Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

von ihnen bewohnten Boden anerkennen und aufs Strengste darauf halten, dass ihnen von Seiten der Kolonisten kein Unrecht geschieht. Freilich werden solche Männer wie Lord Grey, die mit der grössten Umsicht und Energie die reinste Menschenliebe besitzen, nicht häufig gefunden werden; aber man kann auch in der Wahl einer obersten Kolonialverwaltung nicht zu viel thun. Specielle Vorschläge haben Grey für Australien, Dieffenbach für Neuseeland, Andere für andere Völker gemacht; und es liesse sich, bei allen Schwierigkeiten, wenn die Mächte, welche Kolonien besitzen, also vor allen Dingen England ernsthaft wollten, gewiss viel Elend verhüten, viel Gutes stiften und viel Verdorbenes herstellen. Bis jetzt freilich haben die englischen und überhaupt die europäischen Matrosen meist nur das eine Recht der Gewalt; die Frevel, die sie an jenen Völkern begehen, bleiben ungestraft, während es mit den ärgsten Strafen heimgesucht wird, wenn die Eingeborenen irgend an Weissen freveln. Zum Theil ist diese Ungerechtigkeit nöthig, um die fernen Weissen zu schützen; theils aber liegt sie auch in der selbst noch sehr mangelhaften moralischen Entwickelung der Weissen, welche an solchen Gewalttaten im grossen Ganzen kaum einen Frevel. sehen. Was soll man dazu sagen, wenn Schandgeschichten wie die folgende unter Englands offiziellem Schutz geschehen und in den Zeitungen, auch in deutschen, fast als Scherz erzählt werden? Nach der Ermordung eines Kaufmanns*) erschien das englische Kriegsschiff Perseus, Capitän Stevens, 1867 im Frühjahr vor der Palaus (Pelewsinseln, westliches Mikronesien), um Genugthuung zu fordern: es zeigte sich, das der Kaufmann auf Befehl des Königs, auf dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum besass, ermordet sei, weil

*) Der getödtete Engländer hiess Cheyne und ist derselbe, welcher das auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the Western Pacific Ocean, north and south of the Equator geschrieben hat (Petermann, Mittheil. 1868, 28). Obwohl nun dies und seine anderen Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans; so hat man doch bei der Benutzung Vorsicht anzuwenden, da Cheyne, selbst Sandelholzhändler (und Trepangfischer) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten Völker sehr häufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen lässt. So schildert er die Melanesier ohne Ausnahme (Fichteninsel, Lifu, Mare, Uea, Tanna, Erromango u. s. w.) als wild und "höchst verrätherisch" und war selbst häufig mit ihnen im Streit. Ebenso erzählt er von allen Karoliniern, dass man ihnen nicht trauen dürfe. Er steht also selbst auf dem Standpunkt der Sandelholzhändler und beachtet nicht, was die Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit, Raub und roher Gewalt zu leiden hatten. Nach der Lektüre seines Buches wundert man sich nicht, dass er ein solches Ende genommen hat; das ganz einseitige Betonen seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten. Es fällt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgänge in Koror, sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen Kriegsschiffes.

von ihnen bewohnten Boden anerkennen und aufs Strengste darauf halten, dass ihnen von Seiten der Kolonisten kein Unrecht geschieht. Freilich werden solche Männer wie Lord Grey, die mit der grössten Umsicht und Energie die reinste Menschenliebe besitzen, nicht häufig gefunden werden; aber man kann auch in der Wahl einer obersten Kolonialverwaltung nicht zu viel thun. Specielle Vorschläge haben Grey für Australien, Dieffenbach für Neuseeland, Andere für andere Völker gemacht; und es liesse sich, bei allen Schwierigkeiten, wenn die Mächte, welche Kolonien besitzen, also vor allen Dingen England ernsthaft wollten, gewiss viel Elend verhüten, viel Gutes stiften und viel Verdorbenes herstellen. Bis jetzt freilich haben die englischen und überhaupt die europäischen Matrosen meist nur das eine Recht der Gewalt; die Frevel, die sie an jenen Völkern begehen, bleiben ungestraft, während es mit den ärgsten Strafen heimgesucht wird, wenn die Eingeborenen irgend an Weissen freveln. Zum Theil ist diese Ungerechtigkeit nöthig, um die fernen Weissen zu schützen; theils aber liegt sie auch in der selbst noch sehr mangelhaften moralischen Entwickelung der Weissen, welche an solchen Gewalttaten im grossen Ganzen kaum einen Frevel. sehen. Was soll man dazu sagen, wenn Schandgeschichten wie die folgende unter Englands offiziellem Schutz geschehen und in den Zeitungen, auch in deutschen, fast als Scherz erzählt werden? Nach der Ermordung eines Kaufmanns*) erschien das englische Kriegsschiff Perseus, Capitän Stevens, 1867 im Frühjahr vor der Palaus (Pelewsinseln, westliches Mikronesien), um Genugthuung zu fordern: es zeigte sich, das der Kaufmann auf Befehl des Königs, auf dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum besass, ermordet sei, weil

*) Der getödtete Engländer hiess Cheyne und ist derselbe, welcher das auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the Western Pacific Ocean, north and south of the Equator geschrieben hat (Petermann, Mittheil. 1868, 28). Obwohl nun dies und seine anderen Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans; so hat man doch bei der Benutzung Vorsicht anzuwenden, da Cheyne, selbst Sandelholzhändler (und Trepangfischer) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten Völker sehr häufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen lässt. So schildert er die Melanesier ohne Ausnahme (Fichteninsel, Lifu, Mare, Uea, Tanna, Erromango u. s. w.) als wild und »höchst verrätherisch« und war selbst häufig mit ihnen im Streit. Ebenso erzählt er von allen Karoliniern, dass man ihnen nicht trauen dürfe. Er steht also selbst auf dem Standpunkt der Sandelholzhändler und beachtet nicht, was die Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit, Raub und roher Gewalt zu leiden hatten. Nach der Lektüre seines Buches wundert man sich nicht, dass er ein solches Ende genommen hat; das ganz einseitige Betonen seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten. Es fällt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgänge in Koror, sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen Kriegsschiffes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0152"/>
von ihnen bewohnten Boden
 anerkennen und aufs Strengste darauf halten, dass ihnen von Seiten
 der Kolonisten kein Unrecht geschieht. Freilich werden solche
 Männer wie Lord Grey, die mit der grössten Umsicht und
 Energie die reinste Menschenliebe besitzen, nicht häufig
 gefunden werden; aber man kann auch in der Wahl einer obersten
 Kolonialverwaltung nicht zu viel thun. Specielle Vorschläge
 haben Grey für Australien, Dieffenbach für Neuseeland,
 Andere für andere Völker gemacht; und es liesse sich, bei
 allen Schwierigkeiten, wenn die Mächte, welche Kolonien
 besitzen, also vor allen Dingen England ernsthaft wollten, gewiss
 viel Elend verhüten, viel Gutes stiften und viel Verdorbenes
 herstellen. Bis jetzt freilich haben die englischen und
 überhaupt die europäischen Matrosen meist nur das eine
 Recht der Gewalt; die Frevel, die sie an jenen Völkern
 begehen, bleiben ungestraft, während es mit den ärgsten
 Strafen heimgesucht wird, wenn die Eingeborenen irgend an Weissen
 freveln. Zum Theil ist diese Ungerechtigkeit nöthig, um die
 fernen Weissen zu schützen; theils aber liegt sie auch in der
 selbst noch sehr mangelhaften moralischen Entwickelung der Weissen,
 welche an solchen Gewalttaten im grossen Ganzen kaum einen Frevel.
 sehen. Was soll man dazu sagen, wenn Schandgeschichten wie die
 folgende unter Englands offiziellem Schutz geschehen und in den
 Zeitungen, auch in deutschen, fast als Scherz erzählt werden?
 Nach der Ermordung eines Kaufmanns<note place="foot" n="*)">Der getödtete Engländer hiess Cheyne und ist derselbe, welcher das auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the Western Pacific Ocean, north and south of the Equator geschrieben hat (Petermann, Mittheil. 1868, 28). Obwohl nun dies und seine anderen Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans; so hat man doch bei der Benutzung Vorsicht anzuwenden, da Cheyne, selbst Sandelholzhändler (und Trepangfischer) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten Völker sehr häufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen lässt. So schildert er die Melanesier ohne Ausnahme (Fichteninsel, Lifu, Mare, Uea, Tanna, Erromango u. s. w.) als wild und »höchst verrätherisch« und war selbst häufig mit ihnen im Streit. Ebenso erzählt er von allen Karoliniern, dass man ihnen nicht trauen dürfe. Er steht also selbst auf dem Standpunkt der Sandelholzhändler und beachtet nicht, was die Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit, Raub und roher Gewalt zu leiden hatten. Nach der Lektüre seines Buches wundert man sich nicht, dass er ein solches Ende genommen hat; das ganz einseitige Betonen seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten. Es fällt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgänge in Koror, sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen Kriegsschiffes.</note> erschien das englische
 Kriegsschiff Perseus, Capitän Stevens, 1867 im Frühjahr
 vor der Palaus (Pelewsinseln, westliches Mikronesien), um
 Genugthuung zu fordern: es zeigte sich, das der Kaufmann auf Befehl
 des Königs, auf dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum
 besass, ermordet sei, weil
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] von ihnen bewohnten Boden anerkennen und aufs Strengste darauf halten, dass ihnen von Seiten der Kolonisten kein Unrecht geschieht. Freilich werden solche Männer wie Lord Grey, die mit der grössten Umsicht und Energie die reinste Menschenliebe besitzen, nicht häufig gefunden werden; aber man kann auch in der Wahl einer obersten Kolonialverwaltung nicht zu viel thun. Specielle Vorschläge haben Grey für Australien, Dieffenbach für Neuseeland, Andere für andere Völker gemacht; und es liesse sich, bei allen Schwierigkeiten, wenn die Mächte, welche Kolonien besitzen, also vor allen Dingen England ernsthaft wollten, gewiss viel Elend verhüten, viel Gutes stiften und viel Verdorbenes herstellen. Bis jetzt freilich haben die englischen und überhaupt die europäischen Matrosen meist nur das eine Recht der Gewalt; die Frevel, die sie an jenen Völkern begehen, bleiben ungestraft, während es mit den ärgsten Strafen heimgesucht wird, wenn die Eingeborenen irgend an Weissen freveln. Zum Theil ist diese Ungerechtigkeit nöthig, um die fernen Weissen zu schützen; theils aber liegt sie auch in der selbst noch sehr mangelhaften moralischen Entwickelung der Weissen, welche an solchen Gewalttaten im grossen Ganzen kaum einen Frevel. sehen. Was soll man dazu sagen, wenn Schandgeschichten wie die folgende unter Englands offiziellem Schutz geschehen und in den Zeitungen, auch in deutschen, fast als Scherz erzählt werden? Nach der Ermordung eines Kaufmanns *) erschien das englische Kriegsschiff Perseus, Capitän Stevens, 1867 im Frühjahr vor der Palaus (Pelewsinseln, westliches Mikronesien), um Genugthuung zu fordern: es zeigte sich, das der Kaufmann auf Befehl des Königs, auf dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum besass, ermordet sei, weil *) Der getödtete Engländer hiess Cheyne und ist derselbe, welcher das auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the Western Pacific Ocean, north and south of the Equator geschrieben hat (Petermann, Mittheil. 1868, 28). Obwohl nun dies und seine anderen Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans; so hat man doch bei der Benutzung Vorsicht anzuwenden, da Cheyne, selbst Sandelholzhändler (und Trepangfischer) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten Völker sehr häufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen lässt. So schildert er die Melanesier ohne Ausnahme (Fichteninsel, Lifu, Mare, Uea, Tanna, Erromango u. s. w.) als wild und »höchst verrätherisch« und war selbst häufig mit ihnen im Streit. Ebenso erzählt er von allen Karoliniern, dass man ihnen nicht trauen dürfe. Er steht also selbst auf dem Standpunkt der Sandelholzhändler und beachtet nicht, was die Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit, Raub und roher Gewalt zu leiden hatten. Nach der Lektüre seines Buches wundert man sich nicht, dass er ein solches Ende genommen hat; das ganz einseitige Betonen seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten. Es fällt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgänge in Koror, sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen Kriegsschiffes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Die Transkription entspricht den DTA-Richtlinien.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/152
Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/152>, abgerufen am 22.11.2024.