Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G **
de des Blutes vorzieht. Die Anrede
war sehr fromm; allein sie war zu heftig,
und zu früh angebracht. Sie weckte
die Verzweiflung in beyden von neuem
auf. Mein Mann erwählte einen gelin-
dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu
besänftigen. Er bediente sich eines Schein-
grundes, der in der Stunde des Affects
eben so viel Kraft zu haben pflegt, als die
Wahrheit. Er sagte, es wäre eine Ge-
wissenssache, die wir nicht entscheiden
könnten. Wir wollen den Ausspruch ver-
ständigen Gottesgelehrten überlassen. Er
glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt
finden könnte. Dieses war eine Arzney,
welche die Wehmuth der beyden Leute
verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi-
derstand that. Sie entschlossen sich, sich
dem Ausspruche der Geistlichen zu un-
terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber-
zeugung, sondern aus Verlangen, desto
ruhiger ihre Liebe fortsetzen zu können.
Wir machten uns indessen ihre Bereit-

willig-
G 3

Gräfinn von G **
de des Blutes vorzieht. Die Anrede
war ſehr fromm; allein ſie war zu heftig,
und zu früh angebracht. Sie weckte
die Verzweiflung in beyden von neuem
auf. Mein Mann erwählte einen gelin-
dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu
beſänftigen. Er bediente ſich eines Schein-
grundes, der in der Stunde des Affects
eben ſo viel Kraft zu haben pflegt, als die
Wahrheit. Er ſagte, es wäre eine Ge-
wiſſensſache, die wir nicht entſcheiden
könnten. Wir wollen den Ausſpruch ver-
ſtändigen Gottesgelehrten überlaſſen. Er
glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt
finden könnte. Dieſes war eine Arzney,
welche die Wehmuth der beyden Leute
verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi-
derſtand that. Sie entſchloſſen ſich, ſich
dem Ausſpruche der Geiſtlichen zu un-
terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber-
zeugung, ſondern aus Verlangen, deſto
ruhiger ihre Liebe fortſetzen zu können.
Wir machten uns indeſſen ihre Bereit-

willig-
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="101"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gräfinn von G **</hi></fw><lb/>
de des Blutes vorzieht. Die Anrede<lb/>
war &#x017F;ehr fromm; allein &#x017F;ie war zu heftig,<lb/>
und zu früh angebracht. Sie weckte<lb/>
die Verzweiflung in beyden von neuem<lb/>
auf. Mein Mann erwählte einen gelin-<lb/>
dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu<lb/>
be&#x017F;änftigen. Er bediente &#x017F;ich eines Schein-<lb/>
grundes, der in der Stunde des Affects<lb/>
eben &#x017F;o viel Kraft zu haben pflegt, als die<lb/>
Wahrheit. Er &#x017F;agte, es wäre eine Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ens&#x017F;ache, die wir nicht ent&#x017F;cheiden<lb/>
könnten. Wir wollen den Aus&#x017F;pruch ver-<lb/>
&#x017F;tändigen Gottesgelehrten überla&#x017F;&#x017F;en. Er<lb/>
glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt<lb/>
finden könnte. Die&#x017F;es war eine Arzney,<lb/>
welche die Wehmuth der beyden Leute<lb/>
verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi-<lb/>
der&#x017F;tand that. Sie ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich, &#x017F;ich<lb/>
dem Aus&#x017F;pruche der Gei&#x017F;tlichen zu un-<lb/>
terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber-<lb/>
zeugung, &#x017F;ondern aus Verlangen, de&#x017F;to<lb/>
ruhiger ihre Liebe fort&#x017F;etzen zu können.<lb/>
Wir machten uns inde&#x017F;&#x017F;en ihre Bereit-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">willig-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0101] Gräfinn von G ** de des Blutes vorzieht. Die Anrede war ſehr fromm; allein ſie war zu heftig, und zu früh angebracht. Sie weckte die Verzweiflung in beyden von neuem auf. Mein Mann erwählte einen gelin- dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu beſänftigen. Er bediente ſich eines Schein- grundes, der in der Stunde des Affects eben ſo viel Kraft zu haben pflegt, als die Wahrheit. Er ſagte, es wäre eine Ge- wiſſensſache, die wir nicht entſcheiden könnten. Wir wollen den Ausſpruch ver- ſtändigen Gottesgelehrten überlaſſen. Er glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt finden könnte. Dieſes war eine Arzney, welche die Wehmuth der beyden Leute verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi- derſtand that. Sie entſchloſſen ſich, ſich dem Ausſpruche der Geiſtlichen zu un- terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber- zeugung, ſondern aus Verlangen, deſto ruhiger ihre Liebe fortſetzen zu können. Wir machten uns indeſſen ihre Bereit- willig- G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/101
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/101>, abgerufen am 24.11.2024.