Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Reine Vitriolsäure findet man von Natur selten oder gar nicht, ohne Zweifel wegen der häusigen Verbindungen, in welche dieselbe mit so mannigfaltigen Körpern treten kan. Doch bemerkt Bergmann (Nov. Act. Vpsal. Vol. III. p. 91.), daß bey Viterbo und an andern Orten, wo Schwefel durch unterirdisches Feuer verbrannt ist, eine verdünnte Vitriolsäure aus Felsenritzen hervorquelle. Desto häufiger findet man sie mit dem Brennbaren vereiniget in Gestalt des Schwefels und der Erdharze, mit Erden verbunden als Selenit, Bittersalz, Alaun und Schwerspath, mit metallischen Substanzen, als gediegenen Vitriol, mit dem Mineralalkali neutralisirt als Glaubersalz, wovon in den meisten Wassern, besonders den kochsalzhaltigen, ein Antheil enthalten ist. Eben so häufig findet sich in den Stoffen des Thier- und Pflanzenreichs der vitriolisirte Weinstein; und überhaupt ist die Vitriolsäure so allgemein verbreitet, daß man Spuren von ihr bey der Untersuchung der meisten natürlichen Körper antrist.

Ob nun diese in der Natur verbreitete Vitriolsäure sich ursprünglich in dem Zustande des Schwefels befunden, und durch dessen Verbrennung und Zersetzung entbunden erst die metallischen und erdigten Mittelsalze erzeugt habe; oder ob sie vielmehr ursprünglich mit den erdigten und metallischen Stoffen vereiniget gewesen, und durch ihre vorzügliche Neigung gegen das Brennbare diesen entzogen, und zur Bildung des im Innern der Erde enthaltenen Schwefels verwendet worden sey, das läßt sich keinesweges bestimmen. Die Kunst kan die Verbindungen dieser Säure nach Verschiedenheit der Umstände auf beyderley Art verändern, und vielleicht hat sich auch die Natur des einen Weges sowohl, als des andern, bedient.

Meinungen mehrerer Chymisten über das Wesen und die Beschaffenheit der Vitriolsäure sind bereits bey den Worten Salze, Säuren erwähnt worden. Diejenigen, welche alle Säuren auf eine einzige zu bringen suchten, sahen die Vitriolsäure wegen der Einfachheit und Innigkeit ihrer Verbindungen für die allgemeine Säure (acidum catholicum, primigenium) an, welche die Basis der übrigen


Reine Vitriolſaͤure findet man von Natur ſelten oder gar nicht, ohne Zweifel wegen der haͤuſigen Verbindungen, in welche dieſelbe mit ſo mannigfaltigen Koͤrpern treten kan. Doch bemerkt Bergmann (Nov. Act. Vpſal. Vol. III. p. 91.), daß bey Viterbo und an andern Orten, wo Schwefel durch unterirdiſches Feuer verbrannt iſt, eine verduͤnnte Vitriolſaͤure aus Felſenritzen hervorquelle. Deſto haͤufiger findet man ſie mit dem Brennbaren vereiniget in Geſtalt des Schwefels und der Erdharze, mit Erden verbunden als Selenit, Bitterſalz, Alaun und Schwerſpath, mit metalliſchen Subſtanzen, als gediegenen Vitriol, mit dem Mineralalkali neutraliſirt als Glauberſalz, wovon in den meiſten Waſſern, beſonders den kochſalzhaltigen, ein Antheil enthalten iſt. Eben ſo haͤufig findet ſich in den Stoffen des Thier- und Pflanzenreichs der vitrioliſirte Weinſtein; und uͤberhaupt iſt die Vitriolſaͤure ſo allgemein verbreitet, daß man Spuren von ihr bey der Unterſuchung der meiſten natuͤrlichen Koͤrper antriſt.

Ob nun dieſe in der Natur verbreitete Vitriolſaͤure ſich urſpruͤnglich in dem Zuſtande des Schwefels befunden, und durch deſſen Verbrennung und Zerſetzung entbunden erſt die metalliſchen und erdigten Mittelſalze erzeugt habe; oder ob ſie vielmehr urſpruͤnglich mit den erdigten und metalliſchen Stoffen vereiniget geweſen, und durch ihre vorzuͤgliche Neigung gegen das Brennbare dieſen entzogen, und zur Bildung des im Innern der Erde enthaltenen Schwefels verwendet worden ſey, das laͤßt ſich keinesweges beſtimmen. Die Kunſt kan die Verbindungen dieſer Saͤure nach Verſchiedenheit der Umſtaͤnde auf beyderley Art veraͤndern, und vielleicht hat ſich auch die Natur des einen Weges ſowohl, als des andern, bedient.

Meinungen mehrerer Chymiſten uͤber das Weſen und die Beſchaffenheit der Vitriolſaͤure ſind bereits bey den Worten Salze, Saͤuren erwaͤhnt worden. Diejenigen, welche alle Saͤuren auf eine einzige zu bringen ſuchten, ſahen die Vitriolſaͤure wegen der Einfachheit und Innigkeit ihrer Verbindungen fuͤr die allgemeine Saͤure (acidum catholicum, primigenium) an, welche die Baſis der uͤbrigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0502" xml:id="P.4.492" n="492"/><lb/>
            </p>
            <p>Reine Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure findet man von Natur &#x017F;elten oder gar nicht, ohne Zweifel wegen der ha&#x0364;u&#x017F;igen Verbindungen, in welche die&#x017F;elbe mit &#x017F;o mannigfaltigen Ko&#x0364;rpern treten kan. Doch bemerkt <hi rendition="#b">Bergmann</hi> (<hi rendition="#aq">Nov. Act. Vp&#x017F;al. Vol. III. p. 91.</hi>), daß bey Viterbo und an andern Orten, wo Schwefel durch unterirdi&#x017F;ches Feuer verbrannt i&#x017F;t, eine verdu&#x0364;nnte Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure aus Fel&#x017F;enritzen hervorquelle. De&#x017F;to ha&#x0364;ufiger findet man &#x017F;ie mit dem Brennbaren vereiniget in Ge&#x017F;talt des Schwefels und der Erdharze, mit Erden verbunden als Selenit, Bitter&#x017F;alz, Alaun und Schwer&#x017F;path, mit metalli&#x017F;chen Sub&#x017F;tanzen, als gediegenen Vitriol, mit dem Mineralalkali neutrali&#x017F;irt als Glauber&#x017F;alz, wovon in den mei&#x017F;ten Wa&#x017F;&#x017F;ern, be&#x017F;onders den koch&#x017F;alzhaltigen, ein Antheil enthalten i&#x017F;t. Eben &#x017F;o ha&#x0364;ufig findet &#x017F;ich in den Stoffen des Thier- und Pflanzenreichs der vitrioli&#x017F;irte Wein&#x017F;tein; und u&#x0364;berhaupt i&#x017F;t die Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure &#x017F;o allgemein verbreitet, daß man Spuren von ihr bey der Unter&#x017F;uchung der mei&#x017F;ten natu&#x0364;rlichen Ko&#x0364;rper antri&#x017F;t.</p>
            <p>Ob nun die&#x017F;e in der Natur verbreitete Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure &#x017F;ich ur&#x017F;pru&#x0364;nglich in dem Zu&#x017F;tande des Schwefels befunden, und durch de&#x017F;&#x017F;en Verbrennung und Zer&#x017F;etzung entbunden er&#x017F;t die metalli&#x017F;chen und erdigten Mittel&#x017F;alze erzeugt habe; oder ob &#x017F;ie vielmehr ur&#x017F;pru&#x0364;nglich mit den erdigten und metalli&#x017F;chen Stoffen vereiniget gewe&#x017F;en, und durch ihre vorzu&#x0364;gliche Neigung gegen das Brennbare die&#x017F;en entzogen, und zur Bildung des im Innern der Erde enthaltenen Schwefels verwendet worden &#x017F;ey, das la&#x0364;ßt &#x017F;ich keinesweges be&#x017F;timmen. Die Kun&#x017F;t kan die Verbindungen die&#x017F;er Sa&#x0364;ure nach Ver&#x017F;chiedenheit der Um&#x017F;ta&#x0364;nde auf beyderley Art vera&#x0364;ndern, und vielleicht hat &#x017F;ich auch die Natur des einen Weges &#x017F;owohl, als des andern, bedient.</p>
            <p>Meinungen mehrerer Chymi&#x017F;ten u&#x0364;ber das We&#x017F;en und die Be&#x017F;chaffenheit der Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure &#x017F;ind bereits bey den Worten <hi rendition="#b">Salze, Sa&#x0364;uren</hi> erwa&#x0364;hnt worden. Diejenigen, welche alle Sa&#x0364;uren auf eine einzige zu bringen &#x017F;uchten, &#x017F;ahen die Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure wegen der Einfachheit und Innigkeit ihrer Verbindungen fu&#x0364;r die allgemeine Sa&#x0364;ure (<hi rendition="#aq">acidum catholicum, primigenium</hi>) an, welche die Ba&#x017F;is der u&#x0364;brigen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[492/0502] Reine Vitriolſaͤure findet man von Natur ſelten oder gar nicht, ohne Zweifel wegen der haͤuſigen Verbindungen, in welche dieſelbe mit ſo mannigfaltigen Koͤrpern treten kan. Doch bemerkt Bergmann (Nov. Act. Vpſal. Vol. III. p. 91.), daß bey Viterbo und an andern Orten, wo Schwefel durch unterirdiſches Feuer verbrannt iſt, eine verduͤnnte Vitriolſaͤure aus Felſenritzen hervorquelle. Deſto haͤufiger findet man ſie mit dem Brennbaren vereiniget in Geſtalt des Schwefels und der Erdharze, mit Erden verbunden als Selenit, Bitterſalz, Alaun und Schwerſpath, mit metalliſchen Subſtanzen, als gediegenen Vitriol, mit dem Mineralalkali neutraliſirt als Glauberſalz, wovon in den meiſten Waſſern, beſonders den kochſalzhaltigen, ein Antheil enthalten iſt. Eben ſo haͤufig findet ſich in den Stoffen des Thier- und Pflanzenreichs der vitrioliſirte Weinſtein; und uͤberhaupt iſt die Vitriolſaͤure ſo allgemein verbreitet, daß man Spuren von ihr bey der Unterſuchung der meiſten natuͤrlichen Koͤrper antriſt. Ob nun dieſe in der Natur verbreitete Vitriolſaͤure ſich urſpruͤnglich in dem Zuſtande des Schwefels befunden, und durch deſſen Verbrennung und Zerſetzung entbunden erſt die metalliſchen und erdigten Mittelſalze erzeugt habe; oder ob ſie vielmehr urſpruͤnglich mit den erdigten und metalliſchen Stoffen vereiniget geweſen, und durch ihre vorzuͤgliche Neigung gegen das Brennbare dieſen entzogen, und zur Bildung des im Innern der Erde enthaltenen Schwefels verwendet worden ſey, das laͤßt ſich keinesweges beſtimmen. Die Kunſt kan die Verbindungen dieſer Saͤure nach Verſchiedenheit der Umſtaͤnde auf beyderley Art veraͤndern, und vielleicht hat ſich auch die Natur des einen Weges ſowohl, als des andern, bedient. Meinungen mehrerer Chymiſten uͤber das Weſen und die Beſchaffenheit der Vitriolſaͤure ſind bereits bey den Worten Salze, Saͤuren erwaͤhnt worden. Diejenigen, welche alle Saͤuren auf eine einzige zu bringen ſuchten, ſahen die Vitriolſaͤure wegen der Einfachheit und Innigkeit ihrer Verbindungen fuͤr die allgemeine Saͤure (acidum catholicum, primigenium) an, welche die Baſis der uͤbrigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/502
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/502>, abgerufen am 22.11.2024.