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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Verflüchtigung, Lufterzeugung, alle zusammen als Stufen der Auflösung, und als Folgen der verschiedenen Verwandtschaft mit den Körpern, betrachtet. Alsdann aber kan man jede Wärme gebunden nennen, welche durch Verwendung auf irgend eine höhere Stufe an der Ausübung dessen gehindert wird, was sie auf der niedrigen Stufe würde bewirkt haben.

Wer inzwischen durch Bindung und chymische Vereinigung im allerstrengsten Sinne blos eine solche Combination verstehen will, die nur durch eigentliche Wahlverwandtschaften wieder getrennt werden kan, der wird freylich den Wärmestof nur in den Luftarten allein, nicht in festen, flüßigen und dampfförmigen Stoffen, chymisch gebunden finden. Denn nur mit jenen ist er permanent vereiniget; diese verlieren ihn schon durch bloße Berührung kalter Körper, oder blos durch sein Bestreben nach Gleichgewicht, das man, als etwas Mechanisches, der chymischen Zerlegung entgegensetzt. So betrachtet die Sache Herr Pictet (Versuch über das Feuer, Cap. 1.). Er will lieber vier Arten von Feuer oder Wärme, freye, specifische, latente und chymisch gebundne, unterschieden wissen. Die specifische will er nicht mit Crawford Capacität, lieber Affinität, noch lieber minderes Widerstreben gegen freyes Feuer, nennen. Für die latente in geschmolznen und verdampften Stoffen schlägt er die in der That sehr schicklichen Namen Flüßigkeitswärme und Vaporisationswärme vor, wie man Krystallisationswasser sage; chymisch gebunden sey die Wärme nur, wenn sie einen wirklichen Bestandtheil der Körper ausmache, und ihr Streben nach Gleichgewicht verlohren habe. Diese strengere Eintheilung macht man doch nur darum, weil man die Mittheilung der Wärme als etwas blos Mechanisches ansieht. Aber sie erfolgt ja auch nach besondern Gesetzen, die sich auf specifische Wärme oder Affinität jedes Stoffes gründen. In der Wirklichkeit mögen überhaupt mechanische und chymische Wirkungen wenig von einander verschieden seyn. Und bey der latenten Wärme sehe ich vollends kein Bedenken, sie gebunden zu nennen, so wie man ja auch das Krystallenwasser gebunden nennen kan.


Verfluͤchtigung, Lufterzeugung, alle zuſammen als Stufen der Aufloͤſung, und als Folgen der verſchiedenen Verwandtſchaft mit den Koͤrpern, betrachtet. Alsdann aber kan man jede Waͤrme gebunden nennen, welche durch Verwendung auf irgend eine hoͤhere Stufe an der Ausuͤbung deſſen gehindert wird, was ſie auf der niedrigen Stufe wuͤrde bewirkt haben.

Wer inzwiſchen durch Bindung und chymiſche Vereinigung im allerſtrengſten Sinne blos eine ſolche Combination verſtehen will, die nur durch eigentliche Wahlverwandtſchaften wieder getrennt werden kan, der wird freylich den Waͤrmeſtof nur in den Luftarten allein, nicht in feſten, fluͤßigen und dampffoͤrmigen Stoffen, chymiſch gebunden finden. Denn nur mit jenen iſt er permanent vereiniget; dieſe verlieren ihn ſchon durch bloße Beruͤhrung kalter Koͤrper, oder blos durch ſein Beſtreben nach Gleichgewicht, das man, als etwas Mechaniſches, der chymiſchen Zerlegung entgegenſetzt. So betrachtet die Sache Herr Pictet (Verſuch uͤber das Feuer, Cap. 1.). Er will lieber vier Arten von Feuer oder Waͤrme, freye, ſpecifiſche, latente und chymiſch gebundne, unterſchieden wiſſen. Die ſpecifiſche will er nicht mit Crawford Capacitaͤt, lieber Affinitaͤt, noch lieber minderes Widerſtreben gegen freyes Feuer, nennen. Fuͤr die latente in geſchmolznen und verdampften Stoffen ſchlaͤgt er die in der That ſehr ſchicklichen Namen Fluͤßigkeitswaͤrme und Vaporiſationswaͤrme vor, wie man Kryſtalliſationswaſſer ſage; chymiſch gebunden ſey die Waͤrme nur, wenn ſie einen wirklichen Beſtandtheil der Koͤrper ausmache, und ihr Streben nach Gleichgewicht verlohren habe. Dieſe ſtrengere Eintheilung macht man doch nur darum, weil man die Mittheilung der Waͤrme als etwas blos Mechaniſches anſieht. Aber ſie erfolgt ja auch nach beſondern Geſetzen, die ſich auf ſpecifiſche Waͤrme oder Affinitaͤt jedes Stoffes gruͤnden. In der Wirklichkeit moͤgen uͤberhaupt mechaniſche und chymiſche Wirkungen wenig von einander verſchieden ſeyn. Und bey der latenten Waͤrme ſehe ich vollends kein Bedenken, ſie gebunden zu nennen, ſo wie man ja auch das Kryſtallenwaſſer gebunden nennen kan.

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[565/0575] Verfluͤchtigung, Lufterzeugung, alle zuſammen als Stufen der Aufloͤſung, und als Folgen der verſchiedenen Verwandtſchaft mit den Koͤrpern, betrachtet. Alsdann aber kan man jede Waͤrme gebunden nennen, welche durch Verwendung auf irgend eine hoͤhere Stufe an der Ausuͤbung deſſen gehindert wird, was ſie auf der niedrigen Stufe wuͤrde bewirkt haben. Wer inzwiſchen durch Bindung und chymiſche Vereinigung im allerſtrengſten Sinne blos eine ſolche Combination verſtehen will, die nur durch eigentliche Wahlverwandtſchaften wieder getrennt werden kan, der wird freylich den Waͤrmeſtof nur in den Luftarten allein, nicht in feſten, fluͤßigen und dampffoͤrmigen Stoffen, chymiſch gebunden finden. Denn nur mit jenen iſt er permanent vereiniget; dieſe verlieren ihn ſchon durch bloße Beruͤhrung kalter Koͤrper, oder blos durch ſein Beſtreben nach Gleichgewicht, das man, als etwas Mechaniſches, der chymiſchen Zerlegung entgegenſetzt. So betrachtet die Sache Herr Pictet (Verſuch uͤber das Feuer, Cap. 1.). Er will lieber vier Arten von Feuer oder Waͤrme, freye, ſpecifiſche, latente und chymiſch gebundne, unterſchieden wiſſen. Die ſpecifiſche will er nicht mit Crawford Capacitaͤt, lieber Affinitaͤt, noch lieber minderes Widerſtreben gegen freyes Feuer, nennen. Fuͤr die latente in geſchmolznen und verdampften Stoffen ſchlaͤgt er die in der That ſehr ſchicklichen Namen Fluͤßigkeitswaͤrme und Vaporiſationswaͤrme vor, wie man Kryſtalliſationswaſſer ſage; chymiſch gebunden ſey die Waͤrme nur, wenn ſie einen wirklichen Beſtandtheil der Koͤrper ausmache, und ihr Streben nach Gleichgewicht verlohren habe. Dieſe ſtrengere Eintheilung macht man doch nur darum, weil man die Mittheilung der Waͤrme als etwas blos Mechaniſches anſieht. Aber ſie erfolgt ja auch nach beſondern Geſetzen, die ſich auf ſpecifiſche Waͤrme oder Affinitaͤt jedes Stoffes gruͤnden. In der Wirklichkeit moͤgen uͤberhaupt mechaniſche und chymiſche Wirkungen wenig von einander verſchieden ſeyn. Und bey der latenten Waͤrme ſehe ich vollends kein Bedenken, ſie gebunden zu nennen, ſo wie man ja auch das Kryſtallenwaſſer gebunden nennen kan.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/575>, abgerufen am 30.07.2024.