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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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Fähigkeit. Ganz ähnlicher Ansicht über die Neuholländer, wie Pöppig über die Amerikaner, scheint Meinicke zu sein, nur dass er sich verhüllter ausdrückt; doch nennt er sie einen "dem Untergang geweihten" Volksstamm (c 522) und spricht hier n. a 2, 215 von ihrer "gänzlichen Unbildsamkeit". Viel direkter hat man von der Unbildsamkeit, von dem nothwendigen Untergang, von der geringen Lebensfähigkeit der tieferstehenden und mangelhaft organisirten Racen in Amerika (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen machte, den Untergang, welchem diese Racen nun doch einmal geweiht seien, damit auf ihren Trümmern sich das bessere Leben höherstehender Racen entwickeln könne, mit allen Mitteln beschleunigen zu helfen.

Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden etwas Räthselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung auf Australien und Polynesien, da hier eine Hauptursache der Entvölkerung, welche in Amerika so wirksam war, der Druck durch die Weissen, in Polynesien ganz wegfalle, in Australien wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe. "Begreiflicher Weise, fährt er jedoch fort, ist das Aussterben eines Volkes, das früher kräftig und gesund gewesen ist, nicht damit erklärt, dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen ursprünglichen Mangel der Organisation zuschreibt, und es hat an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes für eine so seltene und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang anzunehmen, dem sie ihre Entstehung verdanke; man wird vielmehr hier wie überall nach dem natürlichen Zusammenhange der Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich zu dem Geständnisse genöthigt finden sollte, dass es bis jetzt nicht gelingen will, denselben vollständig aufzuklären."

Wir wollen sehen, ob wir zu diesem Geständniss genöthigt werden.

Auch Darwin (2, 213) sieht bei diesem Aussterben, für welches er viele natürliche Gründe anführt, auch "noch irgend eine mehr räthselhafte Wirksamkeit" thätig. "Die Menschenracen, sagt er, scheinen auf dieselbe Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten, von denen die stärkere die schwächere vertilgt." Er macht darauf aufmerksam, dass fast bei jeder Berührung der Naturvölker und der Weissen, oft auch von Stämmen ein- und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend wohnen, seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei völliger Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten Völkerschaft, "von denen alsdann vorzugsweise die niedere von beiden Racen oder die der Eingeborenen, welche in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu leiden hat" (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings häufen. So sagt Humboldt (a 4, 392), dass in Panama und Calao der Anfang grosser

Fähigkeit. Ganz ähnlicher Ansicht über die Neuholländer, wie Pöppig über die Amerikaner, scheint Meinicke zu sein, nur dass er sich verhüllter ausdrückt; doch nennt er sie einen »dem Untergang geweihten« Volksstamm (c 522) und spricht hier n. a 2, 215 von ihrer »gänzlichen Unbildsamkeit«. Viel direkter hat man von der Unbildsamkeit, von dem nothwendigen Untergang, von der geringen Lebensfähigkeit der tieferstehenden und mangelhaft organisirten Raçen in Amerika (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen machte, den Untergang, welchem diese Raçen nun doch einmal geweiht seien, damit auf ihren Trümmern sich das bessere Leben höherstehender Raçen entwickeln könne, mit allen Mitteln beschleunigen zu helfen.

Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden etwas Räthselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung auf Australien und Polynesien, da hier eine Hauptursache der Entvölkerung, welche in Amerika so wirksam war, der Druck durch die Weissen, in Polynesien ganz wegfalle, in Australien wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe. »Begreiflicher Weise, fährt er jedoch fort, ist das Aussterben eines Volkes, das früher kräftig und gesund gewesen ist, nicht damit erklärt, dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen ursprünglichen Mangel der Organisation zuschreibt, und es hat an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes für eine so seltene und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang anzunehmen, dem sie ihre Entstehung verdanke; man wird vielmehr hier wie überall nach dem natürlichen Zusammenhange der Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich zu dem Geständnisse genöthigt finden sollte, dass es bis jetzt nicht gelingen will, denselben vollständig aufzuklären.«

Wir wollen sehen, ob wir zu diesem Geständniss genöthigt werden.

Auch Darwin (2, 213) sieht bei diesem Aussterben, für welches er viele natürliche Gründe anführt, auch »noch irgend eine mehr räthselhafte Wirksamkeit« thätig. »Die Menschenraçen, sagt er, scheinen auf dieselbe Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten, von denen die stärkere die schwächere vertilgt.« Er macht darauf aufmerksam, dass fast bei jeder Berührung der Naturvölker und der Weissen, oft auch von Stämmen ein- und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend wohnen, seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei völliger Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten Völkerschaft, »von denen alsdann vorzugsweise die niedere von beiden Raçen oder die der Eingeborenen, welche in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu leiden hat« (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings häufen. So sagt Humboldt (a 4, 392), dass in Panama und Calao der Anfang grosser

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 215 von ihrer »gänzlichen Unbildsamkeit«. Viel
 direkter hat man von der Unbildsamkeit, von dem nothwendigen
 Untergang, von der geringen Lebensfähigkeit der
 tieferstehenden und mangelhaft organisirten Raçen in Amerika
 (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und
 Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen
 machte, den Untergang, welchem diese Raçen nun doch einmal
 geweiht seien, damit auf ihren Trümmern sich das bessere Leben
 höherstehender Raçen entwickeln könne, mit allen
 Mitteln beschleunigen zu helfen.</p>
        <p>Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden
 etwas Räthselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung
 auf Australien und Polynesien, da hier eine Hauptursache der
 Entvölkerung, welche in Amerika so wirksam war, der Druck
 durch die Weissen, in Polynesien ganz wegfalle, in Australien
 wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe. »Begreiflicher
 Weise, fährt er jedoch fort, ist das Aussterben eines Volkes,
 das früher kräftig und gesund gewesen ist, nicht damit
 erklärt, dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen
 ursprünglichen Mangel der Organisation zuschreibt, und es hat
 an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes für eine so seltene
 und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang
 anzunehmen, dem sie ihre Entstehung verdanke; man wird vielmehr
 hier wie überall nach dem natürlichen Zusammenhange der
 Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich zu dem
 Geständnisse genöthigt finden sollte, dass es bis jetzt
 nicht gelingen will, denselben vollständig
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 »noch irgend eine mehr räthselhafte Wirksamkeit«
 thätig. »Die Menschenraçen, sagt er, scheinen auf
 dieselbe Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten,
 von denen die stärkere die schwächere vertilgt.« Er
 macht darauf aufmerksam, dass fast bei jeder Berührung der
 Naturvölker und der Weissen, oft auch von Stämmen ein-
 und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend wohnen,
 seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei völliger
 Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten
 Völkerschaft, »von denen alsdann vorzugsweise die
 niedere von beiden Raçen oder die der Eingeborenen, welche
 in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu leiden hat«
 (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings
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[0021] Fähigkeit. Ganz ähnlicher Ansicht über die Neuholländer, wie Pöppig über die Amerikaner, scheint Meinicke zu sein, nur dass er sich verhüllter ausdrückt; doch nennt er sie einen »dem Untergang geweihten« Volksstamm (c 522) und spricht hier n. a 2, 215 von ihrer »gänzlichen Unbildsamkeit«. Viel direkter hat man von der Unbildsamkeit, von dem nothwendigen Untergang, von der geringen Lebensfähigkeit der tieferstehenden und mangelhaft organisirten Raçen in Amerika (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen machte, den Untergang, welchem diese Raçen nun doch einmal geweiht seien, damit auf ihren Trümmern sich das bessere Leben höherstehender Raçen entwickeln könne, mit allen Mitteln beschleunigen zu helfen. Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden etwas Räthselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung auf Australien und Polynesien, da hier eine Hauptursache der Entvölkerung, welche in Amerika so wirksam war, der Druck durch die Weissen, in Polynesien ganz wegfalle, in Australien wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe. »Begreiflicher Weise, fährt er jedoch fort, ist das Aussterben eines Volkes, das früher kräftig und gesund gewesen ist, nicht damit erklärt, dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen ursprünglichen Mangel der Organisation zuschreibt, und es hat an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes für eine so seltene und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang anzunehmen, dem sie ihre Entstehung verdanke; man wird vielmehr hier wie überall nach dem natürlichen Zusammenhange der Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich zu dem Geständnisse genöthigt finden sollte, dass es bis jetzt nicht gelingen will, denselben vollständig aufzuklären.« Wir wollen sehen, ob wir zu diesem Geständniss genöthigt werden. Auch Darwin (2, 213) sieht bei diesem Aussterben, für welches er viele natürliche Gründe anführt, auch »noch irgend eine mehr räthselhafte Wirksamkeit« thätig. »Die Menschenraçen, sagt er, scheinen auf dieselbe Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten, von denen die stärkere die schwächere vertilgt.« Er macht darauf aufmerksam, dass fast bei jeder Berührung der Naturvölker und der Weissen, oft auch von Stämmen ein- und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend wohnen, seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei völliger Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten Völkerschaft, »von denen alsdann vorzugsweise die niedere von beiden Raçen oder die der Eingeborenen, welche in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu leiden hat« (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings häufen. So sagt Humboldt (a 4, 392), dass in Panama und Calao der Anfang grosser

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/21>, abgerufen am 24.11.2024.