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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Die große Wirkung dieser Schriften und das Lächerliche, das sie über die Meinung der Gegner verbreiteten, zog dem Galilei das Unglück zu, sich schon im Jahre 1632 zu Rom vor dem Tribunal der Inquisition stellen zu müssen, wogegen ihn der Großherzog von Toscana, sein Landesherr und Gönner, nicht zu schützen wagte. Er mußte sich, nachdem man ihn fast ein Jahr lang mit leidlichem Gefängniß in der Wohnung des französischen Gesandten belegt hatte, am 20. Jun. 1633 zu einem förmlichen Widerruf verstehen, wovon man die Urkunde nebst dem Decret der Inquisition beym Riccioli (Almag. nov. Tom. II. L. 9. ad sin.) findet. Er ward hierauf zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt, welches man jedoch im folgenden Jahre in eine Einschränkung seines Aufenthalts auf das florentinische Gebiet verwandelte, wo er bis an seinen 1642 erfolgten Tod auf seinem Landsitze Arcetri wohnte.

Inzwischen erhoben sich überall heftige Streitigkeiten. In Frankreich schrieb Morin wider den Copernikus, den dagegen Gassendi in einem treflichen Buche über die mitgetheilte Bewegung (De motu impresso a motore translato. Lugd. Bat. 1649. 4.) vertheidigte. Auch die Sorbonne wollte das copernikanische System in Untersuchung ziehen, es ward aber dieses durch ein einsichtsvolles Mitglied derselben verhindert. In den Niederlanden schrieb Fromond in Löwen einen Antiaristarch und eine Vesta, wogegen Lansberg die Bewegung der Erde vertheidigte. Um der Kürze willen nenne ich unter den übrigen Gegnern des Copernikus nur noch den Riccioli, als den gelehrtesten, und den Scipio Claramonti, als den ungeschicktesten, der den ptolemäischen Weltbau vertheidigte, und alle neuere Entdeckungen anzugreifen wagte; unter den Vertheidigern des neuen Systems aber den Bouillaud (Philolaus. 1639.), Lipstorp (Copernicus redivivus. Lugd. Bat. 1653. 4.), Wilkins (Copernic defend'd. London, 1660. 4. Vertheidigter Copernicus, Leipzig 1713. 4.), und was insbesondere die Schriftstellen betrift, Zimmermann (Scriptura sacra Copernizans. Frf. 1690. 4.).


Die große Wirkung dieſer Schriften und das Laͤcherliche, das ſie uͤber die Meinung der Gegner verbreiteten, zog dem Galilei das Ungluͤck zu, ſich ſchon im Jahre 1632 zu Rom vor dem Tribunal der Inquiſition ſtellen zu muͤſſen, wogegen ihn der Großherzog von Toſcana, ſein Landesherr und Goͤnner, nicht zu ſchuͤtzen wagte. Er mußte ſich, nachdem man ihn faſt ein Jahr lang mit leidlichem Gefaͤngniß in der Wohnung des franzoͤſiſchen Geſandten belegt hatte, am 20. Jun. 1633 zu einem foͤrmlichen Widerruf verſtehen, wovon man die Urkunde nebſt dem Decret der Inquiſition beym Riccioli (Almag. nov. Tom. II. L. 9. ad ſin.) findet. Er ward hierauf zu lebenslaͤnglichem Gefaͤngniß verurtheilt, welches man jedoch im folgenden Jahre in eine Einſchraͤnkung ſeines Aufenthalts auf das florentiniſche Gebiet verwandelte, wo er bis an ſeinen 1642 erfolgten Tod auf ſeinem Landſitze Arcetri wohnte.

Inzwiſchen erhoben ſich uͤberall heftige Streitigkeiten. In Frankreich ſchrieb Morin wider den Copernikus, den dagegen Gaſſendi in einem treflichen Buche uͤber die mitgetheilte Bewegung (De motu impreſſo a motore translato. Lugd. Bat. 1649. 4.) vertheidigte. Auch die Sorbonne wollte das copernikaniſche Syſtem in Unterſuchung ziehen, es ward aber dieſes durch ein einſichtsvolles Mitglied derſelben verhindert. In den Niederlanden ſchrieb Fromond in Loͤwen einen Antiariſtarch und eine Veſta, wogegen Lansberg die Bewegung der Erde vertheidigte. Um der Kuͤrze willen nenne ich unter den uͤbrigen Gegnern des Copernikus nur noch den Riccioli, als den gelehrteſten, und den Scipio Claramonti, als den ungeſchickteſten, der den ptolemaͤiſchen Weltbau vertheidigte, und alle neuere Entdeckungen anzugreifen wagte; unter den Vertheidigern des neuen Syſtems aber den Bouillaud (Philolaus. 1639.), Lipſtorp (Copernicus redivivus. Lugd. Bat. 1653. 4.), Wilkins (Copernic defend'd. London, 1660. 4. Vertheidigter Copernicus, Leipzig 1713. 4.), und was insbeſondere die Schriftſtellen betrift, Zimmermann (Scriptura ſacra Copernizans. Frf. 1690. 4.).

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[718/0728] Die große Wirkung dieſer Schriften und das Laͤcherliche, das ſie uͤber die Meinung der Gegner verbreiteten, zog dem Galilei das Ungluͤck zu, ſich ſchon im Jahre 1632 zu Rom vor dem Tribunal der Inquiſition ſtellen zu muͤſſen, wogegen ihn der Großherzog von Toſcana, ſein Landesherr und Goͤnner, nicht zu ſchuͤtzen wagte. Er mußte ſich, nachdem man ihn faſt ein Jahr lang mit leidlichem Gefaͤngniß in der Wohnung des franzoͤſiſchen Geſandten belegt hatte, am 20. Jun. 1633 zu einem foͤrmlichen Widerruf verſtehen, wovon man die Urkunde nebſt dem Decret der Inquiſition beym Riccioli (Almag. nov. Tom. II. L. 9. ad ſin.) findet. Er ward hierauf zu lebenslaͤnglichem Gefaͤngniß verurtheilt, welches man jedoch im folgenden Jahre in eine Einſchraͤnkung ſeines Aufenthalts auf das florentiniſche Gebiet verwandelte, wo er bis an ſeinen 1642 erfolgten Tod auf ſeinem Landſitze Arcetri wohnte. Inzwiſchen erhoben ſich uͤberall heftige Streitigkeiten. In Frankreich ſchrieb Morin wider den Copernikus, den dagegen Gaſſendi in einem treflichen Buche uͤber die mitgetheilte Bewegung (De motu impreſſo a motore translato. Lugd. Bat. 1649. 4.) vertheidigte. Auch die Sorbonne wollte das copernikaniſche Syſtem in Unterſuchung ziehen, es ward aber dieſes durch ein einſichtsvolles Mitglied derſelben verhindert. In den Niederlanden ſchrieb Fromond in Loͤwen einen Antiariſtarch und eine Veſta, wogegen Lansberg die Bewegung der Erde vertheidigte. Um der Kuͤrze willen nenne ich unter den uͤbrigen Gegnern des Copernikus nur noch den Riccioli, als den gelehrteſten, und den Scipio Claramonti, als den ungeſchickteſten, der den ptolemaͤiſchen Weltbau vertheidigte, und alle neuere Entdeckungen anzugreifen wagte; unter den Vertheidigern des neuen Syſtems aber den Bouillaud (Philolaus. 1639.), Lipſtorp (Copernicus redivivus. Lugd. Bat. 1653. 4.), Wilkins (Copernic defend'd. London, 1660. 4. Vertheidigter Copernicus, Leipzig 1713. 4.), und was insbeſondere die Schriftſtellen betrift, Zimmermann (Scriptura ſacra Copernizans. Frf. 1690. 4.).

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/728>, abgerufen am 22.11.2024.