Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 46. Die Gesetzgebung. bringen;2 nur das Finanzgesetz muss nach der Bestim-mung mehrerer Verfassungen zunächst der zweiten Kam- mer vorgelegt werden.3 Jede Kammer hat den Gesetz- entwurf zu prüfen und über dessen Annahme oder Nicht- annahme zu berathen und zu beschliessen; sie hat nicht das Recht, das Eintreten in die Berathung überhaupt abzulehnen.4 Die Berathung und Abstimmung kann mehr oder weniger ins Einzelne gehen, es kann auch, nach stattgehabter allgemeiner Verhandlung, ein Ent- wurf im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden; dagegen kann eine Kammer nicht auf ihr Recht der Zustimmung völlig verzichten.5 Bei der Berathung kann die Kammer Verbesserungen beschliessen, welche sich als Modificationen oder Ergänzungen des Entwurfs dar- stellen.6 Hat eine Kammer die Berathung beendigt und 2 Auch bei beiden Kammern gleichzeitig. Die entgegenge- setzte Argumentation v. Rönne's, Preussisches Staatsrecht I., S. 161, scheint mir nicht genügend zu sein. 3 Ein in mehrere deutsche Verfassungsurkunden (Preussen Art. 62., Bayern VI. §. 18., Sachsen §. 122., Württemberg §. 178., Grossherzogthum Hessen §. 67., Baden §. 60.) aufgenommener, dem englischen Staatsrechte entlehnter Satz. Siehe §. 52. 4 Eine Kammer kann nicht beschliessen, über die Regierungs- vorlage einfach zur Tagesordnung überzugehen. 5 Sie kann also nicht dem Monarchen die einseitige Festsetzung des Gesetzes überlassen. Dagegen kann sie diess wohl in proviso- rischer Weise mit Vorbehalt nachträglicher Genehmigung thun. 6 Sie hat das Recht der Amendements zum Entwurfe der Re-
gierung und zwar auch da, wo den Kammern das Recht der Initia- tive nicht zusteht. Dieses Recht begründet nicht eine Gleich- artigkeit der Stellung der Stände mit der des Monarchen, etwa als ob sie damit zu Mitinhabern der gesetzgebenden Gewalt gemacht würden, sondern es erscheint juristisch als das Recht der Stände, ihre Zustimmung an einzelne den Entwurf betreffende Bedingungen zu knüpfen. §. 46. Die Gesetzgebung. bringen;2 nur das Finanzgesetz muss nach der Bestim-mung mehrerer Verfassungen zunächst der zweiten Kam- mer vorgelegt werden.3 Jede Kammer hat den Gesetz- entwurf zu prüfen und über dessen Annahme oder Nicht- annahme zu berathen und zu beschliessen; sie hat nicht das Recht, das Eintreten in die Berathung überhaupt abzulehnen.4 Die Berathung und Abstimmung kann mehr oder weniger ins Einzelne gehen, es kann auch, nach stattgehabter allgemeiner Verhandlung, ein Ent- wurf im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden; dagegen kann eine Kammer nicht auf ihr Recht der Zustimmung völlig verzichten.5 Bei der Berathung kann die Kammer Verbesserungen beschliessen, welche sich als Modificationen oder Ergänzungen des Entwurfs dar- stellen.6 Hat eine Kammer die Berathung beendigt und 2 Auch bei beiden Kammern gleichzeitig. Die entgegenge- setzte Argumentation v. Rönne’s, Preussisches Staatsrecht I., S. 161, scheint mir nicht genügend zu sein. 3 Ein in mehrere deutsche Verfassungsurkunden (Preussen Art. 62., Bayern VI. §. 18., Sachsen §. 122., Württemberg §. 178., Grossherzogthum Hessen §. 67., Baden §. 60.) aufgenommener, dem englischen Staatsrechte entlehnter Satz. Siehe §. 52. 4 Eine Kammer kann nicht beschliessen, über die Regierungs- vorlage einfach zur Tagesordnung überzugehen. 5 Sie kann also nicht dem Monarchen die einseitige Festsetzung des Gesetzes überlassen. Dagegen kann sie diess wohl in proviso- rischer Weise mit Vorbehalt nachträglicher Genehmigung thun. 6 Sie hat das Recht der Amendements zum Entwurfe der Re-
gierung und zwar auch da, wo den Kammern das Recht der Initia- tive nicht zusteht. Dieses Recht begründet nicht eine Gleich- artigkeit der Stellung der Stände mit der des Monarchen, etwa als ob sie damit zu Mitinhabern der gesetzgebenden Gewalt gemacht würden, sondern es erscheint juristisch als das Recht der Stände, ihre Zustimmung an einzelne den Entwurf betreffende Bedingungen zu knüpfen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0159" n="141"/><fw place="top" type="header">§. 46. Die Gesetzgebung.</fw><lb/> bringen;<note place="foot" n="2">Auch bei beiden Kammern gleichzeitig. Die entgegenge-<lb/> setzte Argumentation v. <hi rendition="#g">Rönne’s</hi>, Preussisches Staatsrecht I.,<lb/> S. 161, scheint mir nicht genügend zu sein.</note> nur das Finanzgesetz muss nach der Bestim-<lb/> mung mehrerer Verfassungen zunächst der zweiten Kam-<lb/> mer vorgelegt werden.<note place="foot" n="3">Ein in mehrere deutsche Verfassungsurkunden (Preussen<lb/> Art. 62., Bayern VI. §. 18., Sachsen §. 122., Württemberg §. 178.,<lb/> Grossherzogthum Hessen §. 67., Baden §. 60.) aufgenommener,<lb/> dem englischen Staatsrechte entlehnter Satz. Siehe §. 52.</note> Jede Kammer hat den Gesetz-<lb/> entwurf zu prüfen und über dessen Annahme oder Nicht-<lb/> annahme zu berathen und zu beschliessen; sie hat nicht<lb/> das Recht, das Eintreten in die Berathung überhaupt<lb/> abzulehnen.<note place="foot" n="4">Eine Kammer kann nicht beschliessen, über die Regierungs-<lb/> vorlage einfach zur Tagesordnung überzugehen.</note> Die Berathung und Abstimmung kann<lb/> mehr oder weniger ins Einzelne gehen, es kann auch,<lb/> nach stattgehabter allgemeiner Verhandlung, ein Ent-<lb/> wurf im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden;<lb/> dagegen kann eine Kammer nicht auf ihr Recht der<lb/> Zustimmung völlig verzichten.<note place="foot" n="5">Sie kann also nicht dem Monarchen die einseitige Festsetzung<lb/> des Gesetzes überlassen. Dagegen kann sie diess wohl in proviso-<lb/> rischer Weise mit Vorbehalt nachträglicher Genehmigung thun.</note> Bei der Berathung kann<lb/> die Kammer Verbesserungen beschliessen, welche sich<lb/> als Modificationen oder Ergänzungen des Entwurfs dar-<lb/> stellen.<note place="foot" n="6">Sie hat das Recht der Amendements zum Entwurfe der Re-<lb/> gierung und zwar auch da, wo den Kammern das Recht der Initia-<lb/> tive nicht zusteht. Dieses Recht begründet nicht eine Gleich-<lb/> artigkeit der Stellung der Stände mit der des Monarchen, etwa als<lb/> ob sie damit zu Mitinhabern der gesetzgebenden Gewalt gemacht<lb/> würden, sondern es erscheint juristisch als das Recht der Stände,<lb/> ihre Zustimmung an einzelne den Entwurf betreffende Bedingungen<lb/> zu knüpfen.</note> Hat eine Kammer die Berathung beendigt und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0159]
§. 46. Die Gesetzgebung.
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mung mehrerer Verfassungen zunächst der zweiten Kam-
mer vorgelegt werden. 3 Jede Kammer hat den Gesetz-
entwurf zu prüfen und über dessen Annahme oder Nicht-
annahme zu berathen und zu beschliessen; sie hat nicht
das Recht, das Eintreten in die Berathung überhaupt
abzulehnen. 4 Die Berathung und Abstimmung kann
mehr oder weniger ins Einzelne gehen, es kann auch,
nach stattgehabter allgemeiner Verhandlung, ein Ent-
wurf im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden;
dagegen kann eine Kammer nicht auf ihr Recht der
Zustimmung völlig verzichten. 5 Bei der Berathung kann
die Kammer Verbesserungen beschliessen, welche sich
als Modificationen oder Ergänzungen des Entwurfs dar-
stellen. 6 Hat eine Kammer die Berathung beendigt und
2 Auch bei beiden Kammern gleichzeitig. Die entgegenge-
setzte Argumentation v. Rönne’s, Preussisches Staatsrecht I.,
S. 161, scheint mir nicht genügend zu sein.
3 Ein in mehrere deutsche Verfassungsurkunden (Preussen
Art. 62., Bayern VI. §. 18., Sachsen §. 122., Württemberg §. 178.,
Grossherzogthum Hessen §. 67., Baden §. 60.) aufgenommener,
dem englischen Staatsrechte entlehnter Satz. Siehe §. 52.
4 Eine Kammer kann nicht beschliessen, über die Regierungs-
vorlage einfach zur Tagesordnung überzugehen.
5 Sie kann also nicht dem Monarchen die einseitige Festsetzung
des Gesetzes überlassen. Dagegen kann sie diess wohl in proviso-
rischer Weise mit Vorbehalt nachträglicher Genehmigung thun.
6 Sie hat das Recht der Amendements zum Entwurfe der Re-
gierung und zwar auch da, wo den Kammern das Recht der Initia-
tive nicht zusteht. Dieses Recht begründet nicht eine Gleich-
artigkeit der Stellung der Stände mit der des Monarchen, etwa als
ob sie damit zu Mitinhabern der gesetzgebenden Gewalt gemacht
würden, sondern es erscheint juristisch als das Recht der Stände,
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