Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.Anders war es in Südamerika, wo Schomburgk 2, 420 die Cariben als Trunkenbolde schildert; und schon von Alters her hatten sie ausser andern ein berauschendes Getränk aus Cassadabrod, welches zerbrochen, mit heissem Wasser zu einem Teig zerrührt, dann von alten Weibern durchgekaut und in einen Trog gespieen wurde, wo es nun gähren musste (Schomburgk 1, 173); ganz ähnlich bereiteten die Tupis einen berauschenden Trank aus Mais oder Hirse, wobei das Getreide gekocht und von alten Weibern durchgekaut wurde. Sie nannten es Caouin oder Kaveng und sowohl durch die Bereitungsart als durch den Namen wird man an den gleich zu erwähnenden polynesischen Kavatrank erinnert (Waitz 3, 423-24). Gegohrene Getränke hatten die Araukaner (3, 509), die Chiquitos, die dem Trunke sehr ergeben waren (eb. 530) und sind (533), die Moxos (537), welche ihn gleichfalls sehr lieben und andere Völker schon vor der Entdeckung. Dass nun durch den Einfluss der Europäer diese Neigung nicht vermindert, sondern nur gestiegen ist, begreift sich; und so wird es uns von den Cariben (Schomburgk 1, 173) von den Warans (eb. 1, 123), den Charuas (Azara 184), den Mbayas (eb. 242) u. s. w. berichtet. In Nordamerika, bei den Indianern der Vereinigten Staaten, waren vor den Europäern keine geistigen Getränke in Gebrauch, ja Wasser war fast das einzige Getränk, was sie genossen, wie Waitz 3, 82 ins Einzelne ausführt; ebenso war es bei den Koluschen und den Chinooks (3, 84. 337). Wenn nun der Trunk, der Branntwein in Nordamerika doch so traurige Folgen gehabt und ganze Stämme dahin gerafft hat, so dass man oft genug die Behauptung findet, die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben gewesen; so fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf, die sich nach Waitz 3, 83-84 und 270, der die Quellenbeweise beibringt, so stellt, dass die Indianer sich aufs stärkste gegen den Verkauf von Branntwein gewehrt und viele Verträge geschlossen haben, in welchen die Einfuhr derselben ausdrücklich verboten war, dass aber der Branntwein dennoch, sogar mit Gewalt, von den europäischen Nationen den Eingeborenen aufgezwungen ist, theils um das Produkt abzusetzen, theils um sie im Trunke zu betrügen, theils auch geradezu, um sie durch den Trunk zu vernichten. Das ist denn nur allzugut gelungen; denn wenn auch, trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit, die Amerikaner einen höchst beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel entgegensetzten, so konnte dieser eben bei ihrer Natur kein absoluter sein; öfters zwang sie der Nahrungsmangel zum Trunk und ein sehr häufiger Grund, sich dem Trunke zu ergeben (der auch in Mittelamerika vielfach vorkam) war der, dass man aus der grenzenlosen Fülle des Elends ringsher sich wenigstens einmal wieder durch den Rausch in einen glücklichen Zustand versetzen oder dass man sich in der Verzweiflung betäuben wollte. Uebrigens Anders war es in Südamerika, wo Schomburgk 2, 420 die Cariben als Trunkenbolde schildert; und schon von Alters her hatten sie ausser andern ein berauschendes Getränk aus Cassadabrod, welches zerbrochen, mit heissem Wasser zu einem Teig zerrührt, dann von alten Weibern durchgekaut und in einen Trog gespieen wurde, wo es nun gähren musste (Schomburgk 1, 173); ganz ähnlich bereiteten die Tupis einen berauschenden Trank aus Mais oder Hirse, wobei das Getreide gekocht und von alten Weibern durchgekaut wurde. Sie nannten es Caouin oder Kaveng und sowohl durch die Bereitungsart als durch den Namen wird man an den gleich zu erwähnenden polynesischen Kavatrank erinnert (Waitz 3, 423-24). Gegohrene Getränke hatten die Araukaner (3, 509), die Chiquitos, die dem Trunke sehr ergeben waren (eb. 530) und sind (533), die Moxos (537), welche ihn gleichfalls sehr lieben und andere Völker schon vor der Entdeckung. Dass nun durch den Einfluss der Europäer diese Neigung nicht vermindert, sondern nur gestiegen ist, begreift sich; und so wird es uns von den Cariben (Schomburgk 1, 173) von den Warans (eb. 1, 123), den Charuas (Azara 184), den Mbayas (eb. 242) u. s. w. berichtet. In Nordamerika, bei den Indianern der Vereinigten Staaten, waren vor den Europäern keine geistigen Getränke in Gebrauch, ja Wasser war fast das einzige Getränk, was sie genossen, wie Waitz 3, 82 ins Einzelne ausführt; ebenso war es bei den Koluschen und den Chinooks (3, 84. 337). Wenn nun der Trunk, der Branntwein in Nordamerika doch so traurige Folgen gehabt und ganze Stämme dahin gerafft hat, so dass man oft genug die Behauptung findet, die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben gewesen; so fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf, die sich nach Waitz 3, 83-84 und 270, der die Quellenbeweise beibringt, so stellt, dass die Indianer sich aufs stärkste gegen den Verkauf von Branntwein gewehrt und viele Verträge geschlossen haben, in welchen die Einfuhr derselben ausdrücklich verboten war, dass aber der Branntwein dennoch, sogar mit Gewalt, von den europäischen Nationen den Eingeborenen aufgezwungen ist, theils um das Produkt abzusetzen, theils um sie im Trunke zu betrügen, theils auch geradezu, um sie durch den Trunk zu vernichten. Das ist denn nur allzugut gelungen; denn wenn auch, trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit, die Amerikaner einen höchst beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel entgegensetzten, so konnte dieser eben bei ihrer Natur kein absoluter sein; öfters zwang sie der Nahrungsmangel zum Trunk und ein sehr häufiger Grund, sich dem Trunke zu ergeben (der auch in Mittelamerika vielfach vorkam) war der, dass man aus der grenzenlosen Fülle des Elends ringsher sich wenigstens einmal wieder durch den Rausch in einen glücklichen Zustand versetzen oder dass man sich in der Verzweiflung betäuben wollte. 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Dass nun durch den Einfluss der Europäer diese Neigung nicht vermindert, sondern nur gestiegen ist, begreift sich; und so wird es uns von den Cariben (Schomburgk 1, 173) von den Warans (eb. 1, 123), den Charuas (Azara 184), den Mbayas (eb. 242) u. s. w. berichtet.</p> <p>In Nordamerika, bei den Indianern der Vereinigten Staaten, waren vor den Europäern keine geistigen Getränke in Gebrauch, ja Wasser war fast das einzige Getränk, was sie genossen, wie Waitz 3, 82 ins Einzelne ausführt; ebenso war es bei den Koluschen und den Chinooks (3, 84. 337). Wenn nun der Trunk, der Branntwein in Nordamerika doch so traurige Folgen gehabt und ganze Stämme dahin gerafft hat, so dass man oft genug die Behauptung findet, die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben gewesen; so fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf, die sich nach Waitz 3, 83-84 und 270, der die Quellenbeweise beibringt, so stellt, dass die Indianer sich aufs stärkste gegen den Verkauf von Branntwein gewehrt und viele Verträge geschlossen haben, in welchen die Einfuhr derselben ausdrücklich verboten war, dass aber der Branntwein dennoch, sogar mit Gewalt, von den europäischen Nationen den Eingeborenen aufgezwungen ist, theils um das Produkt abzusetzen, theils um sie im Trunke zu betrügen, theils auch geradezu, um sie durch den Trunk zu vernichten. Das ist denn nur allzugut gelungen; denn wenn auch, trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit, die Amerikaner einen höchst beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel entgegensetzten, so konnte dieser eben bei ihrer Natur kein absoluter sein; öfters zwang sie der Nahrungsmangel zum Trunk und ein sehr häufiger Grund, sich dem Trunke zu ergeben (der auch in Mittelamerika vielfach vorkam) war der, dass man aus der grenzenlosen Fülle des Elends ringsher sich wenigstens einmal wieder durch den Rausch in einen glücklichen Zustand versetzen oder dass man sich in der Verzweiflung betäuben wollte. Uebrigens </p> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Anders war es in Südamerika, wo Schomburgk 2, 420 die Cariben als Trunkenbolde schildert; und schon von Alters her hatten sie ausser andern ein berauschendes Getränk aus Cassadabrod, welches zerbrochen, mit heissem Wasser zu einem Teig zerrührt, dann von alten Weibern durchgekaut und in einen Trog gespieen wurde, wo es nun gähren musste (Schomburgk 1, 173); ganz ähnlich bereiteten die Tupis einen berauschenden Trank aus Mais oder Hirse, wobei das Getreide gekocht und von alten Weibern durchgekaut wurde. Sie nannten es Caouin oder Kaveng und sowohl durch die Bereitungsart als durch den Namen wird man an den gleich zu erwähnenden polynesischen Kavatrank erinnert (Waitz 3, 423-24). Gegohrene Getränke hatten die Araukaner (3, 509), die Chiquitos, die dem Trunke sehr ergeben waren (eb. 530) und sind (533), die Moxos (537), welche ihn gleichfalls sehr lieben und andere Völker schon vor der Entdeckung. Dass nun durch den Einfluss der Europäer diese Neigung nicht vermindert, sondern nur gestiegen ist, begreift sich; und so wird es uns von den Cariben (Schomburgk 1, 173) von den Warans (eb. 1, 123), den Charuas (Azara 184), den Mbayas (eb. 242) u. s. w. berichtet.
In Nordamerika, bei den Indianern der Vereinigten Staaten, waren vor den Europäern keine geistigen Getränke in Gebrauch, ja Wasser war fast das einzige Getränk, was sie genossen, wie Waitz 3, 82 ins Einzelne ausführt; ebenso war es bei den Koluschen und den Chinooks (3, 84. 337). Wenn nun der Trunk, der Branntwein in Nordamerika doch so traurige Folgen gehabt und ganze Stämme dahin gerafft hat, so dass man oft genug die Behauptung findet, die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben gewesen; so fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf, die sich nach Waitz 3, 83-84 und 270, der die Quellenbeweise beibringt, so stellt, dass die Indianer sich aufs stärkste gegen den Verkauf von Branntwein gewehrt und viele Verträge geschlossen haben, in welchen die Einfuhr derselben ausdrücklich verboten war, dass aber der Branntwein dennoch, sogar mit Gewalt, von den europäischen Nationen den Eingeborenen aufgezwungen ist, theils um das Produkt abzusetzen, theils um sie im Trunke zu betrügen, theils auch geradezu, um sie durch den Trunk zu vernichten. Das ist denn nur allzugut gelungen; denn wenn auch, trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit, die Amerikaner einen höchst beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel entgegensetzten, so konnte dieser eben bei ihrer Natur kein absoluter sein; öfters zwang sie der Nahrungsmangel zum Trunk und ein sehr häufiger Grund, sich dem Trunke zu ergeben (der auch in Mittelamerika vielfach vorkam) war der, dass man aus der grenzenlosen Fülle des Elends ringsher sich wenigstens einmal wieder durch den Rausch in einen glücklichen Zustand versetzen oder dass man sich in der Verzweiflung betäuben wollte. Uebrigens
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/54>, abgerufen am 16.07.2024. |