Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.
Schielen. Zus. zu Th. III. S. 840--843. Unter den hier angeführten Erklärungen dieses Gesichtsfehlers wird in einer sehr gründlich abgefaßten Beurtheilung des Wörterbuchs (Jen. Allg. Lit. Zeit. 1792. Num. 226) diejenige vermißt, welche das Schielen von einer schiefen Lage der Krystallinse in dem einen Auge herleitet, wo nämlich ein Perpendikel auf die Mitte der Hornhaut nicht senkrecht auf die Mitte der Linse ist (oder die Axe der Linse mit der Axe des Augapfels nicht coincidiret). Dem Herrn Rec. scheint diese Erklärung richtiger, als alle andere, zu seyn. Wären die im Wörterbuche angeführten Erklärungsarten richtig, so müßte nach seiner Meinung jeder Schielende die Gegenstände eben so doppelt sehen, wie ein Nicht - schielender, welcher den einen Augapfel mit dem Finger ein wenig auf die Seite drückt: so, wie nach seiner Erklärung ein wirklich Schielender die Gegenstände doppelt sehen würde, wenn man seine Augen mit Gewalt in die Lage brächte, in welcher sie bey Nichtschielenden von Natur liegen. Mir bleiben jedoch gegen die Richtigkeit dieser Erklärung und des angeführten Grundes noch folgende Zweifel übrig. 1) Das Schielen müßte, wenn es diese Ursache hätte, jederzeit unheilbar seyn. Denn welches Mittel könnte wohl die Wirkung haben, eine schief gerichtete Krystalllinse in eine gerade Lage zu versetzen? Dennoch zeigt die Erfahrung Beyspiele von Verbesserung dieses Gesichtsfehlers. 2) In allen Fällen, welche Jurin, Porterfield und Reid beobachtet haben, war die Axe des schielenden Auges, wenn das andere bedeckt ward, immer gerade nach dem Gegenstande gekehrt. Hätte die Ursache des Schielens in einer schiefen Stellung der Krystalllinse gelegen, so hätte sich das schielende Auge, auch wenn es allein gebraucht wärd, seitwärts von dem Gegenstande wenden müssen. 3) Der in der Recension angeführte Grund setzt voraus, eine Sache werde doppelt gesehen, wenn ihre Bilder in beyden Augen verschiedene
Schielen. Zuſ. zu Th. III. S. 840—843. Unter den hier angefuͤhrten Erklaͤrungen dieſes Geſichtsfehlers wird in einer ſehr gruͤndlich abgefaßten Beurtheilung des Woͤrterbuchs (Jen. Allg. Lit. Zeit. 1792. Num. 226) diejenige vermißt, welche das Schielen von einer ſchiefen Lage der Kryſtallinſe in dem einen Auge herleitet, wo naͤmlich ein Perpendikel auf die Mitte der Hornhaut nicht ſenkrecht auf die Mitte der Linſe iſt (oder die Axe der Linſe mit der Axe des Augapfels nicht coincidiret). Dem Herrn Rec. ſcheint dieſe Erklaͤrung richtiger, als alle andere, zu ſeyn. Waͤren die im Woͤrterbuche angefuͤhrten Erklaͤrungsarten richtig, ſo muͤßte nach ſeiner Meinung jeder Schielende die Gegenſtaͤnde eben ſo doppelt ſehen, wie ein Nicht - ſchielender, welcher den einen Augapfel mit dem Finger ein wenig auf die Seite druͤckt: ſo, wie nach ſeiner Erklaͤrung ein wirklich Schielender die Gegenſtaͤnde doppelt ſehen wuͤrde, wenn man ſeine Augen mit Gewalt in die Lage braͤchte, in welcher ſie bey Nichtſchielenden von Natur liegen. Mir bleiben jedoch gegen die Richtigkeit dieſer Erklaͤrung und des angefuͤhrten Grundes noch folgende Zweifel uͤbrig. 1) Das Schielen muͤßte, wenn es dieſe Urſache haͤtte, jederzeit unheilbar ſeyn. Denn welches Mittel koͤnnte wohl die Wirkung haben, eine ſchief gerichtete Kryſtalllinſe in eine gerade Lage zu verſetzen? Dennoch zeigt die Erfahrung Beyſpiele von Verbeſſerung dieſes Geſichtsfehlers. 2) In allen Faͤllen, welche Jurin, Porterfield und Reid beobachtet haben, war die Axe des ſchielenden Auges, wenn das andere bedeckt ward, immer gerade nach dem Gegenſtande gekehrt. Haͤtte die Urſache des Schielens in einer ſchiefen Stellung der Kryſtalllinſe gelegen, ſo haͤtte ſich das ſchielende Auge, auch wenn es allein gebraucht waͤrd, ſeitwaͤrts von dem Gegenſtande wenden muͤſſen. 3) Der in der Recenſion angefuͤhrte Grund ſetzt voraus, eine Sache werde doppelt geſehen, wenn ihre Bilder in beyden Augen verſchiedene <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0829" xml:id="P.5.817" n="817"/><lb/> ſetzten ſie noch hinzu, daß damals die Ekliptik den ”Aequator rechtwinklicht durchſchnitten habe.“</p> </div> <div n="2"> <head>Schielen.</head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Zuſ. zu Th. <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 840—843.</hi> </p> <p>Unter den hier angefuͤhrten Erklaͤrungen dieſes Geſichtsfehlers wird in einer ſehr gruͤndlich abgefaßten Beurtheilung des Woͤrterbuchs <hi rendition="#aq">(Jen. Allg. Lit. Zeit. 1792. Num. 226)</hi> diejenige vermißt, welche das Schielen von einer ſchiefen Lage der Kryſtallinſe in dem einen Auge herleitet, wo naͤmlich ein Perpendikel auf die Mitte der Hornhaut nicht ſenkrecht auf die Mitte der Linſe iſt (oder die Axe der Linſe mit der Axe des Augapfels nicht coincidiret). Dem Herrn Rec. ſcheint dieſe Erklaͤrung richtiger, als alle andere, zu ſeyn. Waͤren die im Woͤrterbuche angefuͤhrten Erklaͤrungsarten richtig, ſo muͤßte nach ſeiner Meinung jeder Schielende die Gegenſtaͤnde eben ſo doppelt ſehen, wie ein Nicht - ſchielender, welcher den einen Augapfel mit dem Finger ein wenig auf die Seite druͤckt: ſo, wie nach ſeiner Erklaͤrung ein wirklich Schielender die Gegenſtaͤnde doppelt ſehen wuͤrde, wenn man ſeine Augen mit Gewalt in die Lage braͤchte, in welcher ſie bey Nichtſchielenden von Natur liegen.</p> <p>Mir bleiben jedoch gegen die Richtigkeit dieſer Erklaͤrung und des angefuͤhrten Grundes noch folgende Zweifel uͤbrig. 1) Das Schielen muͤßte, wenn es dieſe Urſache haͤtte, jederzeit unheilbar ſeyn. Denn welches Mittel koͤnnte wohl die Wirkung haben, eine ſchief gerichtete Kryſtalllinſe in eine gerade Lage zu verſetzen? Dennoch zeigt die Erfahrung Beyſpiele von Verbeſſerung dieſes Geſichtsfehlers. 2) In allen Faͤllen, welche <hi rendition="#b">Jurin, Porterfield</hi> und <hi rendition="#b">Reid</hi> beobachtet haben, war die Axe des ſchielenden Auges, wenn das andere bedeckt ward, immer gerade nach dem Gegenſtande gekehrt. Haͤtte die Urſache des Schielens in einer ſchiefen Stellung der Kryſtalllinſe gelegen, ſo haͤtte ſich das ſchielende Auge, auch wenn es allein gebraucht waͤrd, ſeitwaͤrts von dem Gegenſtande wenden muͤſſen. 3) Der in der Recenſion angefuͤhrte Grund ſetzt voraus, eine Sache werde doppelt geſehen, wenn ihre Bilder in beyden Augen verſchiedene<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [817/0829]
ſetzten ſie noch hinzu, daß damals die Ekliptik den ”Aequator rechtwinklicht durchſchnitten habe.“
Schielen.
Zuſ. zu Th. III. S. 840—843.
Unter den hier angefuͤhrten Erklaͤrungen dieſes Geſichtsfehlers wird in einer ſehr gruͤndlich abgefaßten Beurtheilung des Woͤrterbuchs (Jen. Allg. Lit. Zeit. 1792. Num. 226) diejenige vermißt, welche das Schielen von einer ſchiefen Lage der Kryſtallinſe in dem einen Auge herleitet, wo naͤmlich ein Perpendikel auf die Mitte der Hornhaut nicht ſenkrecht auf die Mitte der Linſe iſt (oder die Axe der Linſe mit der Axe des Augapfels nicht coincidiret). Dem Herrn Rec. ſcheint dieſe Erklaͤrung richtiger, als alle andere, zu ſeyn. Waͤren die im Woͤrterbuche angefuͤhrten Erklaͤrungsarten richtig, ſo muͤßte nach ſeiner Meinung jeder Schielende die Gegenſtaͤnde eben ſo doppelt ſehen, wie ein Nicht - ſchielender, welcher den einen Augapfel mit dem Finger ein wenig auf die Seite druͤckt: ſo, wie nach ſeiner Erklaͤrung ein wirklich Schielender die Gegenſtaͤnde doppelt ſehen wuͤrde, wenn man ſeine Augen mit Gewalt in die Lage braͤchte, in welcher ſie bey Nichtſchielenden von Natur liegen.
Mir bleiben jedoch gegen die Richtigkeit dieſer Erklaͤrung und des angefuͤhrten Grundes noch folgende Zweifel uͤbrig. 1) Das Schielen muͤßte, wenn es dieſe Urſache haͤtte, jederzeit unheilbar ſeyn. Denn welches Mittel koͤnnte wohl die Wirkung haben, eine ſchief gerichtete Kryſtalllinſe in eine gerade Lage zu verſetzen? Dennoch zeigt die Erfahrung Beyſpiele von Verbeſſerung dieſes Geſichtsfehlers. 2) In allen Faͤllen, welche Jurin, Porterfield und Reid beobachtet haben, war die Axe des ſchielenden Auges, wenn das andere bedeckt ward, immer gerade nach dem Gegenſtande gekehrt. Haͤtte die Urſache des Schielens in einer ſchiefen Stellung der Kryſtalllinſe gelegen, ſo haͤtte ſich das ſchielende Auge, auch wenn es allein gebraucht waͤrd, ſeitwaͤrts von dem Gegenſtande wenden muͤſſen. 3) Der in der Recenſion angefuͤhrte Grund ſetzt voraus, eine Sache werde doppelt geſehen, wenn ihre Bilder in beyden Augen verſchiedene
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