[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Gräfinn von G ** es erfahren, daß er noch am Leben wäre.Kurz, er hatte von mir eben so wenig ge- wußt, als ich von seinem Leben. Herr R-- hatte uns verlassen, ohne daß wir es ge- merkt. Wir waren also ganz allein. Mein Graf erzählte mir sein gehabtes Schicksal, davon ich bald reden will, und verlangte nunmehr zu wissen, wie es mir gegangen wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich konnte ihm mit nichts, als Thränen und Umarmungen antworten. Liebe und Schaam machten mich sprachlos. Einen Mann hatte ich wieder gefunden, den ich ausnehmend liebte, und einen sollte ich ver- lassen, den ich nicht weniger liebte. Man muß es fühlen, wenn man wissen will, was es heißt, von zween Affecten zugleich bestürmt zu werden, von denen einer so groß, als der andere ist. Mein Gemahl muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas widriges für sich. Er hielt noch inständi- ger an, daß ich ihm mein Herz entdecken, und ihm sein Glück oder Unglück wis- sen J 4
Gräfinn von G ** es erfahren, daß er noch am Leben wäre.Kurz, er hatte von mir eben ſo wenig ge- wußt, als ich von ſeinem Leben. Herr R-- hatte uns verlaſſen, ohne daß wir es ge- merkt. Wir waren alſo ganz allein. Mein Graf erzählte mir ſein gehabtes Schickſal, davon ich bald reden will, und verlangte nunmehr zu wiſſen, wie es mir gegangen wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich konnte ihm mit nichts, als Thränen und Umarmungen antworten. Liebe und Schaam machten mich ſprachlos. Einen Mann hatte ich wieder gefunden, den ich ausnehmend liebte, und einen ſollte ich ver- laſſen, den ich nicht weniger liebte. Man muß es fühlen, wenn man wiſſen will, was es heißt, von zween Affecten zugleich beſtürmt zu werden, von denen einer ſo groß, als der andere iſt. Mein Gemahl muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas widriges für ſich. Er hielt noch inſtändi- ger an, daß ich ihm mein Herz entdecken, und ihm ſein Glück oder Unglück wiſ- ſen J 4
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Gräfinn von G **
es erfahren, daß er noch am Leben wäre.
Kurz, er hatte von mir eben ſo wenig ge-
wußt, als ich von ſeinem Leben. Herr R--
hatte uns verlaſſen, ohne daß wir es ge-
merkt. Wir waren alſo ganz allein. Mein
Graf erzählte mir ſein gehabtes Schickſal,
davon ich bald reden will, und verlangte
nunmehr zu wiſſen, wie es mir gegangen
wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich
konnte ihm mit nichts, als Thränen und
Umarmungen antworten. Liebe und
Schaam machten mich ſprachlos. Einen
Mann hatte ich wieder gefunden, den ich
ausnehmend liebte, und einen ſollte ich ver-
laſſen, den ich nicht weniger liebte. Man
muß es fühlen, wenn man wiſſen will,
was es heißt, von zween Affecten zugleich
beſtürmt zu werden, von denen einer ſo
groß, als der andere iſt. Mein Gemahl
muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas
widriges für ſich. Er hielt noch inſtändi-
ger an, daß ich ihm mein Herz entdecken,
und ihm ſein Glück oder Unglück wiſ-
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