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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G **
Himmel ansehn könnte. Er hub seine Hände
auf, und bat uns, (wir waren alle zugegen) daß
wir ihn nicht stören sollten. Nachdem er sein
Gebet verrichtet, rief er seinen Sohn. Jch fühle
es, sprach er, daß ich bald sterben werde. Der
gute Christian hat mich recht erschreckt; aber wer
kann dafür? Hier hast du den Schlüssel zu mei-
nem Schreibetische. Gott segne dir und deiner
Frau das Vermögen, das ich euch hinterlasse.
Es ist kein Heller von unrechtmäßigem Gute da-
bey. Der Doctor, nach dem wir geschickt hat-
ten, kam und öffnete ihm eine Ader, wozu der
Alte anfangs gar nicht geneigt war. Doch es
gieng kein Blut. Er schlug ihm eine an dem
Fusse, und auch da kam keines. Sieht er, sprach
der Alte, daß seine Kunst nichts hilft, wenn Gott
nicht will? Was hat er nunmehr für Hoffnung?
Keine, sprach der Medicus. So gefällter mir,
war seine Antwort, wenn er aufrichtig redt. Be-
dienen sie sich, fuhr der Doctor fort, der guten
Augenblicke, wenn sie noch einige Anstalten zu
treffen haben. Der Alte lächelte: als wenn ich
in achtzig Jahren nicht Zeit genug gehabt hät-
te, die Anstalt zu meinem Tode zu treffen. Gott,
fuhr er fort kann mich rufen, wenn er will, ich
bin fertig, bis auf das Abschied nehmen. Wo
sind meine Kinder und meine lieben Gäste? Wir
traten alle mit thränenden Augen vor ihn, und
er nahm von einem jeden insbesondere Abschied.
Ach, fieng er darauf an, wie schön wirds in jener
Welt seyn! Jch freue mich recht darauf; und
wen werd ich von ihnen am ersten da umarmen?

Es

Graͤfinn von G **
Himmel anſehn koͤnnte. Er hub ſeine Haͤnde
auf, und bat uns, (wir waren alle zugegen) daß
wir ihn nicht ſtoͤren ſollten. Nachdem er ſein
Gebet verrichtet, rief er ſeinen Sohn. Jch fuͤhle
es, ſprach er, daß ich bald ſterben werde. Der
gute Chriſtian hat mich recht erſchreckt; aber wer
kann dafuͤr? Hier haſt du den Schluͤſſel zu mei-
nem Schreibetiſche. Gott ſegne dir und deiner
Frau das Vermoͤgen, das ich euch hinterlaſſe.
Es iſt kein Heller von unrechtmaͤßigem Gute da-
bey. Der Doctor, nach dem wir geſchickt hat-
ten, kam und oͤffnete ihm eine Ader, wozu der
Alte anfangs gar nicht geneigt war. Doch es
gieng kein Blut. Er ſchlug ihm eine an dem
Fuſſe, und auch da kam keines. Sieht er, ſprach
der Alte, daß ſeine Kunſt nichts hilft, wenn Gott
nicht will? Was hat er nunmehr fuͤr Hoffnung?
Keine, ſprach der Medicus. So gefaͤllter mir,
war ſeine Antwort, wenn er aufrichtig redt. Be-
dienen ſie ſich, fuhr der Doctor fort, der guten
Augenblicke, wenn ſie noch einige Anſtalten zu
treffen haben. Der Alte laͤchelte: als wenn ich
in achtzig Jahren nicht Zeit genug gehabt haͤt-
te, die Anſtalt zu meinem Tode zu treffen. Gott,
fuhr er fort kann mich rufen, wenn er will, ich
bin fertig, bis auf das Abſchied nehmen. Wo
ſind meine Kinder und meine lieben Gaͤſte? Wir
traten alle mit thraͤnenden Augen vor ihn, und
er nahm von einem jeden insbeſondere Abſchied.
Ach, fieng er darauf an, wie ſchoͤn wirds in jener
Welt ſeyn! Jch freue mich recht darauf; und
wen werd ich von ihnen am erſten da umarmen?

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[127/0127] Graͤfinn von G ** Himmel anſehn koͤnnte. Er hub ſeine Haͤnde auf, und bat uns, (wir waren alle zugegen) daß wir ihn nicht ſtoͤren ſollten. Nachdem er ſein Gebet verrichtet, rief er ſeinen Sohn. Jch fuͤhle es, ſprach er, daß ich bald ſterben werde. Der gute Chriſtian hat mich recht erſchreckt; aber wer kann dafuͤr? Hier haſt du den Schluͤſſel zu mei- nem Schreibetiſche. Gott ſegne dir und deiner Frau das Vermoͤgen, das ich euch hinterlaſſe. Es iſt kein Heller von unrechtmaͤßigem Gute da- bey. Der Doctor, nach dem wir geſchickt hat- ten, kam und oͤffnete ihm eine Ader, wozu der Alte anfangs gar nicht geneigt war. Doch es gieng kein Blut. Er ſchlug ihm eine an dem Fuſſe, und auch da kam keines. Sieht er, ſprach der Alte, daß ſeine Kunſt nichts hilft, wenn Gott nicht will? Was hat er nunmehr fuͤr Hoffnung? Keine, ſprach der Medicus. So gefaͤllter mir, war ſeine Antwort, wenn er aufrichtig redt. Be- dienen ſie ſich, fuhr der Doctor fort, der guten Augenblicke, wenn ſie noch einige Anſtalten zu treffen haben. Der Alte laͤchelte: als wenn ich in achtzig Jahren nicht Zeit genug gehabt haͤt- te, die Anſtalt zu meinem Tode zu treffen. Gott, fuhr er fort kann mich rufen, wenn er will, ich bin fertig, bis auf das Abſchied nehmen. Wo ſind meine Kinder und meine lieben Gaͤſte? Wir traten alle mit thraͤnenden Augen vor ihn, und er nahm von einem jeden insbeſondere Abſchied. Ach, fieng er darauf an, wie ſchoͤn wirds in jener Welt ſeyn! Jch freue mich recht darauf; und wen werd ich von ihnen am erſten da umarmen? Es

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/127>, abgerufen am 22.11.2024.