Dazu gehört nun auch die Untersuchung, ob der Schielende die Gegenstände mit beyden Augen zugleich, oder nur mit einem, sehe. Man lasse ihn, sagt Reid, steif nach einem Gegenstande sehen, ohne die Richtung der Augen zu verändern, und bringe die Hand zwischen den Gegenstand und beyde Augen nach einander. Sieht der Schielende, der Hand ungeachtet, den Gegenstand ununterbrochen, so kan man schließen, daß er ihn mit beyden Augen zugleich sah. Verschwinder ihm aber der Gegenstand, wenn sich die Hand zwischen demselben und dem einen Auge befindet, so ist es gewiß, daß er ihn nur mit diesem allein sah.
Fände man das erste, so müßte man weiter untersuchen, ob der Schielende in den Fällen doppelt sehe, wo auch Nichtschielende zwey Bilder sehen. Man lasse ihn ein Licht in die Entfernung von 10 Fuß stellen, und mit ausgestrecktem Arme einen Finger zwischen die Augen und das Licht halten; alsdann mag er nach dem Lichte sehen, und bemerken, ob ihm der Finger einfach oder doppelt erscheint; oder er mag nach dem Finger sehen, und bemerken, ob ihm das Licht einfach oder doppelt erscheint.
Gesunde Augen sehen bey diesem Versuche doppelt, den Gesetzen des Horopters gemäß. Sieht also der Schielende auch doppelt, so ist das ein Zeichen, daß für seine Augen diese Gesetze ebenfalls gelten, d. h. daß er zwar übereinstimmende Punkte auf beyden Netzhäuten hat, daß aber ihre Lage von der gewöhnlichen abweicht. Dieser Fall würde nun statt finden, wenn das Schielen von einer schiefen Lage der Krystalllinse herrührte. Alsdann aber würde auch der Fehler unheilbar seyn. Denn, könnte man einen solchen Patienten dahin bringen, gerade zu sehen, so würde er alles doppelt sehen, was er mit beyden Augen anblickte, getrennte Gegenstände würden ihm über einander zu liegen scheinen, und die Cur würde schlimmer seyn, als die Krankheit war, wenigstens so lange, bis durch eine ganz neue Erlernung des Sehens sich andere Punkte der Netzhäute zusammengewöhnt hätten, welches bey Erwachsenen schwerlich zu erwarten wäre.
Sähe hingegen ein Schielender mit beyden Augen immer einfach, auch in Fällen, wo Nicht - schielende doppelt
Dazu gehoͤrt nun auch die Unterſuchung, ob der Schielende die Gegenſtaͤnde mit beyden Augen zugleich, oder nur mit einem, ſehe. Man laſſe ihn, ſagt Reid, ſteif nach einem Gegenſtande ſehen, ohne die Richtung der Augen zu veraͤndern, und bringe die Hand zwiſchen den Gegenſtand und beyde Augen nach einander. Sieht der Schielende, der Hand ungeachtet, den Gegenſtand ununterbrochen, ſo kan man ſchließen, daß er ihn mit beyden Augen zugleich ſah. Verſchwinder ihm aber der Gegenſtand, wenn ſich die Hand zwiſchen demſelben und dem einen Auge befindet, ſo iſt es gewiß, daß er ihn nur mit dieſem allein ſah.
Faͤnde man das erſte, ſo muͤßte man weiter unterſuchen, ob der Schielende in den Faͤllen doppelt ſehe, wo auch Nichtſchielende zwey Bilder ſehen. Man laſſe ihn ein Licht in die Entfernung von 10 Fuß ſtellen, und mit ausgeſtrecktem Arme einen Finger zwiſchen die Augen und das Licht halten; alsdann mag er nach dem Lichte ſehen, und bemerken, ob ihm der Finger einfach oder doppelt erſcheint; oder er mag nach dem Finger ſehen, und bemerken, ob ihm das Licht einfach oder doppelt erſcheint.
Geſunde Augen ſehen bey dieſem Verſuche doppelt, den Geſetzen des Horopters gemaͤß. Sieht alſo der Schielende auch doppelt, ſo iſt das ein Zeichen, daß fuͤr ſeine Augen dieſe Geſetze ebenfalls gelten, d. h. daß er zwar uͤbereinſtimmende Punkte auf beyden Netzhaͤuten hat, daß aber ihre Lage von der gewoͤhnlichen abweicht. Dieſer Fall wuͤrde nun ſtatt finden, wenn das Schielen von einer ſchiefen Lage der Kryſtalllinſe herruͤhrte. Alsdann aber wuͤrde auch der Fehler unheilbar ſeyn. Denn, koͤnnte man einen ſolchen Patienten dahin bringen, gerade zu ſehen, ſo wuͤrde er alles doppelt ſehen, was er mit beyden Augen anblickte, getrennte Gegenſtaͤnde wuͤrden ihm uͤber einander zu liegen ſcheinen, und die Cur wuͤrde ſchlimmer ſeyn, als die Krankheit war, wenigſtens ſo lange, bis durch eine ganz neue Erlernung des Sehens ſich andere Punkte der Netzhaͤute zuſammengewoͤhnt haͤtten, welches bey Erwachſenen ſchwerlich zu erwarten waͤre.
Saͤhe hingegen ein Schielender mit beyden Augen immer einfach, auch in Faͤllen, wo Nicht - ſchielende doppelt
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Dazu gehoͤrt nun auch die Unterſuchung, ob der Schielende die Gegenſtaͤnde mit beyden Augen zugleich, oder nur mit einem, ſehe. Man laſſe ihn, ſagt Reid, ſteif nach einem Gegenſtande ſehen, ohne die Richtung der Augen zu veraͤndern, und bringe die Hand zwiſchen den Gegenſtand und beyde Augen nach einander. Sieht der Schielende, der Hand ungeachtet, den Gegenſtand ununterbrochen, ſo kan man ſchließen, daß er ihn mit beyden Augen zugleich ſah. Verſchwinder ihm aber der Gegenſtand, wenn ſich die Hand zwiſchen demſelben und dem einen Auge befindet, ſo iſt es gewiß, daß er ihn nur mit dieſem allein ſah.
Faͤnde man das erſte, ſo muͤßte man weiter unterſuchen, ob der Schielende in den Faͤllen doppelt ſehe, wo auch Nichtſchielende zwey Bilder ſehen. Man laſſe ihn ein Licht in die Entfernung von 10 Fuß ſtellen, und mit ausgeſtrecktem Arme einen Finger zwiſchen die Augen und das Licht halten; alsdann mag er nach dem Lichte ſehen, und bemerken, ob ihm der Finger einfach oder doppelt erſcheint; oder er mag nach dem Finger ſehen, und bemerken, ob ihm das Licht einfach oder doppelt erſcheint.
Geſunde Augen ſehen bey dieſem Verſuche doppelt, den Geſetzen des Horopters gemaͤß. Sieht alſo der Schielende auch doppelt, ſo iſt das ein Zeichen, daß fuͤr ſeine Augen dieſe Geſetze ebenfalls gelten, d. h. daß er zwar uͤbereinſtimmende Punkte auf beyden Netzhaͤuten hat, daß aber ihre Lage von der gewoͤhnlichen abweicht. Dieſer Fall wuͤrde nun ſtatt finden, wenn das Schielen von einer ſchiefen Lage der Kryſtalllinſe herruͤhrte. Alsdann aber wuͤrde auch der Fehler unheilbar ſeyn. Denn, koͤnnte man einen ſolchen Patienten dahin bringen, gerade zu ſehen, ſo wuͤrde er alles doppelt ſehen, was er mit beyden Augen anblickte, getrennte Gegenſtaͤnde wuͤrden ihm uͤber einander zu liegen ſcheinen, und die Cur wuͤrde ſchlimmer ſeyn, als die Krankheit war, wenigſtens ſo lange, bis durch eine ganz neue Erlernung des Sehens ſich andere Punkte der Netzhaͤute zuſammengewoͤhnt haͤtten, welches bey Erwachſenen ſchwerlich zu erwarten waͤre.
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 819. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/831>, abgerufen am 22.11.2024.
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