschreibt dieselben, wie sie meist aus Privatschlägereien entstehen, wie sich dann beide Parteien, jede bis 200 stark, heftig und lange erst schelten, und dann Mann für Mann vortritt und den Speer schleudert, bis einer verwundet wird: dann hört der Kampf auf. Doch fehlt es ihnen keineswegs an Muth, Kraft und Standhaftigkeit, wie sie auch Schmerzen mit grosser Geduld ertragen (Turnbull 34-35). Allein da die Kriege, bei der Verfehdung fast aller Stämme unter einander, doch sehr zahlreich sind (Wilson 143 v.d. Rafflesbai), da man manche Stämme von ihnen, namentlich die Nordaustralier, deren Krieger und Zauberer durch den ganzen Continent aufs Aeusserste gefürchtet sind, als Gegner auch Europäern gegenüber keineswegs verachten darf (Grey 1, 152), da ferner auch diese Kriege zum grössten Theil in Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder Schlafender bestehen und, weil jede solche That wieder Rache verlangt, geradezu unendlich sind (Meinicke a 2, 198) — so sind sie für die Zahl und das Gedeihen der Einwohner so verhängnissvoll, dass wir sie als eine der wichtigeren Ursachen für das Aussterben der Australier hier bezeichnen müssen. Auch die Eingeborenen von Vandiemensland lebten unter einander in beständigem Streit, der von Stamm gegen Stamm ausgefochten wurde (Nixon 26). 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Zwar herrschte auch Anthropophagie in Mexiko: die geopferten Sklaven oder Kriegsgefangenen wurden verzehrt, und die Ottomies sollen sogar Menschenfleisch auf dem Markte verkauft haben, eine Sitte, die man so wenig anstössig fand, dass man offen davon sprach und den Spaniern erzählte, ihr Fleisch schmecke bitter (Waitz 4, 158); doch liegt es auf der Hand, dass auch diese Sitte dem Bestehen dieser Völker oder seiner Nachbarn nicht die mindeste Gefahr brachte, da sie sehr wenig ausgedehnt war. Sie scheint ein Recht zu sein aus alter und ältester Zeit, wo sie dann freilich weitere Verbreitung gehabt haben wird. Auch in Neugranada war Kannibalismus, in manchen Gegenden des Landes in sehr roher Form, verbreitet (Waitz 4, 374, 376). Was von den Cariben erzählt wird, dass sie ihre eigenen mit gefangenen Weibern erzeugten Kinder gefressen hätten, wird auch von ihnen berichtet (4, 374). Auch in Yukatan (310) fand sich Anthropophagie.</p> <p>Anders aber finden wir es in der Südsee. Zwar in Australien sind, ausser im Norden, die Kämpfe an sich wenig blutig: Hale 115 beschreibt dieselben, wie sie meist aus Privatschlägereien entstehen, wie sich dann beide Parteien, jede bis 200 stark, heftig und lange erst schelten, und dann Mann für Mann vortritt und den Speer schleudert, bis einer verwundet wird: dann hört der Kampf auf. Doch fehlt es ihnen keineswegs an Muth, Kraft und Standhaftigkeit, wie sie auch Schmerzen mit grosser Geduld ertragen (Turnbull 34-35). Allein da die Kriege, bei der Verfehdung fast aller Stämme unter einander, doch sehr zahlreich sind (Wilson 143 v.d. Rafflesbai), da man manche Stämme von ihnen, namentlich die Nordaustralier, deren Krieger und Zauberer durch den ganzen Continent aufs Aeusserste gefürchtet sind, als Gegner auch Europäern gegenüber keineswegs verachten darf (Grey 1, 152), da ferner auch diese Kriege zum grössten Theil in Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder Schlafender bestehen und, weil jede solche That wieder Rache verlangt, geradezu unendlich sind (Meinicke a 2, 198) — so sind sie für die Zahl und das Gedeihen der Einwohner so verhängnissvoll, dass wir sie als eine der wichtigeren Ursachen für das Aussterben der Australier hier bezeichnen müssen. Auch die Eingeborenen von Vandiemensland lebten unter einander in beständigem Streit, der von Stamm gegen Stamm ausgefochten wurde (Nixon 26).</p> <p>Auch Kannibalismus herrscht in Neuholland, doch keineswegs </p> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
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Anders aber finden wir es in der Südsee. Zwar in Australien sind, ausser im Norden, die Kämpfe an sich wenig blutig: Hale 115 beschreibt dieselben, wie sie meist aus Privatschlägereien entstehen, wie sich dann beide Parteien, jede bis 200 stark, heftig und lange erst schelten, und dann Mann für Mann vortritt und den Speer schleudert, bis einer verwundet wird: dann hört der Kampf auf. Doch fehlt es ihnen keineswegs an Muth, Kraft und Standhaftigkeit, wie sie auch Schmerzen mit grosser Geduld ertragen (Turnbull 34-35). Allein da die Kriege, bei der Verfehdung fast aller Stämme unter einander, doch sehr zahlreich sind (Wilson 143 v.d. Rafflesbai), da man manche Stämme von ihnen, namentlich die Nordaustralier, deren Krieger und Zauberer durch den ganzen Continent aufs Aeusserste gefürchtet sind, als Gegner auch Europäern gegenüber keineswegs verachten darf (Grey 1, 152), da ferner auch diese Kriege zum grössten Theil in Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder Schlafender bestehen und, weil jede solche That wieder Rache verlangt, geradezu unendlich sind (Meinicke a 2, 198) — so sind sie für die Zahl und das Gedeihen der Einwohner so verhängnissvoll, dass wir sie als eine der wichtigeren Ursachen für das Aussterben der Australier hier bezeichnen müssen. Auch die Eingeborenen von Vandiemensland lebten unter einander in beständigem Streit, der von Stamm gegen Stamm ausgefochten wurde (Nixon 26).
Auch Kannibalismus herrscht in Neuholland, doch keineswegs
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