Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben der Schwedischen
Kleinigkeiten, die andre aus Mangel der Ver-
traulichkeit, oder auch des Geschmacks, vorüber
gehn, dienten uns in unserer Gesellschaft zu neuen
Unterhaltungen, und erhielten durch die Art, mit
der wir uns ihrer bedienten, den Werth, den die
prächtigsten Mittel der Freude am wenigsten ha-
ben. Kleine Zänkereyen, die Amalie mit Steeleyn
wegen des Cosackischen Mädchens anfieng, klei-
ne Vorwürfe, womit wir einander erschreckten,
beseelten unsere Vertraulichkeit, und jeder unschul-
dige Scherz gab uns eine neue Scene des Ver-
gnügens. Die Aufseherinn, die wir zu dem
Kranken geschickt hatten, kam mit offnen Armen
zurück und erzählte uns, daß sie ihren ungetreuen
Liebhaber wieder gefunden, und daß es der Elende
selbst wäre, für den wir gesorgt hätten. Er, rief
sie, hat mir alles mit tausend Thränen abgebe-
ten, und ich habe ihm alles vergeben, und ich bit-
te für ihn. Sein Gewissen hat ihn mehr als zu
sehr bestraft. Er sagte mir, daß er sich, da er
mich so boshaft verlassen, nach Harlem gewen-
det und sich allen Ausschweifungen überlassen hät-
te, um nicht an das zu denken, mas er gethan.
Einige Monate sey es ihm gelungen, nachdem
aber hätte er sich der entsetzlichen Vorstellungen,
daß er mich und die Frucht unsrer Liebe durch
seine Untreue vielleicht ums Leben gebracht, nicht
länger erwehren können. Sie hätten ihn genöthigt,
an den Ort zurück zu kehren, wo er mich
verlassen, und da er weder das Herz gehabt, sich
genau nach mir zu erkundigen, noch auch gewußt
hätte, wo er es thun sollte: so hätte ihn endlich

eine

Leben der Schwediſchen
Kleinigkeiten, die andre aus Mangel der Ver-
traulichkeit, oder auch des Geſchmacks, voruͤber
gehn, dienten uns in unſerer Geſellſchaft zu neuen
Unterhaltungen, und erhielten durch die Art, mit
der wir uns ihrer bedienten, den Werth, den die
praͤchtigſten Mittel der Freude am wenigſten ha-
ben. Kleine Zaͤnkereyen, die Amalie mit Steeleyn
wegen des Coſackiſchen Maͤdchens anfieng, klei-
ne Vorwuͤrfe, womit wir einander erſchreckten,
beſeelten unſere Vertraulichkeit, und jeder unſchul-
dige Scherz gab uns eine neue Scene des Ver-
gnuͤgens. Die Aufſeherinn, die wir zu dem
Kranken geſchickt hatten, kam mit offnen Armen
zuruͤck und erzaͤhlte uns, daß ſie ihren ungetreuen
Liebhaber wieder gefunden, und daß es der Elende
ſelbſt waͤre, fuͤr den wir geſorgt haͤtten. Er, rief
ſie, hat mir alles mit tauſend Thraͤnen abgebe-
ten, und ich habe ihm alles vergeben, und ich bit-
te fuͤr ihn. Sein Gewiſſen hat ihn mehr als zu
ſehr beſtraft. Er ſagte mir, daß er ſich, da er
mich ſo boshaft verlaſſen, nach Harlem gewen-
det und ſich allen Ausſchweifungen uͤberlaſſen haͤt-
te, um nicht an das zu denken, mas er gethan.
Einige Monate ſey es ihm gelungen, nachdem
aber haͤtte er ſich der entſetzlichen Vorſtellungen,
daß er mich und die Frucht unſrer Liebe durch
ſeine Untreue vielleicht ums Leben gebracht, nicht
laͤnger erwehren koͤnnen. Sie haͤtten ihn genoͤthigt,
an den Ort zuruͤck zu kehren, wo er mich
verlaſſen, und da er weder das Herz gehabt, ſich
genau nach mir zu erkundigen, noch auch gewußt
haͤtte, wo er es thun ſollte: ſo haͤtte ihn endlich

eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0116" n="116"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwedi&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
Kleinigkeiten, die andre aus Mangel der Ver-<lb/>
traulichkeit, oder auch des Ge&#x017F;chmacks, voru&#x0364;ber<lb/>
gehn, dienten uns in un&#x017F;erer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu neuen<lb/>
Unterhaltungen, und erhielten durch die Art, mit<lb/>
der wir uns ihrer bedienten, den Werth, den die<lb/>
pra&#x0364;chtig&#x017F;ten Mittel der Freude am wenig&#x017F;ten ha-<lb/>
ben. Kleine Za&#x0364;nkereyen, die Amalie mit Steeleyn<lb/>
wegen des Co&#x017F;acki&#x017F;chen Ma&#x0364;dchens anfieng, klei-<lb/>
ne Vorwu&#x0364;rfe, womit wir einander er&#x017F;chreckten,<lb/>
be&#x017F;eelten un&#x017F;ere Vertraulichkeit, und jeder un&#x017F;chul-<lb/>
dige Scherz gab uns eine neue Scene des Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gens. Die Auf&#x017F;eherinn, die wir zu dem<lb/>
Kranken ge&#x017F;chickt hatten, kam mit offnen Armen<lb/>
zuru&#x0364;ck und erza&#x0364;hlte uns, daß &#x017F;ie ihren ungetreuen<lb/>
Liebhaber wieder gefunden, und daß es der Elende<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wa&#x0364;re, fu&#x0364;r den wir ge&#x017F;orgt ha&#x0364;tten. Er, rief<lb/>
&#x017F;ie, hat mir alles mit tau&#x017F;end Thra&#x0364;nen abgebe-<lb/>
ten, und ich habe ihm alles vergeben, und ich bit-<lb/>
te fu&#x0364;r ihn. Sein Gewi&#x017F;&#x017F;en hat ihn mehr als zu<lb/>
&#x017F;ehr be&#x017F;traft. Er &#x017F;agte mir, daß er &#x017F;ich, da er<lb/>
mich &#x017F;o boshaft verla&#x017F;&#x017F;en, nach Harlem gewen-<lb/>
det und &#x017F;ich allen Aus&#x017F;chweifungen u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;t-<lb/>
te, um nicht an das zu denken, mas er gethan.<lb/>
Einige Monate &#x017F;ey es ihm gelungen, nachdem<lb/>
aber ha&#x0364;tte er &#x017F;ich der ent&#x017F;etzlichen Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
daß er mich und die Frucht un&#x017F;rer Liebe durch<lb/>
&#x017F;eine Untreue vielleicht ums Leben gebracht, nicht<lb/>
la&#x0364;nger erwehren ko&#x0364;nnen. Sie ha&#x0364;tten ihn geno&#x0364;thigt,<lb/>
an den Ort zuru&#x0364;ck zu kehren, wo er mich<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en, und da er weder das Herz gehabt, &#x017F;ich<lb/>
genau nach mir zu erkundigen, noch auch gewußt<lb/>
ha&#x0364;tte, wo er es thun &#x017F;ollte: &#x017F;o ha&#x0364;tte ihn endlich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0116] Leben der Schwediſchen Kleinigkeiten, die andre aus Mangel der Ver- traulichkeit, oder auch des Geſchmacks, voruͤber gehn, dienten uns in unſerer Geſellſchaft zu neuen Unterhaltungen, und erhielten durch die Art, mit der wir uns ihrer bedienten, den Werth, den die praͤchtigſten Mittel der Freude am wenigſten ha- ben. Kleine Zaͤnkereyen, die Amalie mit Steeleyn wegen des Coſackiſchen Maͤdchens anfieng, klei- ne Vorwuͤrfe, womit wir einander erſchreckten, beſeelten unſere Vertraulichkeit, und jeder unſchul- dige Scherz gab uns eine neue Scene des Ver- gnuͤgens. Die Aufſeherinn, die wir zu dem Kranken geſchickt hatten, kam mit offnen Armen zuruͤck und erzaͤhlte uns, daß ſie ihren ungetreuen Liebhaber wieder gefunden, und daß es der Elende ſelbſt waͤre, fuͤr den wir geſorgt haͤtten. Er, rief ſie, hat mir alles mit tauſend Thraͤnen abgebe- ten, und ich habe ihm alles vergeben, und ich bit- te fuͤr ihn. Sein Gewiſſen hat ihn mehr als zu ſehr beſtraft. Er ſagte mir, daß er ſich, da er mich ſo boshaft verlaſſen, nach Harlem gewen- det und ſich allen Ausſchweifungen uͤberlaſſen haͤt- te, um nicht an das zu denken, mas er gethan. Einige Monate ſey es ihm gelungen, nachdem aber haͤtte er ſich der entſetzlichen Vorſtellungen, daß er mich und die Frucht unſrer Liebe durch ſeine Untreue vielleicht ums Leben gebracht, nicht laͤnger erwehren koͤnnen. Sie haͤtten ihn genoͤthigt, an den Ort zuruͤck zu kehren, wo er mich verlaſſen, und da er weder das Herz gehabt, ſich genau nach mir zu erkundigen, noch auch gewußt haͤtte, wo er es thun ſollte: ſo haͤtte ihn endlich eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/116
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/116>, abgerufen am 26.12.2024.