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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 36. Die Staatsdiener.
Vorgesetzten Gehorsam schuldig; jedoch ist er von der
eigenen Verantwortlichkeit für die Vollziehung wider-
rechtlicher Befehle nur dann befreit, wenn er ihre Zu-
rücknahme vergebens zu erwirken versucht hat.6 Nur

Staatsdienst verlangt, nicht wohl vereinbar ist, bedarf für die-
jenigen, welche zum Wesen der Compatibilität etwas mehr als die
blosse Straflosigkeit eines Verhaltens verlangen, keines Beweises.
Es ist viel Wahrheit in der Ansicht, dass ein Staatsdiener, wenn
er kraft willkührlichen Entschlusses den Beruf eines Abgeord-
neten ergreifen und als solcher der Regierung in feindseliger
Parteistellung gegenüber treten will, diess in loyaler Weise nur
nach dem Austritte aus seinem Dienstverhältnisse thun könne; er
könne einer Regierung, als deren offener Gegner er sich darstellt,
nicht zumuthen, dass sie ihn gleichzeitig als Vertrauensperson
betrachte. Nicht weniger wäre aber ein Abgeordneter zu ver-
werfen, der seine Ueberzeugungen aus Rücksicht auf die Er-
haltung seiner Staatsdienststelle modificiren würde. Dieser Punkt
wird für die künftige Entwickelung des deutschen Staatsdienst-
rechts entscheidend sein. Wollen wir unseren bisherigen deutschen
Staatsdienst mit allen seinen Vorzügen als rechtlich gesicherten
Lebensberuf festhalten, so werden wir auf die Forderung der Zu-
lassung einer solchen Doppelrolle verzichten müssen, deren innerer
Zwiespalt nur zufällig bei Personen von besonderer Mässigung
verdeckt wird; anderenfalls scheint es mir unvermeidlich, dass
unser deutsches Institut allmählich durch das Princip der eng-
lischen Parteiwirthschaft verdrängt wird. Dieser Entwickelungs-
process wird sich zunächst in den deutschen Grossstaaten voll-
ziehen. Denn in den kleineren Staaten, in denen man den Eintritt
der Staatsdiener in die Kammern wegen Mangels genügender un-
abhängiger Capacitäten wohl gar begünstigt, nehmen solche
Fragen nicht leicht eine Dimension an, welche zur principiellen
Entscheidung hindrängt.
6 Die ganze Idee der Aemterorganisation beruht auf der
Voraussetzung, dass der untere Beamte den ordnungsmässig ver-
kündeten Befehlen seiner competenten Oberbehörde Gehorsam
leiste und seine Nachachtung nicht von dem Ausfalle einer eigenen
Kritik abhängig mache. Allerdings aber ist er nicht bloss be-
rechtigt, sondern auch verpflichtet, zu remonstriren, wenn er sich
von ihrer Rechtswidrigkeit oder sonstigen Unzulässigkeit über-

§. 36. Die Staatsdiener.
Vorgesetzten Gehorsam schuldig; jedoch ist er von der
eigenen Verantwortlichkeit für die Vollziehung wider-
rechtlicher Befehle nur dann befreit, wenn er ihre Zu-
rücknahme vergebens zu erwirken versucht hat.6 Nur

Staatsdienst verlangt, nicht wohl vereinbar ist, bedarf für die-
jenigen, welche zum Wesen der Compatibilität etwas mehr als die
blosse Straflosigkeit eines Verhaltens verlangen, keines Beweises.
Es ist viel Wahrheit in der Ansicht, dass ein Staatsdiener, wenn
er kraft willkührlichen Entschlusses den Beruf eines Abgeord-
neten ergreifen und als solcher der Regierung in feindseliger
Parteistellung gegenüber treten will, diess in loyaler Weise nur
nach dem Austritte aus seinem Dienstverhältnisse thun könne; er
könne einer Regierung, als deren offener Gegner er sich darstellt,
nicht zumuthen, dass sie ihn gleichzeitig als Vertrauensperson
betrachte. Nicht weniger wäre aber ein Abgeordneter zu ver-
werfen, der seine Ueberzeugungen aus Rücksicht auf die Er-
haltung seiner Staatsdienststelle modificiren würde. Dieser Punkt
wird für die künftige Entwickelung des deutschen Staatsdienst-
rechts entscheidend sein. Wollen wir unseren bisherigen deutschen
Staatsdienst mit allen seinen Vorzügen als rechtlich gesicherten
Lebensberuf festhalten, so werden wir auf die Forderung der Zu-
lassung einer solchen Doppelrolle verzichten müssen, deren innerer
Zwiespalt nur zufällig bei Personen von besonderer Mässigung
verdeckt wird; anderenfalls scheint es mir unvermeidlich, dass
unser deutsches Institut allmählich durch das Princip der eng-
lischen Parteiwirthschaft verdrängt wird. Dieser Entwickelungs-
process wird sich zunächst in den deutschen Grossstaaten voll-
ziehen. Denn in den kleineren Staaten, in denen man den Eintritt
der Staatsdiener in die Kammern wegen Mangels genügender un-
abhängiger Capacitäten wohl gar begünstigt, nehmen solche
Fragen nicht leicht eine Dimension an, welche zur principiellen
Entscheidung hindrängt.
6 Die ganze Idee der Aemterorganisation beruht auf der
Voraussetzung, dass der untere Beamte den ordnungsmässig ver-
kündeten Befehlen seiner competenten Oberbehörde Gehorsam
leiste und seine Nachachtung nicht von dem Ausfalle einer eigenen
Kritik abhängig mache. Allerdings aber ist er nicht bloss be-
rechtigt, sondern auch verpflichtet, zu remonstriren, wenn er sich
von ihrer Rechtswidrigkeit oder sonstigen Unzulässigkeit über-
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[111/0129] §. 36. Die Staatsdiener. Vorgesetzten Gehorsam schuldig; jedoch ist er von der eigenen Verantwortlichkeit für die Vollziehung wider- rechtlicher Befehle nur dann befreit, wenn er ihre Zu- rücknahme vergebens zu erwirken versucht hat. 6 Nur 5 6 Die ganze Idee der Aemterorganisation beruht auf der Voraussetzung, dass der untere Beamte den ordnungsmässig ver- kündeten Befehlen seiner competenten Oberbehörde Gehorsam leiste und seine Nachachtung nicht von dem Ausfalle einer eigenen Kritik abhängig mache. Allerdings aber ist er nicht bloss be- rechtigt, sondern auch verpflichtet, zu remonstriren, wenn er sich von ihrer Rechtswidrigkeit oder sonstigen Unzulässigkeit über- 5 Staatsdienst verlangt, nicht wohl vereinbar ist, bedarf für die- jenigen, welche zum Wesen der Compatibilität etwas mehr als die blosse Straflosigkeit eines Verhaltens verlangen, keines Beweises. Es ist viel Wahrheit in der Ansicht, dass ein Staatsdiener, wenn er kraft willkührlichen Entschlusses den Beruf eines Abgeord- neten ergreifen und als solcher der Regierung in feindseliger Parteistellung gegenüber treten will, diess in loyaler Weise nur nach dem Austritte aus seinem Dienstverhältnisse thun könne; er könne einer Regierung, als deren offener Gegner er sich darstellt, nicht zumuthen, dass sie ihn gleichzeitig als Vertrauensperson betrachte. Nicht weniger wäre aber ein Abgeordneter zu ver- werfen, der seine Ueberzeugungen aus Rücksicht auf die Er- haltung seiner Staatsdienststelle modificiren würde. Dieser Punkt wird für die künftige Entwickelung des deutschen Staatsdienst- rechts entscheidend sein. Wollen wir unseren bisherigen deutschen Staatsdienst mit allen seinen Vorzügen als rechtlich gesicherten Lebensberuf festhalten, so werden wir auf die Forderung der Zu- lassung einer solchen Doppelrolle verzichten müssen, deren innerer Zwiespalt nur zufällig bei Personen von besonderer Mässigung verdeckt wird; anderenfalls scheint es mir unvermeidlich, dass unser deutsches Institut allmählich durch das Princip der eng- lischen Parteiwirthschaft verdrängt wird. Dieser Entwickelungs- process wird sich zunächst in den deutschen Grossstaaten voll- ziehen. Denn in den kleineren Staaten, in denen man den Eintritt der Staatsdiener in die Kammern wegen Mangels genügender un- abhängiger Capacitäten wohl gar begünstigt, nehmen solche Fragen nicht leicht eine Dimension an, welche zur principiellen Entscheidung hindrängt.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/129>, abgerufen am 24.11.2024.