Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G**
er sah, was mir für ein Schicksal bevor stund,
verließ mich der Boshafte unter den Vorwan-
de, mir iemanden zu Hülfe zu rufen. Jch
habe also den ganzen Tag auf seine Zurück-
kunft vergebens gewartet und bin mehr durch
das Entsetzen über seine Untreue, als durch die
unglückliche Frucht meiner Liebe in den sinn-
losen Zustand gekommen, indem ihr euch ge-
stern meiner so großmüthig angenommen.
Man kann keine grössere Bosheit begehn, als
er an mir begangen hat. Er hat mir mein
Geschmeide, das mein ganzer Reichthum war,
und das wir im Haag zu Gelde machen woll-
ten, mitgenommen. Dennoch hasse ich ihn
noch nicht, ja ich würde, es ihm mit Freuden
vergeben, daß er mich mit der Gefahr meines
Lebens verlassen hat, wenn ich nur wüßte, daß
es ihn reute - - Jch suchte sie zu beruhigen
und versprach ihr, wenn ihr Liebhaber binnen
acht Tagen nicht wieder käme, sie zu mir zu
nehmen und sie und ihr Kind zu versorgen.
Er kam nicht, und ich erfüllte mein Wort und
ließ das Kind auf dem Dorfe erziehn.

Der Graf war nunmehr ein halb Jahr
lang bey mir und hatte nicht das geringste
Verlangen in sein Vaterland zurück zu keh-
ren, wenn ihn auch die Erlaubniß dazu wä-
re angeboten worden. Ueberdieses wußte er,

daß

Graͤfinn von G**
er ſah, was mir fuͤr ein Schickſal bevor ſtund,
verließ mich der Boshafte unter den Vorwan-
de, mir iemanden zu Huͤlfe zu rufen. Jch
habe alſo den ganzen Tag auf ſeine Zuruͤck-
kunft vergebens gewartet und bin mehr durch
das Entſetzen uͤber ſeine Untreue, als durch die
ungluͤckliche Frucht meiner Liebe in den ſinn-
loſen Zuſtand gekommen, indem ihr euch ge-
ſtern meiner ſo großmuͤthig angenommen.
Man kann keine groͤſſere Bosheit begehn, als
er an mir begangen hat. Er hat mir mein
Geſchmeide, das mein ganzer Reichthum war,
und das wir im Haag zu Gelde machen woll-
ten, mitgenommen. Dennoch haſſe ich ihn
noch nicht, ja ich wuͤrde, es ihm mit Freuden
vergeben, daß er mich mit der Gefahr meines
Lebens verlaſſen hat, wenn ich nur wuͤßte, daß
es ihn reute ‒ ‒ Jch ſuchte ſie zu beruhigen
und verſprach ihr, wenn ihr Liebhaber binnen
acht Tagen nicht wieder kaͤme, ſie zu mir zu
nehmen und ſie und ihr Kind zu verſorgen.
Er kam nicht, und ich erfuͤllte mein Wort und
ließ das Kind auf dem Dorfe erziehn.

Der Graf war nunmehr ein halb Jahr
lang bey mir und hatte nicht das geringſte
Verlangen in ſein Vaterland zuruͤck zu keh-
ren, wenn ihn auch die Erlaubniß dazu waͤ-
re angeboten worden. Ueberdieſes wußte er,

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0075" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gra&#x0364;finn von G**</hi></fw><lb/>
er &#x017F;ah, was mir fu&#x0364;r ein Schick&#x017F;al bevor &#x017F;tund,<lb/>
verließ mich der Boshafte unter den Vorwan-<lb/>
de, mir iemanden zu Hu&#x0364;lfe zu rufen. Jch<lb/>
habe al&#x017F;o den ganzen Tag auf &#x017F;eine Zuru&#x0364;ck-<lb/>
kunft vergebens gewartet und bin mehr durch<lb/>
das Ent&#x017F;etzen u&#x0364;ber &#x017F;eine Untreue, als durch die<lb/>
unglu&#x0364;ckliche Frucht meiner Liebe in den &#x017F;inn-<lb/>
lo&#x017F;en Zu&#x017F;tand gekommen, indem ihr euch ge-<lb/>
&#x017F;tern meiner &#x017F;o großmu&#x0364;thig angenommen.<lb/>
Man kann keine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Bosheit begehn, als<lb/>
er an mir begangen hat. Er hat mir mein<lb/>
Ge&#x017F;chmeide, das mein ganzer Reichthum war,<lb/>
und das wir im Haag zu Gelde machen woll-<lb/>
ten, mitgenommen. Dennoch ha&#x017F;&#x017F;e ich ihn<lb/>
noch nicht, ja ich wu&#x0364;rde, es ihm mit Freuden<lb/>
vergeben, daß er mich mit der Gefahr meines<lb/>
Lebens verla&#x017F;&#x017F;en hat, wenn ich nur wu&#x0364;ßte, daß<lb/>
es ihn reute &#x2012; &#x2012; Jch &#x017F;uchte &#x017F;ie zu beruhigen<lb/>
und ver&#x017F;prach ihr, wenn ihr Liebhaber binnen<lb/>
acht Tagen nicht wieder ka&#x0364;me, &#x017F;ie zu mir zu<lb/>
nehmen und &#x017F;ie und ihr Kind zu ver&#x017F;orgen.<lb/>
Er kam nicht, und ich erfu&#x0364;llte mein Wort und<lb/>
ließ das Kind auf dem Dorfe erziehn.</p><lb/>
      <p>Der Graf war nunmehr ein halb Jahr<lb/>
lang bey mir und hatte nicht das gering&#x017F;te<lb/>
Verlangen in &#x017F;ein Vaterland zuru&#x0364;ck zu keh-<lb/>
ren, wenn ihn auch die Erlaubniß dazu wa&#x0364;-<lb/>
re angeboten worden. Ueberdie&#x017F;es wußte er,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0075] Graͤfinn von G** er ſah, was mir fuͤr ein Schickſal bevor ſtund, verließ mich der Boshafte unter den Vorwan- de, mir iemanden zu Huͤlfe zu rufen. Jch habe alſo den ganzen Tag auf ſeine Zuruͤck- kunft vergebens gewartet und bin mehr durch das Entſetzen uͤber ſeine Untreue, als durch die ungluͤckliche Frucht meiner Liebe in den ſinn- loſen Zuſtand gekommen, indem ihr euch ge- ſtern meiner ſo großmuͤthig angenommen. Man kann keine groͤſſere Bosheit begehn, als er an mir begangen hat. Er hat mir mein Geſchmeide, das mein ganzer Reichthum war, und das wir im Haag zu Gelde machen woll- ten, mitgenommen. Dennoch haſſe ich ihn noch nicht, ja ich wuͤrde, es ihm mit Freuden vergeben, daß er mich mit der Gefahr meines Lebens verlaſſen hat, wenn ich nur wuͤßte, daß es ihn reute ‒ ‒ Jch ſuchte ſie zu beruhigen und verſprach ihr, wenn ihr Liebhaber binnen acht Tagen nicht wieder kaͤme, ſie zu mir zu nehmen und ſie und ihr Kind zu verſorgen. Er kam nicht, und ich erfuͤllte mein Wort und ließ das Kind auf dem Dorfe erziehn. Der Graf war nunmehr ein halb Jahr lang bey mir und hatte nicht das geringſte Verlangen in ſein Vaterland zuruͤck zu keh- ren, wenn ihn auch die Erlaubniß dazu waͤ- re angeboten worden. Ueberdieſes wußte er, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/75
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/75>, abgerufen am 25.11.2024.