[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Gräfinn von G** und ihr Beruhiger geworden. Der Brief,den mein Gemahl aus der Stadt Tobolskoy in Siberien an mich geschrieben, ist fol- gender: Liebste Gemahlinn, Jch hoffe, daß ihr noch lebt, weil es ver- B 3
Graͤfinn von G** und ihr Beruhiger geworden. Der Brief,den mein Gemahl aus der Stadt Tobolskoy in Siberien an mich geſchrieben, iſt fol- gender: Liebſte Gemahlinn, Jch hoffe, daß ihr noch lebt, weil es ver- B 3
<TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0021" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Graͤfinn von G**</hi></fw><lb/> und ihr Beruhiger geworden. Der Brief,<lb/> den mein Gemahl aus der Stadt Tobolskoy<lb/> in Siberien an mich geſchrieben, iſt fol-<lb/> gender:</p><lb/> <floatingText> <body> <div type="letter"> <salute> <hi rendition="#fr">Liebſte Gemahlinn,</hi> </salute><lb/> <p>Jch hoffe, daß ihr noch lebt, weil es<lb/> mein Herz wuͤnſcht, und ich hoffe ſo gar, daß<lb/> dieſer Brief, den ich in dem entfernteſten und<lb/> ſchrecklichſten Theile der Welt ſchreibe, gewiß<lb/> in eure Haͤnde kommen ſoll. Ein Pohlniſcher<lb/> Jude, der nach Tobolskoy handelt, und im<lb/> Begriffe ſteht, wieder nach Pohlen abzurei-<lb/> ſen, iſt mein Freund und großer Wohlthaͤter<lb/> geworden, und vielleicht wird er gar mein Be-<lb/> freyer aus der Gefangenſchaft. Jch habe<lb/> ihm vor einem Jahre in einem nah an der<lb/> Stadt gelegnen Gehoͤlze, wo ich nach dem<lb/> Willen meines Schickſals noch, wie andre<lb/> Ungluͤckliche, auf Zobel ausgehn mußte, das<lb/> Leben erhalten, und ihn aus dem Schnee, in<lb/> den er mit dem Pferde gefallen und faſt ſchon<lb/> erfroren war, mit der groͤßten Gefahr erret-<lb/> ret. Dieſer Mann iſt auf die edelſte Art dank-<lb/> bar geweſen, und hat mir bewieſen, daß es<lb/> auch unter dem Volke gute Herzen giebt, das<lb/> ſie am wenigſten zu haben ſcheint. Er hat<lb/> nicht eher geruht, biß er mich vor den Gou-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p> </div> </body> </floatingText> </body> </text> </TEI> [21/0021]
Graͤfinn von G**
und ihr Beruhiger geworden. Der Brief,
den mein Gemahl aus der Stadt Tobolskoy
in Siberien an mich geſchrieben, iſt fol-
gender:
Liebſte Gemahlinn,
Jch hoffe, daß ihr noch lebt, weil es
mein Herz wuͤnſcht, und ich hoffe ſo gar, daß
dieſer Brief, den ich in dem entfernteſten und
ſchrecklichſten Theile der Welt ſchreibe, gewiß
in eure Haͤnde kommen ſoll. Ein Pohlniſcher
Jude, der nach Tobolskoy handelt, und im
Begriffe ſteht, wieder nach Pohlen abzurei-
ſen, iſt mein Freund und großer Wohlthaͤter
geworden, und vielleicht wird er gar mein Be-
freyer aus der Gefangenſchaft. Jch habe
ihm vor einem Jahre in einem nah an der
Stadt gelegnen Gehoͤlze, wo ich nach dem
Willen meines Schickſals noch, wie andre
Ungluͤckliche, auf Zobel ausgehn mußte, das
Leben erhalten, und ihn aus dem Schnee, in
den er mit dem Pferde gefallen und faſt ſchon
erfroren war, mit der groͤßten Gefahr erret-
ret. Dieſer Mann iſt auf die edelſte Art dank-
bar geweſen, und hat mir bewieſen, daß es
auch unter dem Volke gute Herzen giebt, das
ſie am wenigſten zu haben ſcheint. Er hat
nicht eher geruht, biß er mich vor den Gou-
ver-
B 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/21 |
Zitationshilfe: | [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/21>, abgerufen am 16.07.2024. |