[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Gräfinn von G ** gestrebt, möchte vollkommen erreichenlassen. Er ließ seinen Sohn rufen, nam uns beyde in die Arme, und fieng an zu weinen. Dieses, sagte er, sind seit vierzig und mehr Jahren die ersten Thrä- nen, die ich vergieße. Sie sind keine Zeichen meiner Wehmuth und Furcht- samkeit, sondern meiner Liebe. Jhr habt mir mein Leben angenehm gemacht; allein das Glück, das ich nach meinem Tode hoffe, macht mir den Abschied von euch sehr erträglich. Liebt getreu, und ge- nießt das Leben, das uns die Vorsehung zum Vergnügen und zur Ausübung der Tugend geschenkt hat. Er gab mir noch allerhand Regeln, wie ich meine Kinder ziehen sollte, wenn unsre Ehe fruchtbar seyn würde. Und in eben der Bemü- hung, auch seine Nachkommen durch ei- ne weise Vorsorge noch glücklich zu ma- chen, starb er. Wir lebten darauf noch einige Jahre Land- C 5
Gräfinn von G ** geſtrebt, möchte vollkommen erreichenlaſſen. Er ließ ſeinen Sohn rufen, nam uns beyde in die Arme, und fieng an zu weinen. Dieſes, ſagte er, ſind ſeit vierzig und mehr Jahren die erſten Thrä- nen, die ich vergieße. Sie ſind keine Zeichen meiner Wehmuth und Furcht- ſamkeit, ſondern meiner Liebe. Jhr habt mir mein Leben angenehm gemacht; allein das Glück, das ich nach meinem Tode hoffe, macht mir den Abſchied von euch ſehr erträglich. Liebt getreu, und ge- nießt das Leben, das uns die Vorſehung zum Vergnügen und zur Ausübung der Tugend geſchenkt hat. Er gab mir noch allerhand Regeln, wie ich meine Kinder ziehen ſollte, wenn unſre Ehe fruchtbar ſeyn würde. Und in eben der Bemü- hung, auch ſeine Nachkommen durch ei- ne weiſe Vorſorge noch glücklich zu ma- chen, ſtarb er. Wir lebten darauf noch einige Jahre Land- C 5
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Gräfinn von G **
geſtrebt, möchte vollkommen erreichen
laſſen. Er ließ ſeinen Sohn rufen,
nam uns beyde in die Arme, und fieng
an zu weinen. Dieſes, ſagte er, ſind ſeit
vierzig und mehr Jahren die erſten Thrä-
nen, die ich vergieße. Sie ſind keine
Zeichen meiner Wehmuth und Furcht-
ſamkeit, ſondern meiner Liebe. Jhr habt
mir mein Leben angenehm gemacht; allein
das Glück, das ich nach meinem Tode
hoffe, macht mir den Abſchied von euch
ſehr erträglich. Liebt getreu, und ge-
nießt das Leben, das uns die Vorſehung
zum Vergnügen und zur Ausübung der
Tugend geſchenkt hat. Er gab mir noch
allerhand Regeln, wie ich meine Kinder
ziehen ſollte, wenn unſre Ehe fruchtbar
ſeyn würde. Und in eben der Bemü-
hung, auch ſeine Nachkommen durch ei-
ne weiſe Vorſorge noch glücklich zu ma-
chen, ſtarb er.
Wir lebten darauf noch einige Jahre
in der größten Zufriedenheit auf unſerm
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