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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
kleidet? Schlechter, als ich wünschte. Ein
deutsches Unterkleid, sehr abgenutzt, und ein
schwarzer russischer Pelz und ein Paar Halb-
stiefeln waren sein Staat. Sein kurzes auf-
gelaufnes Haar gab indessen seinem Gesichte,
bis auf etliche Spuren von Kummer, die aus
seinen Augen nicht vertrieben werden konnten,
einunerschrocknes Ansehn. Nie war er bered-
ter und in meinen Augen grösser, als da er von
seiner Gemahlinn sprach; und ich that von
diesem Augenblicke an heimlich ein Gelübde,
ihm die Freyheit auszuwirken. Aber ihr
verstorbner Gemahl und der Herr Graf,
sprach Andreas, waren wohl nicht allezeit die
besten Freunde? Was dieser gethan hat, das
bitte ich dem Grafen itzt ab. Ach vergeben
sie ihm die Fehler seiner Gemüthsart und sei-
nes Volkes, die ich ungeachtet seiner Neigung
gegen mich mehr, als sie, empfunden habe.
Unsre Ehe war ein Bündniß, das der Hof
schloß, und das ich aus Gehorsam nicht aus-
schlagen durfte. Jndessen ehre ich sein An-
denken; so wie ich mein Schicksal an seiner
Seite geduldig ertragen und mir, wenn ichs
sagen darf, vielleicht durch meine Geduld ein
bessers verdient habe.

An-

Graͤfinn von G**
kleidet? Schlechter, als ich wuͤnſchte. Ein
deutſches Unterkleid, ſehr abgenutzt, und ein
ſchwarzer ruſſiſcher Pelz und ein Paar Halb-
ſtiefeln waren ſein Staat. Sein kurzes auf-
gelaufnes Haar gab indeſſen ſeinem Geſichte,
bis auf etliche Spuren von Kummer, die aus
ſeinen Augen nicht vertrieben werden konnten,
einunerſchrocknes Anſehn. Nie war er bered-
ter und in meinen Augen groͤſſer, als da er von
ſeiner Gemahlinn ſprach; und ich that von
dieſem Augenblicke an heimlich ein Geluͤbde,
ihm die Freyheit auszuwirken. Aber ihr
verſtorbner Gemahl und der Herr Graf,
ſprach Andreas, waren wohl nicht allezeit die
beſten Freunde? Was dieſer gethan hat, das
bitte ich dem Grafen itzt ab. Ach vergeben
ſie ihm die Fehler ſeiner Gemuͤthsart und ſei-
nes Volkes, die ich ungeachtet ſeiner Neigung
gegen mich mehr, als ſie, empfunden habe.
Unſre Ehe war ein Buͤndniß, das der Hof
ſchloß, und das ich aus Gehorſam nicht aus-
ſchlagen durfte. Jndeſſen ehre ich ſein An-
denken; ſo wie ich mein Schickſal an ſeiner
Seite geduldig ertragen und mir, wenn ichs
ſagen darf, vielleicht durch meine Geduld ein
beſſers verdient habe.

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[91/0091] Graͤfinn von G** kleidet? Schlechter, als ich wuͤnſchte. Ein deutſches Unterkleid, ſehr abgenutzt, und ein ſchwarzer ruſſiſcher Pelz und ein Paar Halb- ſtiefeln waren ſein Staat. Sein kurzes auf- gelaufnes Haar gab indeſſen ſeinem Geſichte, bis auf etliche Spuren von Kummer, die aus ſeinen Augen nicht vertrieben werden konnten, einunerſchrocknes Anſehn. Nie war er bered- ter und in meinen Augen groͤſſer, als da er von ſeiner Gemahlinn ſprach; und ich that von dieſem Augenblicke an heimlich ein Geluͤbde, ihm die Freyheit auszuwirken. Aber ihr verſtorbner Gemahl und der Herr Graf, ſprach Andreas, waren wohl nicht allezeit die beſten Freunde? Was dieſer gethan hat, das bitte ich dem Grafen itzt ab. Ach vergeben ſie ihm die Fehler ſeiner Gemuͤthsart und ſei- nes Volkes, die ich ungeachtet ſeiner Neigung gegen mich mehr, als ſie, empfunden habe. Unſre Ehe war ein Buͤndniß, das der Hof ſchloß, und das ich aus Gehorſam nicht aus- ſchlagen durfte. Jndeſſen ehre ich ſein An- denken; ſo wie ich mein Schickſal an ſeiner Seite geduldig ertragen und mir, wenn ichs ſagen darf, vielleicht durch meine Geduld ein beſſers verdient habe. An-

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/91>, abgerufen am 22.11.2024.