woraus endlich auch Begriffe und Urtheile von Größe und Entfernung entstehen. So ist unser Sehen Erinnerung sinnlicher Empfindungen, die wir vormals hatten begleitet mit dem Schlusse, die jetzt gesehene Sache werde, wenn wir den Versuch anstellten unsere übrigen Sinne auf eben die Art rühren, wie vormals bey einer gleichen Gesichtsempfindung. Diese Schlüsse erfolgen eben so schnell, als z. B. die Züge der Schrift oder Töne der Worte in unserer Seele die Begriffe der Sachen erregen, welche sie ausdrücken, und mit welchen wir sie zu verbinden gewohnt sind. So erhellt, daß die Art, wie uns das Licht die äussern Dinge darstellt, im Grunde eben so etwas ist, wie die Darstellung durch willkührlich eingeführte Sprach - und Schriftzeichen. Wir sehen nicht durch eine wirkliche Identität des Bilds mit der Sache, sondern durch eine aus beständiger Erfahrung gewohnte Verbindung unserer Ideen von Bild und Sache: und vielleicht hat das Bild eben so wenig gemein mit dem Körper, den es vorstellt, als das Wort mit der Sache, die es ausdrückt.
Es ist sehr nützlich, sich durch den ganzen Umfang der Physik immer hieran zu erinnern. Wir lernen doch die meisten Körper durchs Gesicht kennen, und sind nur allzugeneigt, die Bilder, die uns dadurch eingedrückt werden, für die Körper selbst zu nehmen, wenigstens uns die Körper als so etwas zu denken, wie die Bilder sind. Dies ist aber nur sinnlicher Schein, oder Kleid der Dinge, von der Wirklichkeit und den Dingen selbst vielleicht unendlich verschieden.
Bey Menschen, welchen der Sinn des Gesichts von Jugend auf gemangelt hat, müssen die Vorstellungen von den Dingen ganz anders, und mehr den Empfindungen des Gefühls analog seyn. Wie Blinde Begriffe erhalten, die dem gemeinen Manne mit dem Gesichte nothwendig verbunden zu seyn scheinen, zeigt Thümmig (Versuch einer gründl. Erläuterung der merkw. Begebenh. in der Natur. Halle, 1723. 8. Erstes St. Art. 7.). Manche Blinde bringen es hierinn sehr weit. Ein merkwürdiges Beyspiel hievon war der blinde Professor der Mathematik zu Cambridge, Saunderson, der sich beym Rechnen mit Ziffern
woraus endlich auch Begriffe und Urtheile von Groͤße und Entfernung entſtehen. So iſt unſer Sehen Erinnerung ſinnlicher Empfindungen, die wir vormals hatten begleitet mit dem Schluſſe, die jetzt geſehene Sache werde, wenn wir den Verſuch anſtellten unſere uͤbrigen Sinne auf eben die Art ruͤhren, wie vormals bey einer gleichen Geſichtsempfindung. Dieſe Schluͤſſe erfolgen eben ſo ſchnell, als z. B. die Zuͤge der Schrift oder Toͤne der Worte in unſerer Seele die Begriffe der Sachen erregen, welche ſie ausdruͤcken, und mit welchen wir ſie zu verbinden gewohnt ſind. So erhellt, daß die Art, wie uns das Licht die aͤuſſern Dinge darſtellt, im Grunde eben ſo etwas iſt, wie die Darſtellung durch willkuͤhrlich eingefuͤhrte Sprach - und Schriftzeichen. Wir ſehen nicht durch eine wirkliche Identitaͤt des Bilds mit der Sache, ſondern durch eine aus beſtaͤndiger Erfahrung gewohnte Verbindung unſerer Ideen von Bild und Sache: und vielleicht hat das Bild eben ſo wenig gemein mit dem Koͤrper, den es vorſtellt, als das Wort mit der Sache, die es ausdruͤckt.
Es iſt ſehr nuͤtzlich, ſich durch den ganzen Umfang der Phyſik immer hieran zu erinnern. Wir lernen doch die meiſten Koͤrper durchs Geſicht kennen, und ſind nur allzugeneigt, die Bilder, die uns dadurch eingedruͤckt werden, fuͤr die Koͤrper ſelbſt zu nehmen, wenigſtens uns die Koͤrper als ſo etwas zu denken, wie die Bilder ſind. Dies iſt aber nur ſinnlicher Schein, oder Kleid der Dinge, von der Wirklichkeit und den Dingen ſelbſt vielleicht unendlich verſchieden.
Bey Menſchen, welchen der Sinn des Geſichts von Jugend auf gemangelt hat, muͤſſen die Vorſtellungen von den Dingen ganz anders, und mehr den Empfindungen des Gefuͤhls analog ſeyn. Wie Blinde Begriffe erhalten, die dem gemeinen Manne mit dem Geſichte nothwendig verbunden zu ſeyn ſcheinen, zeigt Thuͤmmig (Verſuch einer gruͤndl. Erlaͤuterung der merkw. Begebenh. in der Natur. Halle, 1723. 8. Erſtes St. Art. 7.). Manche Blinde bringen es hierinn ſehr weit. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel hievon war der blinde Profeſſor der Mathematik zu Cambridge, Saunderſon, der ſich beym Rechnen mit Ziffern
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woraus endlich auch Begriffe und Urtheile von Groͤße und Entfernung entſtehen. So iſt unſer Sehen Erinnerung ſinnlicher Empfindungen, die wir vormals hatten begleitet mit dem Schluſſe, die jetzt geſehene Sache werde, wenn wir den Verſuch anſtellten unſere uͤbrigen Sinne auf eben die Art ruͤhren, wie vormals bey einer gleichen Geſichtsempfindung. Dieſe Schluͤſſe erfolgen eben ſo ſchnell, als z. B. die Zuͤge der Schrift oder Toͤne der Worte in unſerer Seele die Begriffe der Sachen erregen, welche ſie ausdruͤcken, und mit welchen wir ſie zu verbinden gewohnt ſind. So erhellt, daß die Art, wie uns das Licht die aͤuſſern Dinge darſtellt, im Grunde eben ſo etwas iſt, wie die Darſtellung durch willkuͤhrlich eingefuͤhrte Sprach - und Schriftzeichen. Wir ſehen nicht durch eine wirkliche Identitaͤt des Bilds mit der Sache, ſondern durch eine aus beſtaͤndiger Erfahrung gewohnte Verbindung unſerer Ideen von Bild und Sache: und vielleicht hat das Bild eben ſo wenig gemein mit dem Koͤrper, den es vorſtellt, als das Wort mit der Sache, die es ausdruͤckt.</p><p>Es iſt ſehr nuͤtzlich, ſich durch den ganzen Umfang der Phyſik immer hieran zu erinnern. Wir lernen doch die meiſten Koͤrper durchs Geſicht kennen, und ſind nur allzugeneigt, die Bilder, die uns dadurch eingedruͤckt werden, fuͤr die Koͤrper ſelbſt zu nehmen, wenigſtens uns die Koͤrper als ſo etwas zu denken, wie die Bilder ſind. Dies iſt aber nur ſinnlicher Schein, oder Kleid der Dinge, von der Wirklichkeit und den Dingen ſelbſt vielleicht unendlich verſchieden.</p><p>Bey Menſchen, welchen der Sinn des Geſichts von Jugend auf gemangelt hat, muͤſſen die Vorſtellungen von den Dingen ganz anders, und mehr den Empfindungen des Gefuͤhls analog ſeyn. Wie Blinde Begriffe erhalten, die dem gemeinen Manne mit dem Geſichte nothwendig verbunden zu ſeyn ſcheinen, zeigt <hirendition="#b">Thuͤmmig</hi> (Verſuch einer gruͤndl. Erlaͤuterung der merkw. Begebenh. in der Natur. Halle, 1723. 8. Erſtes St. Art. 7.). Manche Blinde bringen es hierinn ſehr weit. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel hievon war der blinde Profeſſor der Mathematik zu Cambridge, <hirendition="#b">Saunderſon,</hi> der ſich beym Rechnen mit Ziffern<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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woraus endlich auch Begriffe und Urtheile von Groͤße und Entfernung entſtehen. So iſt unſer Sehen Erinnerung ſinnlicher Empfindungen, die wir vormals hatten begleitet mit dem Schluſſe, die jetzt geſehene Sache werde, wenn wir den Verſuch anſtellten unſere uͤbrigen Sinne auf eben die Art ruͤhren, wie vormals bey einer gleichen Geſichtsempfindung. Dieſe Schluͤſſe erfolgen eben ſo ſchnell, als z. B. die Zuͤge der Schrift oder Toͤne der Worte in unſerer Seele die Begriffe der Sachen erregen, welche ſie ausdruͤcken, und mit welchen wir ſie zu verbinden gewohnt ſind. So erhellt, daß die Art, wie uns das Licht die aͤuſſern Dinge darſtellt, im Grunde eben ſo etwas iſt, wie die Darſtellung durch willkuͤhrlich eingefuͤhrte Sprach - und Schriftzeichen. Wir ſehen nicht durch eine wirkliche Identitaͤt des Bilds mit der Sache, ſondern durch eine aus beſtaͤndiger Erfahrung gewohnte Verbindung unſerer Ideen von Bild und Sache: und vielleicht hat das Bild eben ſo wenig gemein mit dem Koͤrper, den es vorſtellt, als das Wort mit der Sache, die es ausdruͤckt.
Es iſt ſehr nuͤtzlich, ſich durch den ganzen Umfang der Phyſik immer hieran zu erinnern. Wir lernen doch die meiſten Koͤrper durchs Geſicht kennen, und ſind nur allzugeneigt, die Bilder, die uns dadurch eingedruͤckt werden, fuͤr die Koͤrper ſelbſt zu nehmen, wenigſtens uns die Koͤrper als ſo etwas zu denken, wie die Bilder ſind. Dies iſt aber nur ſinnlicher Schein, oder Kleid der Dinge, von der Wirklichkeit und den Dingen ſelbſt vielleicht unendlich verſchieden.
Bey Menſchen, welchen der Sinn des Geſichts von Jugend auf gemangelt hat, muͤſſen die Vorſtellungen von den Dingen ganz anders, und mehr den Empfindungen des Gefuͤhls analog ſeyn. Wie Blinde Begriffe erhalten, die dem gemeinen Manne mit dem Geſichte nothwendig verbunden zu ſeyn ſcheinen, zeigt Thuͤmmig (Verſuch einer gruͤndl. Erlaͤuterung der merkw. Begebenh. in der Natur. Halle, 1723. 8. Erſtes St. Art. 7.). Manche Blinde bringen es hierinn ſehr weit. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel hievon war der blinde Profeſſor der Mathematik zu Cambridge, Saunderſon, der ſich beym Rechnen mit Ziffern
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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