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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
Jahr hindurch, sprach der Alte, und noch länger,
wenn ich meinen Sohn erwarten kann. Mein
Gemahl befriedigte seine väterliche Neubegierde
mit einigen besondern Nachrichten, und ich eilte
zu unserm zärtlichen Paare, um zu sehen, ob sie
angekleidet wären. Sie giengen beide noch in
ihren Schlafkleidern, und ich ließ dem Grafen
heimlich sagen, daß sie aufgestanden wären.
Mein Gemahl, sprach ich, nach einigen kleinen
Fragen, wird gleich kommen und sie zu einer
Spazierfarth einladen. Jndem öffnete er schon
die Thüre und trat mit dem Alten herein. Jn
dem Augenblicke riß sich Steeley von seiner Ge-
mahlinn, die ihn in den Armen hatte, los, und
lief auf seinen Vater zu. Der Alte sahe ihn nach
der ersten Umarmung lange an, ohne ein Wort
zu sagen. Ja, rief er endlich du bist mein Sohn,
du bist mein lieber Sohn! Gottlob, nun will ich
gern sterben. Mein Sohn, gieb mir einen Stuhl,
meine Füsse wollen mich nicht mehr halten.
Amalie langte ihm einen und wir traten alle vor
ihn. Seine erste Frage war, wer Amalie wä-
re. Seit gestern, sprach sie, bin ich die Gemah-
linn ihres Sohnes. Sind sie mit seiner Wahl
zufrieden? Er nahm sie recht liebreich bey der
Hand. Jst es gewiß, daß sie meine Tochter sind:
so küssen sie mich, und sagen sie mir, aus welchem
Lande sie sind. Er machte ihr darauf die größ-
ten Liebkosungen, und that allerhand Fragen, die
seinem ehrlichen Charakter gemäß und uns des-
wegen angenehm waren, wenn sie gleich nicht die
wichtigsten waren. Es mißfiel ihm, da er hör-

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Graͤfinn von G**
Jahr hindurch, ſprach der Alte, und noch laͤnger,
wenn ich meinen Sohn erwarten kann. Mein
Gemahl befriedigte ſeine vaͤterliche Neubegierde
mit einigen beſondern Nachrichten, und ich eilte
zu unſerm zaͤrtlichen Paare, um zu ſehen, ob ſie
angekleidet waͤren. Sie giengen beide noch in
ihren Schlafkleidern, und ich ließ dem Grafen
heimlich ſagen, daß ſie aufgeſtanden waͤren.
Mein Gemahl, ſprach ich, nach einigen kleinen
Fragen, wird gleich kommen und ſie zu einer
Spazierfarth einladen. Jndem oͤffnete er ſchon
die Thuͤre und trat mit dem Alten herein. Jn
dem Augenblicke riß ſich Steeley von ſeiner Ge-
mahlinn, die ihn in den Armen hatte, los, und
lief auf ſeinen Vater zu. Der Alte ſahe ihn nach
der erſten Umarmung lange an, ohne ein Wort
zu ſagen. Ja, rief er endlich du biſt mein Sohn,
du biſt mein lieber Sohn! Gottlob, nun will ich
gern ſterben. Mein Sohn, gieb mir einen Stuhl,
meine Fuͤſſe wollen mich nicht mehr halten.
Amalie langte ihm einen und wir traten alle vor
ihn. Seine erſte Frage war, wer Amalie waͤ-
re. Seit geſtern, ſprach ſie, bin ich die Gemah-
linn ihres Sohnes. Sind ſie mit ſeiner Wahl
zufrieden? Er nahm ſie recht liebreich bey der
Hand. Jſt es gewiß, daß ſie meine Tochter ſind:
ſo kuͤſſen ſie mich, und ſagen ſie mir, aus welchem
Lande ſie ſind. Er machte ihr darauf die groͤß-
ten Liebkoſungen, und that allerhand Fragen, die
ſeinem ehrlichen Charakter gemaͤß und uns des-
wegen angenehm waren, wenn ſie gleich nicht die
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[119/0119] Graͤfinn von G** Jahr hindurch, ſprach der Alte, und noch laͤnger, wenn ich meinen Sohn erwarten kann. Mein Gemahl befriedigte ſeine vaͤterliche Neubegierde mit einigen beſondern Nachrichten, und ich eilte zu unſerm zaͤrtlichen Paare, um zu ſehen, ob ſie angekleidet waͤren. Sie giengen beide noch in ihren Schlafkleidern, und ich ließ dem Grafen heimlich ſagen, daß ſie aufgeſtanden waͤren. Mein Gemahl, ſprach ich, nach einigen kleinen Fragen, wird gleich kommen und ſie zu einer Spazierfarth einladen. Jndem oͤffnete er ſchon die Thuͤre und trat mit dem Alten herein. Jn dem Augenblicke riß ſich Steeley von ſeiner Ge- mahlinn, die ihn in den Armen hatte, los, und lief auf ſeinen Vater zu. Der Alte ſahe ihn nach der erſten Umarmung lange an, ohne ein Wort zu ſagen. Ja, rief er endlich du biſt mein Sohn, du biſt mein lieber Sohn! Gottlob, nun will ich gern ſterben. Mein Sohn, gieb mir einen Stuhl, meine Fuͤſſe wollen mich nicht mehr halten. Amalie langte ihm einen und wir traten alle vor ihn. Seine erſte Frage war, wer Amalie waͤ- re. Seit geſtern, ſprach ſie, bin ich die Gemah- linn ihres Sohnes. Sind ſie mit ſeiner Wahl zufrieden? Er nahm ſie recht liebreich bey der Hand. Jſt es gewiß, daß ſie meine Tochter ſind: ſo kuͤſſen ſie mich, und ſagen ſie mir, aus welchem Lande ſie ſind. Er machte ihr darauf die groͤß- ten Liebkoſungen, und that allerhand Fragen, die ſeinem ehrlichen Charakter gemaͤß und uns des- wegen angenehm waren, wenn ſie gleich nicht die wichtigſten waren. Es mißfiel ihm, da er hoͤr- te, H 4

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/119>, abgerufen am 22.11.2024.