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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen
samkeit und mit so vielem Geiste, daß wir alle
ausser uns kamen und uns keine grössere Wollust
auf diesen Tag hätten erdenken können. Er red-
te von den wunderbaren Wegen der Vorsehung
bey dem Schicksale der Menschen. Man stelle
sich den Grafen und Steeleyn mit allen ihren Un-
glücksfällen, seine Braut, mich, kurz, uns alle
vor, wenn man wissen will, was diese vernünfti-
ge Rede für einen Eindruck in unsere Herzen
machte. Unsere Seele erweiterte sich durch die
hohen Vorstellungen, um den Umfang der gött-
lichen Rathschlüsse in Ansehung unsers Schicksals
zu übersehn, und die Empfindungen der Verwun-
derung und der Dankbarkeit wuchsen mit unsern
erhabnen Vorstellungen. Leuten, die niemals
im Unglücke gewesen, Leuten, die zu frostig sind,
andrer Unglück zu fühlen, wird das Vergnügen,
das wir aus dieser Rede schöpften, als ein schein-
heiliges Räzel vorkommen. Sie werden sich nicht
einbilden können, wie sich solche ernsthafte Be-
trachtungen zu einem Tage der Freude und der
Liebe schicken; allein sie werden mir auch nicht zu-
muthen, daß ich ihnen eine Sache beweisen soll,
die auf die Empfindung ankömmt.

So vergieng der Vormittag, und Steeley und
Amalie waren verbunden, und unser Bündniß
war auch wieder erneuert. Unser Geistlicher, der
uns ein recht lieber Gast gewesen seyn würde,
wollte nicht bey uns bleiben, so sehr wir ihn auch
baten. Er sagte, daß er den Nachmittag bey ei-
nem jungen Menschen zubringen würde, der sich
aus Schwermuth das Leben hätte nehmen wol-

len,

Leben der Schwediſchen
ſamkeit und mit ſo vielem Geiſte, daß wir alle
auſſer uns kamen und uns keine groͤſſere Wolluſt
auf dieſen Tag haͤtten erdenken koͤnnen. Er red-
te von den wunderbaren Wegen der Vorſehung
bey dem Schickſale der Menſchen. Man ſtelle
ſich den Grafen und Steeleyn mit allen ihren Un-
gluͤcksfaͤllen, ſeine Braut, mich, kurz, uns alle
vor, wenn man wiſſen will, was dieſe vernuͤnfti-
ge Rede fuͤr einen Eindruck in unſere Herzen
machte. Unſere Seele erweiterte ſich durch die
hohen Vorſtellungen, um den Umfang der goͤtt-
lichen Rathſchluͤſſe in Anſehung unſers Schickſals
zu uͤberſehn, und die Empfindungen der Verwun-
derung und der Dankbarkeit wuchſen mit unſern
erhabnen Vorſtellungen. Leuten, die niemals
im Ungluͤcke geweſen, Leuten, die zu froſtig ſind,
andrer Ungluͤck zu fuͤhlen, wird das Vergnuͤgen,
das wir aus dieſer Rede ſchoͤpften, als ein ſchein-
heiliges Raͤzel vorkommen. Sie werden ſich nicht
einbilden koͤnnen, wie ſich ſolche ernſthafte Be-
trachtungen zu einem Tage der Freude und der
Liebe ſchicken; allein ſie werden mir auch nicht zu-
muthen, daß ich ihnen eine Sache beweiſen ſoll,
die auf die Empfindung ankoͤmmt.

So vergieng der Vormittag, und Steeley und
Amalie waren verbunden, und unſer Buͤndniß
war auch wieder erneuert. Unſer Geiſtlicher, der
uns ein recht lieber Gaſt geweſen ſeyn wuͤrde,
wollte nicht bey uns bleiben, ſo ſehr wir ihn auch
baten. Er ſagte, daß er den Nachmittag bey ei-
nem jungen Menſchen zubringen wuͤrde, der ſich
aus Schwermuth das Leben haͤtte nehmen wol-

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[114/0114] Leben der Schwediſchen ſamkeit und mit ſo vielem Geiſte, daß wir alle auſſer uns kamen und uns keine groͤſſere Wolluſt auf dieſen Tag haͤtten erdenken koͤnnen. Er red- te von den wunderbaren Wegen der Vorſehung bey dem Schickſale der Menſchen. Man ſtelle ſich den Grafen und Steeleyn mit allen ihren Un- gluͤcksfaͤllen, ſeine Braut, mich, kurz, uns alle vor, wenn man wiſſen will, was dieſe vernuͤnfti- ge Rede fuͤr einen Eindruck in unſere Herzen machte. Unſere Seele erweiterte ſich durch die hohen Vorſtellungen, um den Umfang der goͤtt- lichen Rathſchluͤſſe in Anſehung unſers Schickſals zu uͤberſehn, und die Empfindungen der Verwun- derung und der Dankbarkeit wuchſen mit unſern erhabnen Vorſtellungen. Leuten, die niemals im Ungluͤcke geweſen, Leuten, die zu froſtig ſind, andrer Ungluͤck zu fuͤhlen, wird das Vergnuͤgen, das wir aus dieſer Rede ſchoͤpften, als ein ſchein- heiliges Raͤzel vorkommen. Sie werden ſich nicht einbilden koͤnnen, wie ſich ſolche ernſthafte Be- trachtungen zu einem Tage der Freude und der Liebe ſchicken; allein ſie werden mir auch nicht zu- muthen, daß ich ihnen eine Sache beweiſen ſoll, die auf die Empfindung ankoͤmmt. So vergieng der Vormittag, und Steeley und Amalie waren verbunden, und unſer Buͤndniß war auch wieder erneuert. Unſer Geiſtlicher, der uns ein recht lieber Gaſt geweſen ſeyn wuͤrde, wollte nicht bey uns bleiben, ſo ſehr wir ihn auch baten. Er ſagte, daß er den Nachmittag bey ei- nem jungen Menſchen zubringen wuͤrde, der ſich aus Schwermuth das Leben haͤtte nehmen wol- len,

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/114>, abgerufen am 22.11.2024.