Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Unter andern Schwierigkeiten dieses Verfahrens fällt gleich in die Augen, daß der wahre Augenblick der Dichotomie nicht mit zulänglicher Schärfe wahrzunehmen ist, und gleichwohl die geringste Aenderung des Winkels L, den man hier für einen rechten annimmt, das gesuchte Verhältniß TS: TL sehr stark ändert. Neuere Astronomen haben andere Größen des Winkels T gefunden, als Aristarch annimmt, woraus ganz andere Resultate folgen. Der Niederländer Wendelin (s. Riccioli Almag. nov. To. I. L. III. c. 7. art. 12.) setzt T=89° 45', wovon die Secante 229, 18384 die Sonne über 229 mal weiter, als den Mond, giebt, welches (TL=60 gesetzt, s. Mond) eine Entfernung von 13751 Erdhalbmessern ausmacht. Es ist also diese ganze Methode, so viel Ehre sie ihrem Erfinder bringt, nur zu beyläufigen Schätzungen dienlich, und kan in der neuern Astronomie nicht weiter gebraucht werden. Ein anderes von Hipparch erfundenes Verfahren, die Weite der Sonne aus der Größe des Erdschattens bey Mondfinsternissen zu finden, hat Ptolemäus (Almag. L. V. c. 15.) gebraucht. Es hängt mit dem astronomischen Lehrsatze zusammen, daß die Summe der scheinbaren Halbmesser der Sonne und des Erdschattens eben so groß sey, als die Summe der Horizontalparallaxen der Sonne und des Mondes ist. Nun setzt Ptolemäus aus Beobachtungen den scheinbaren Halbmesser der Sonne=15' 40", den des Erdschattens = 40' 45", wovon die Summe 56' 25" ausmacht. Die Weite des Monds von der Erde nimmt er 65 1/6 Erdhalbmesser, welches eine Mondparallaxe von 53' 35" voraussetzt. Zieht man diese von obiger Summe ab, so bleibt für die Sonnenparallaxe 2' 50" übrig. Beym Ptolemäus ist das Verfahren nicht so einfach, weil er nicht die Parallaxe, sondern die Distanz des Mondes selbst, in die Rechnung bringt, und daraus durch die weitläuftigern Methoden der alten Trigonometrie die Sonnenparallaxe=2' 57" findet, woraus die Weite der Sonne von der Erde 1166 Erdhalbmesser geschlossen wird. Aber
Unter andern Schwierigkeiten dieſes Verfahrens faͤllt gleich in die Augen, daß der wahre Augenblick der Dichotomie nicht mit zulaͤnglicher Schaͤrfe wahrzunehmen iſt, und gleichwohl die geringſte Aenderung des Winkels L, den man hier fuͤr einen rechten annimmt, das geſuchte Verhaͤltniß TS: TL ſehr ſtark aͤndert. Neuere Aſtronomen haben andere Groͤßen des Winkels T gefunden, als Ariſtarch annimmt, woraus ganz andere Reſultate folgen. Der Niederlaͤnder Wendelin (ſ. Riccioli Almag. nov. To. I. L. III. c. 7. art. 12.) ſetzt T=89° 45′, wovon die Secante 229, 18384 die Sonne uͤber 229 mal weiter, als den Mond, giebt, welches (TL=60 geſetzt, ſ. Mond) eine Entfernung von 13751 Erdhalbmeſſern ausmacht. Es iſt alſo dieſe ganze Methode, ſo viel Ehre ſie ihrem Erfinder bringt, nur zu beylaͤufigen Schaͤtzungen dienlich, und kan in der neuern Aſtronomie nicht weiter gebraucht werden. Ein anderes von Hipparch erfundenes Verfahren, die Weite der Sonne aus der Groͤße des Erdſchattens bey Mondfinſterniſſen zu finden, hat Ptolemaͤus (Almag. L. V. c. 15.) gebraucht. Es haͤngt mit dem aſtronomiſchen Lehrſatze zuſammen, daß die Summe der ſcheinbaren Halbmeſſer der Sonne und des Erdſchattens eben ſo groß ſey, als die Summe der Horizontalparallaxen der Sonne und des Mondes iſt. Nun ſetzt Ptolemaͤus aus Beobachtungen den ſcheinbaren Halbmeſſer der Sonne=15′ 40″, den des Erdſchattens = 40′ 45″, wovon die Summe 56′ 25″ ausmacht. Die Weite des Monds von der Erde nimmt er 65 1/6 Erdhalbmeſſer, welches eine Mondparallaxe von 53′ 35″ vorausſetzt. Zieht man dieſe von obiger Summe ab, ſo bleibt fuͤr die Sonnenparallaxe 2′ 50″ uͤbrig. Beym Ptolemaͤus iſt das Verfahren nicht ſo einfach, weil er nicht die Parallaxe, ſondern die Diſtanz des Mondes ſelbſt, in die Rechnung bringt, und daraus durch die weitlaͤuftigern Methoden der alten Trigonometrie die Sonnenparallaxe=2′ 57″ findet, woraus die Weite der Sonne von der Erde 1166 Erdhalbmeſſer geſchloſſen wird. Aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" xml:id="P.4.68" n="68"/><lb/> Unſere trigonometriſchen Tafeln wuͤrden ihm (19 1/10)mal gegeben haben (weil <hi rendition="#aq">ſec.</hi> 87° = 19,1073226 iſt).</p> <p>Unter andern Schwierigkeiten dieſes Verfahrens faͤllt gleich in die Augen, daß der wahre Augenblick der Dichotomie nicht mit zulaͤnglicher Schaͤrfe wahrzunehmen iſt, und gleichwohl die geringſte Aenderung des Winkels <hi rendition="#aq">L,</hi> den man hier fuͤr einen rechten annimmt, das geſuchte Verhaͤltniß <hi rendition="#aq">TS: TL</hi> ſehr ſtark aͤndert. Neuere Aſtronomen haben andere Groͤßen des Winkels <hi rendition="#aq">T</hi> gefunden, als Ariſtarch annimmt, woraus ganz andere Reſultate folgen. Der Niederlaͤnder <hi rendition="#b">Wendelin</hi> (ſ. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Riccioli</hi> Almag. nov. To. I. L. III. c. 7. art. 12.</hi>) ſetzt <hi rendition="#aq">T=89° 45′,</hi> wovon die Secante 229, 18384 die Sonne uͤber 229 mal weiter, als den Mond, giebt, welches (<hi rendition="#aq">TL</hi>=60 geſetzt, <hi rendition="#b">ſ. Mond</hi>) eine Entfernung von 13751 Erdhalbmeſſern ausmacht. Es iſt alſo dieſe ganze Methode, ſo viel Ehre ſie ihrem Erfinder bringt, nur zu beylaͤufigen Schaͤtzungen dienlich, und kan in der neuern Aſtronomie nicht weiter gebraucht werden.</p> <p>Ein anderes von <hi rendition="#b">Hipparch</hi> erfundenes Verfahren, die Weite der Sonne aus der Groͤße des Erdſchattens bey Mondfinſterniſſen zu finden, hat <hi rendition="#b">Ptolemaͤus</hi> (<hi rendition="#aq">Almag. L. V. c. 15.</hi>) gebraucht. Es haͤngt mit dem aſtronomiſchen Lehrſatze zuſammen, daß die Summe der ſcheinbaren Halbmeſſer der Sonne und des Erdſchattens eben ſo groß ſey, als die Summe der Horizontalparallaxen der Sonne und des Mondes iſt. Nun ſetzt <hi rendition="#b">Ptolemaͤus</hi> aus Beobachtungen den ſcheinbaren Halbmeſſer der Sonne=15′ 40″, den des Erdſchattens = 40′ 45″, wovon die Summe 56′ 25″ ausmacht. Die Weite des Monds von der Erde nimmt er 65 1/6 Erdhalbmeſſer, welches eine Mondparallaxe von 53′ 35″ vorausſetzt. Zieht man dieſe von obiger Summe ab, ſo bleibt fuͤr die Sonnenparallaxe 2′ 50″ uͤbrig. Beym Ptolemaͤus iſt das Verfahren nicht ſo einfach, weil er nicht die Parallaxe, ſondern die Diſtanz des Mondes ſelbſt, in die Rechnung bringt, und daraus durch die weitlaͤuftigern Methoden der alten Trigonometrie die Sonnenparallaxe=2′ 57″ findet, woraus die Weite der Sonne von der Erde 1166 Erdhalbmeſſer geſchloſſen wird. Aber<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0078]
Unſere trigonometriſchen Tafeln wuͤrden ihm (19 1/10)mal gegeben haben (weil ſec. 87° = 19,1073226 iſt).
Unter andern Schwierigkeiten dieſes Verfahrens faͤllt gleich in die Augen, daß der wahre Augenblick der Dichotomie nicht mit zulaͤnglicher Schaͤrfe wahrzunehmen iſt, und gleichwohl die geringſte Aenderung des Winkels L, den man hier fuͤr einen rechten annimmt, das geſuchte Verhaͤltniß TS: TL ſehr ſtark aͤndert. Neuere Aſtronomen haben andere Groͤßen des Winkels T gefunden, als Ariſtarch annimmt, woraus ganz andere Reſultate folgen. Der Niederlaͤnder Wendelin (ſ. Riccioli Almag. nov. To. I. L. III. c. 7. art. 12.) ſetzt T=89° 45′, wovon die Secante 229, 18384 die Sonne uͤber 229 mal weiter, als den Mond, giebt, welches (TL=60 geſetzt, ſ. Mond) eine Entfernung von 13751 Erdhalbmeſſern ausmacht. Es iſt alſo dieſe ganze Methode, ſo viel Ehre ſie ihrem Erfinder bringt, nur zu beylaͤufigen Schaͤtzungen dienlich, und kan in der neuern Aſtronomie nicht weiter gebraucht werden.
Ein anderes von Hipparch erfundenes Verfahren, die Weite der Sonne aus der Groͤße des Erdſchattens bey Mondfinſterniſſen zu finden, hat Ptolemaͤus (Almag. L. V. c. 15.) gebraucht. Es haͤngt mit dem aſtronomiſchen Lehrſatze zuſammen, daß die Summe der ſcheinbaren Halbmeſſer der Sonne und des Erdſchattens eben ſo groß ſey, als die Summe der Horizontalparallaxen der Sonne und des Mondes iſt. Nun ſetzt Ptolemaͤus aus Beobachtungen den ſcheinbaren Halbmeſſer der Sonne=15′ 40″, den des Erdſchattens = 40′ 45″, wovon die Summe 56′ 25″ ausmacht. Die Weite des Monds von der Erde nimmt er 65 1/6 Erdhalbmeſſer, welches eine Mondparallaxe von 53′ 35″ vorausſetzt. Zieht man dieſe von obiger Summe ab, ſo bleibt fuͤr die Sonnenparallaxe 2′ 50″ uͤbrig. Beym Ptolemaͤus iſt das Verfahren nicht ſo einfach, weil er nicht die Parallaxe, ſondern die Diſtanz des Mondes ſelbſt, in die Rechnung bringt, und daraus durch die weitlaͤuftigern Methoden der alten Trigonometrie die Sonnenparallaxe=2′ 57″ findet, woraus die Weite der Sonne von der Erde 1166 Erdhalbmeſſer geſchloſſen wird. Aber
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