Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.Erster Abschnitt. Rechte schonen soll.1 -- Die Staatsgewalt, indemsie ihren Beruf als höchste Ordnerin des Gemeinwesens vollzieht, ist genöthigt, die verschiedensten Interessen des Volkslebens zu berühren und in dieselben einzu- greifen, Verpflichtungen der mannichfachsten Art in Ge- und Verboten aufzulegen, neue Ordnungen ein- zuführen und alte zu beseitigen. Insoweit sie hierbei nur auf Verhältnisse stösst, welche nichts weiter sind, als die nach Massgabe der bisherigen Gesetze geregel- ten thatsächlichen Gestaltungen, steht ihrem Vorschreiten ein rechtliches Hemmniss nicht im Wege. Wohl aber ist diess der Fall, wenn sie bei ihren Massregeln auf ein wohlerworbenes Recht in der Weise trifft, dass es beseitigt oder dem Berechtigten die Ausübung desselben abgeschnitten werden soll. Wollte die Staats- gewalt auch gegenüber erworbenen Rechten eine rück- sichtslose Freiheit des Handelns in Anspruch nehmen, so würde sie mit ihrer eigenen principalen Mission, der höchste Schutz der Rechtsordnung zu sein, in unauf- löslichen Widerspruch treten, indem sie gegenüber sich selbst die Bedeutung der Rechte verneinte, deren An- erkennung sie von allen Anderen in Anspruch nimmt. Somit erscheint der Satz der Unverletzlichkeit erwor- bener Rechte als ein aus dem Begriffe des Rechts und seiner Anerkennung im Staate von selbst folgender, und es ist nur eine besonders feierliche Bestätigung desselben, wenn ihn die Grundgesetze aufnehmen und ausdrücklich 1 Oft wird diess Princip unter dem Gesichtspunkte der "Frei-
heit des Eigenthums" aufgestellt, dazu aber Manches hinzugefügt, was streng genommen nicht dahin gehört. Erster Abschnitt. Rechte schonen soll.1 — Die Staatsgewalt, indemsie ihren Beruf als höchste Ordnerin des Gemeinwesens vollzieht, ist genöthigt, die verschiedensten Interessen des Volkslebens zu berühren und in dieselben einzu- greifen, Verpflichtungen der mannichfachsten Art in Ge- und Verboten aufzulegen, neue Ordnungen ein- zuführen und alte zu beseitigen. Insoweit sie hierbei nur auf Verhältnisse stösst, welche nichts weiter sind, als die nach Massgabe der bisherigen Gesetze geregel- ten thatsächlichen Gestaltungen, steht ihrem Vorschreiten ein rechtliches Hemmniss nicht im Wege. Wohl aber ist diess der Fall, wenn sie bei ihren Massregeln auf ein wohlerworbenes Recht in der Weise trifft, dass es beseitigt oder dem Berechtigten die Ausübung desselben abgeschnitten werden soll. Wollte die Staats- gewalt auch gegenüber erworbenen Rechten eine rück- sichtslose Freiheit des Handelns in Anspruch nehmen, so würde sie mit ihrer eigenen principalen Mission, der höchste Schutz der Rechtsordnung zu sein, in unauf- löslichen Widerspruch treten, indem sie gegenüber sich selbst die Bedeutung der Rechte verneinte, deren An- erkennung sie von allen Anderen in Anspruch nimmt. Somit erscheint der Satz der Unverletzlichkeit erwor- bener Rechte als ein aus dem Begriffe des Rechts und seiner Anerkennung im Staate von selbst folgender, und es ist nur eine besonders feierliche Bestätigung desselben, wenn ihn die Grundgesetze aufnehmen und ausdrücklich 1 Oft wird diess Princip unter dem Gesichtspunkte der „Frei-
heit des Eigenthums“ aufgestellt, dazu aber Manches hinzugefügt, was streng genommen nicht dahin gehört. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0054" n="36"/><fw place="top" type="header">Erster Abschnitt.</fw><lb/><hi rendition="#g">Rechte schonen soll</hi>.<note place="foot" n="1">Oft wird diess Princip unter dem Gesichtspunkte der „Frei-<lb/> heit des Eigenthums“ aufgestellt, dazu aber Manches hinzugefügt,<lb/> was streng genommen nicht dahin gehört.</note> — Die Staatsgewalt, indem<lb/> sie ihren Beruf als höchste Ordnerin des Gemeinwesens<lb/> vollzieht, ist genöthigt, die verschiedensten Interessen<lb/> des Volkslebens zu berühren und in dieselben einzu-<lb/> greifen, Verpflichtungen der mannichfachsten Art in<lb/> Ge- und Verboten aufzulegen, neue Ordnungen ein-<lb/> zuführen und alte zu beseitigen. Insoweit sie hierbei<lb/> nur auf Verhältnisse stösst, welche nichts weiter sind,<lb/> als die nach Massgabe der bisherigen Gesetze geregel-<lb/> ten thatsächlichen Gestaltungen, steht ihrem Vorschreiten<lb/> ein rechtliches Hemmniss nicht im Wege. Wohl aber<lb/> ist diess der Fall, wenn sie bei ihren Massregeln<lb/> auf ein wohlerworbenes Recht in der Weise trifft,<lb/> dass es beseitigt oder dem Berechtigten die Ausübung<lb/> desselben abgeschnitten werden soll. Wollte die Staats-<lb/> gewalt auch gegenüber erworbenen Rechten eine rück-<lb/> sichtslose Freiheit des Handelns in Anspruch nehmen,<lb/> so würde sie mit ihrer eigenen principalen Mission, der<lb/> höchste Schutz der Rechtsordnung zu sein, in unauf-<lb/> löslichen Widerspruch treten, indem sie gegenüber sich<lb/> selbst die Bedeutung der Rechte verneinte, deren An-<lb/> erkennung sie von allen Anderen in Anspruch nimmt.<lb/> Somit erscheint der Satz der Unverletzlichkeit erwor-<lb/> bener Rechte als ein aus dem Begriffe des Rechts und<lb/> seiner Anerkennung im Staate von selbst folgender, und<lb/> es ist nur eine besonders feierliche Bestätigung desselben,<lb/> wenn ihn die Grundgesetze aufnehmen und ausdrücklich<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0054]
Erster Abschnitt.
Rechte schonen soll. 1 — Die Staatsgewalt, indem
sie ihren Beruf als höchste Ordnerin des Gemeinwesens
vollzieht, ist genöthigt, die verschiedensten Interessen
des Volkslebens zu berühren und in dieselben einzu-
greifen, Verpflichtungen der mannichfachsten Art in
Ge- und Verboten aufzulegen, neue Ordnungen ein-
zuführen und alte zu beseitigen. Insoweit sie hierbei
nur auf Verhältnisse stösst, welche nichts weiter sind,
als die nach Massgabe der bisherigen Gesetze geregel-
ten thatsächlichen Gestaltungen, steht ihrem Vorschreiten
ein rechtliches Hemmniss nicht im Wege. Wohl aber
ist diess der Fall, wenn sie bei ihren Massregeln
auf ein wohlerworbenes Recht in der Weise trifft,
dass es beseitigt oder dem Berechtigten die Ausübung
desselben abgeschnitten werden soll. Wollte die Staats-
gewalt auch gegenüber erworbenen Rechten eine rück-
sichtslose Freiheit des Handelns in Anspruch nehmen,
so würde sie mit ihrer eigenen principalen Mission, der
höchste Schutz der Rechtsordnung zu sein, in unauf-
löslichen Widerspruch treten, indem sie gegenüber sich
selbst die Bedeutung der Rechte verneinte, deren An-
erkennung sie von allen Anderen in Anspruch nimmt.
Somit erscheint der Satz der Unverletzlichkeit erwor-
bener Rechte als ein aus dem Begriffe des Rechts und
seiner Anerkennung im Staate von selbst folgender, und
es ist nur eine besonders feierliche Bestätigung desselben,
wenn ihn die Grundgesetze aufnehmen und ausdrücklich
1 Oft wird diess Princip unter dem Gesichtspunkte der „Frei-
heit des Eigenthums“ aufgestellt, dazu aber Manches hinzugefügt,
was streng genommen nicht dahin gehört.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |