Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.
Von allen Hypothesen, sagt Hr. de Luc, welche man zur Erklärung des Gewitters ausgesonnen hat, ist keine auffallender, als die der positiven und negativen Wolken, die sich wechselseitig von ihrer elektrischen Flüßigkeit entladen sollen. Denn erstens, wenn sich Gewitterwolken in einer und eben derselben Luftschicht bilden, und man sie alle zu gleicher Zeit zunehmen sieht, durch welche Ursache sollten einige einen Ueberschuß und andere einen Mangel der elektrischen Flüßigkeit erhalten? Die Wolken bilden ja oft zur Zeit des Gewitters ein Continuum am ganzen sichtbaren Horizonte; wie wäre es also möglich, daß in diesen zusammenhängenden oder sich berührenden Leitern die Elektricität örtlich angehäuft seyn könnte, ohne sich sogleich durch die ganze Masse ins Gleichgewicht zu setzen? Zweytens, wenn auch ein so unbegreiflicher Unterschied des elektrischen Zustandes zwischen diesen Wolken bey ihrer Bildung statt fände, wie könnte derselbe fortdauern, wenn sie sich vereinigen (welches am häufigsten vor dem Gewitter geschiehet), da doch die Nebel, aus denen sie bestehen, Leiter sind? Drittens findet man eben sowohl Gewitter in den hohen Thälern der Alpen, ohngeachtet die Wolken rund herum die Gipfel der angrenzenden Gebirge berühren, und sich daran lehnen, wodurch sie nothwendig nicht nur unter sich, sondern auch mit dem Boden ins elektrische Gleichgewicht kommen müssen. Viertens kann man billig fragen, wie es möglich sey, daß, sobald die Gewitterwolken zu regnen anfangen, die Wolke nicht sogleich durch den Regen, der sie als Leiter mit der Erde verbindet, entladet wird, sondern das Gewitter beym Regen noch anhaltend fortdauert? Auch wenn man nicht annehmen wollte, daß die Gewitterwolken durch den Regen in unmittelbare Verbindung mit dem Boden kämen, müßte man doch zugeben, daß sie sich unter einander selbst ins Gleichgewicht stellen, und dem Gewitter ein Ende machen würden; denn das überflüßige Fluidum der einen Seite würde durch die Regentropfen nach der andern übergehen, und man würde bey
Von allen Hypotheſen, ſagt Hr. de Luc, welche man zur Erklaͤrung des Gewitters ausgeſonnen hat, iſt keine auffallender, als die der poſitiven und negativen Wolken, die ſich wechſelſeitig von ihrer elektriſchen Fluͤßigkeit entladen ſollen. Denn erſtens, wenn ſich Gewitterwolken in einer und eben derſelben Luftſchicht bilden, und man ſie alle zu gleicher Zeit zunehmen ſieht, durch welche Urſache ſollten einige einen Ueberſchuß und andere einen Mangel der elektriſchen Fluͤßigkeit erhalten? Die Wolken bilden ja oft zur Zeit des Gewitters ein Continuum am ganzen ſichtbaren Horizonte; wie waͤre es alſo moͤglich, daß in dieſen zuſammenhaͤngenden oder ſich beruͤhrenden Leitern die Elektricitaͤt oͤrtlich angehaͤuft ſeyn koͤnnte, ohne ſich ſogleich durch die ganze Maſſe ins Gleichgewicht zu ſetzen? Zweytens, wenn auch ein ſo unbegreiflicher Unterſchied des elektriſchen Zuſtandes zwiſchen dieſen Wolken bey ihrer Bildung ſtatt faͤnde, wie koͤnnte derſelbe fortdauern, wenn ſie ſich vereinigen (welches am haͤufigſten vor dem Gewitter geſchiehet), da doch die Nebel, aus denen ſie beſtehen, Leiter ſind? Drittens findet man eben ſowohl Gewitter in den hohen Thaͤlern der Alpen, ohngeachtet die Wolken rund herum die Gipfel der angrenzenden Gebirge beruͤhren, und ſich daran lehnen, wodurch ſie nothwendig nicht nur unter ſich, ſondern auch mit dem Boden ins elektriſche Gleichgewicht kommen muͤſſen. Viertens kann man billig fragen, wie es moͤglich ſey, daß, ſobald die Gewitterwolken zu regnen anfangen, die Wolke nicht ſogleich durch den Regen, der ſie als Leiter mit der Erde verbindet, entladet wird, ſondern das Gewitter beym Regen noch anhaltend fortdauert? Auch wenn man nicht annehmen wollte, daß die Gewitterwolken durch den Regen in unmittelbare Verbindung mit dem Boden kaͤmen, muͤßte man doch zugeben, daß ſie ſich unter einander ſelbſt ins Gleichgewicht ſtellen, und dem Gewitter ein Ende machen wuͤrden; denn das uͤberfluͤßige Fluidum der einen Seite wuͤrde durch die Regentropfen nach der andern uͤbergehen, und man wuͤrde bey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0579" xml:id="P.5.567" n="567"/><lb/> worden iſt. Erſt neuerlich ſind von Hrn. <hi rendition="#b">de Luc</hi> Gruͤnde vorgebracht worden, welche dieſe Theorie, wo nicht voͤllig umſtoßen, doch wenigſtens weit zweifelhafter machen, als man ſich ſonſt vorſtellte.</p> <p>Von allen Hypotheſen, ſagt Hr. <hi rendition="#b">de Luc,</hi> welche man zur Erklaͤrung des Gewitters ausgeſonnen hat, iſt keine auffallender, als die der poſitiven und negativen Wolken, die ſich wechſelſeitig von ihrer elektriſchen Fluͤßigkeit entladen ſollen. Denn erſtens, wenn ſich Gewitterwolken in einer und eben derſelben Luftſchicht bilden, und man ſie alle zu gleicher Zeit zunehmen ſieht, durch welche Urſache ſollten einige einen Ueberſchuß und andere einen Mangel der elektriſchen Fluͤßigkeit erhalten? Die Wolken bilden ja oft zur Zeit des Gewitters ein Continuum am ganzen ſichtbaren Horizonte; wie waͤre es alſo moͤglich, daß in dieſen zuſammenhaͤngenden oder ſich beruͤhrenden Leitern die Elektricitaͤt oͤrtlich angehaͤuft ſeyn koͤnnte, ohne ſich ſogleich durch die ganze Maſſe ins Gleichgewicht zu ſetzen? Zweytens, wenn auch ein ſo unbegreiflicher Unterſchied des elektriſchen Zuſtandes zwiſchen dieſen Wolken bey ihrer Bildung ſtatt faͤnde, wie koͤnnte derſelbe fortdauern, wenn ſie ſich vereinigen (welches am haͤufigſten vor dem Gewitter geſchiehet), da doch die Nebel, aus denen ſie beſtehen, Leiter ſind? Drittens findet man eben ſowohl Gewitter in den hohen Thaͤlern der Alpen, ohngeachtet die Wolken rund herum die Gipfel der angrenzenden Gebirge beruͤhren, und ſich daran lehnen, wodurch ſie nothwendig nicht nur unter ſich, ſondern auch mit dem Boden ins elektriſche Gleichgewicht kommen muͤſſen. Viertens kann man billig fragen, wie es moͤglich ſey, daß, ſobald die Gewitterwolken zu regnen anfangen, die Wolke nicht ſogleich durch den Regen, der ſie als Leiter mit der Erde verbindet, entladet wird, ſondern das Gewitter beym Regen noch anhaltend fortdauert? Auch wenn man nicht annehmen wollte, daß die Gewitterwolken durch den Regen in unmittelbare Verbindung mit dem Boden kaͤmen, muͤßte man doch zugeben, daß ſie ſich unter einander ſelbſt ins Gleichgewicht ſtellen, und dem Gewitter ein Ende machen wuͤrden; denn das uͤberfluͤßige Fluidum der einen Seite wuͤrde durch die Regentropfen nach der andern uͤbergehen, und man wuͤrde bey<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [567/0579]
worden iſt. Erſt neuerlich ſind von Hrn. de Luc Gruͤnde vorgebracht worden, welche dieſe Theorie, wo nicht voͤllig umſtoßen, doch wenigſtens weit zweifelhafter machen, als man ſich ſonſt vorſtellte.
Von allen Hypotheſen, ſagt Hr. de Luc, welche man zur Erklaͤrung des Gewitters ausgeſonnen hat, iſt keine auffallender, als die der poſitiven und negativen Wolken, die ſich wechſelſeitig von ihrer elektriſchen Fluͤßigkeit entladen ſollen. Denn erſtens, wenn ſich Gewitterwolken in einer und eben derſelben Luftſchicht bilden, und man ſie alle zu gleicher Zeit zunehmen ſieht, durch welche Urſache ſollten einige einen Ueberſchuß und andere einen Mangel der elektriſchen Fluͤßigkeit erhalten? Die Wolken bilden ja oft zur Zeit des Gewitters ein Continuum am ganzen ſichtbaren Horizonte; wie waͤre es alſo moͤglich, daß in dieſen zuſammenhaͤngenden oder ſich beruͤhrenden Leitern die Elektricitaͤt oͤrtlich angehaͤuft ſeyn koͤnnte, ohne ſich ſogleich durch die ganze Maſſe ins Gleichgewicht zu ſetzen? Zweytens, wenn auch ein ſo unbegreiflicher Unterſchied des elektriſchen Zuſtandes zwiſchen dieſen Wolken bey ihrer Bildung ſtatt faͤnde, wie koͤnnte derſelbe fortdauern, wenn ſie ſich vereinigen (welches am haͤufigſten vor dem Gewitter geſchiehet), da doch die Nebel, aus denen ſie beſtehen, Leiter ſind? Drittens findet man eben ſowohl Gewitter in den hohen Thaͤlern der Alpen, ohngeachtet die Wolken rund herum die Gipfel der angrenzenden Gebirge beruͤhren, und ſich daran lehnen, wodurch ſie nothwendig nicht nur unter ſich, ſondern auch mit dem Boden ins elektriſche Gleichgewicht kommen muͤſſen. Viertens kann man billig fragen, wie es moͤglich ſey, daß, ſobald die Gewitterwolken zu regnen anfangen, die Wolke nicht ſogleich durch den Regen, der ſie als Leiter mit der Erde verbindet, entladet wird, ſondern das Gewitter beym Regen noch anhaltend fortdauert? Auch wenn man nicht annehmen wollte, daß die Gewitterwolken durch den Regen in unmittelbare Verbindung mit dem Boden kaͤmen, muͤßte man doch zugeben, daß ſie ſich unter einander ſelbſt ins Gleichgewicht ſtellen, und dem Gewitter ein Ende machen wuͤrden; denn das uͤberfluͤßige Fluidum der einen Seite wuͤrde durch die Regentropfen nach der andern uͤbergehen, und man wuͤrde bey
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