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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
walt mehr hat anthun dürfen, ihr gewogen
zu seyn. Allein dieses Vergnügen hat für bei-
de nicht lange gedauret, weil Steeley nach
drey Monaten nebst etlichen andern Gefang-
nen in eine andre Gegend zwanzig Werste von
Pohem verlegt worden. Von da ist er nach-
dem nach Tobolskoy abgerufen worden, und
hat also seine Freundinn nie wieder ge-
sehn.

Wir richteten, da wir nunmehr wieder
beysammen waren, unsre Lebensart so gut ein,
als es unsre Umstände zuliessen. Der Gou-
verneur hatte mir ein Reiszeug gegeben und
ich mußte durch meine kleine Kenntniß, die ich
in der Mathematik hatte, seine Gewogenheit
zu behaupten suchen. Jch unterwies Stee-
leyn in dem, was ich von diesen Dingen wuß-
te, und da er die Rechenkunst, die ihm sein ei-
gener Vater beygebracht, noch sehr gut ver-
stund: so war er in einem halben Jahre in
allen diesen Uebungen so geschickt, als ich. Wir
arbeiteten also um die Wette, und der Gou-
verneur würde uns keine grössere Strafe ha-
ben anthun können, als wenn er uns befohlen
hätte, diese Beschäftigung nicht zu treiben
und müssig zu seyn. Allein er ließ es uns
nicht an Arbeiten fehlen. Er gab uns Rech-
nungen, er gab uns tausend alte Risse, die wir

ab-
D 4

Graͤfinn von G**
walt mehr hat anthun duͤrfen, ihr gewogen
zu ſeyn. Allein dieſes Vergnuͤgen hat fuͤr bei-
de nicht lange gedauret, weil Steeley nach
drey Monaten nebſt etlichen andern Gefang-
nen in eine andre Gegend zwanzig Werſte von
Pohem verlegt worden. Von da iſt er nach-
dem nach Tobolskoy abgerufen worden, und
hat alſo ſeine Freundinn nie wieder ge-
ſehn.

Wir richteten, da wir nunmehr wieder
beyſammen waren, unſre Lebensart ſo gut ein,
als es unſre Umſtaͤnde zulieſſen. Der Gou-
verneur hatte mir ein Reiszeug gegeben und
ich mußte durch meine kleine Kenntniß, die ich
in der Mathematik hatte, ſeine Gewogenheit
zu behaupten ſuchen. Jch unterwies Stee-
leyn in dem, was ich von dieſen Dingen wuß-
te, und da er die Rechenkunſt, die ihm ſein ei-
gener Vater beygebracht, noch ſehr gut ver-
ſtund: ſo war er in einem halben Jahre in
allen dieſen Uebungen ſo geſchickt, als ich. Wir
arbeiteten alſo um die Wette, und der Gou-
verneur wuͤrde uns keine groͤſſere Strafe ha-
ben anthun koͤnnen, als wenn er uns befohlen
haͤtte, dieſe Beſchaͤftigung nicht zu treiben
und muͤſſig zu ſeyn. Allein er ließ es uns
nicht an Arbeiten fehlen. Er gab uns Rech-
nungen, er gab uns tauſend alte Riſſe, die wir

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[55/0055] Graͤfinn von G** walt mehr hat anthun duͤrfen, ihr gewogen zu ſeyn. Allein dieſes Vergnuͤgen hat fuͤr bei- de nicht lange gedauret, weil Steeley nach drey Monaten nebſt etlichen andern Gefang- nen in eine andre Gegend zwanzig Werſte von Pohem verlegt worden. Von da iſt er nach- dem nach Tobolskoy abgerufen worden, und hat alſo ſeine Freundinn nie wieder ge- ſehn. Wir richteten, da wir nunmehr wieder beyſammen waren, unſre Lebensart ſo gut ein, als es unſre Umſtaͤnde zulieſſen. Der Gou- verneur hatte mir ein Reiszeug gegeben und ich mußte durch meine kleine Kenntniß, die ich in der Mathematik hatte, ſeine Gewogenheit zu behaupten ſuchen. Jch unterwies Stee- leyn in dem, was ich von dieſen Dingen wuß- te, und da er die Rechenkunſt, die ihm ſein ei- gener Vater beygebracht, noch ſehr gut ver- ſtund: ſo war er in einem halben Jahre in allen dieſen Uebungen ſo geſchickt, als ich. Wir arbeiteten alſo um die Wette, und der Gou- verneur wuͤrde uns keine groͤſſere Strafe ha- ben anthun koͤnnen, als wenn er uns befohlen haͤtte, dieſe Beſchaͤftigung nicht zu treiben und muͤſſig zu ſeyn. Allein er ließ es uns nicht an Arbeiten fehlen. Er gab uns Rech- nungen, er gab uns tauſend alte Riſſe, die wir ab- D 4

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/55>, abgerufen am 24.11.2024.