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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Naturforscher selbst in diesen Fällen nicht vergessen, daß die angenommene Stetigkeit, wie alles, was die Sinne zeigen, nur Phänomen ist. Er wird also nicht läugnen, daß in der Wirklichkeit die Schwere gar wohl durch Stöße bewirkt werden könnte u. s. w.

Wo nun vollends aus der Natur der Sache erhellet, daß dem jetzigen Zustande nicht jeder andere nach Gefallen nachfolgen könne, sondern daß sogleich ein gewisser bestimmter folgen müsse, der sich von jenem auf eine Art, die sich angeben läßt, unterscheidet, da hat man ja gar keine Veranlassung mehr, das Gesetz der Stetigkeit anzunehmen. Und blos um dieses Gesetzes willen, das doch nur aus Erscheinungen abstrahirt ist, und in der wirklichen Welt vielleicht gar nicht statt hat, kan man doch nicht alle dergleichen Fälle für unmöglich erklären. Beym Stoße harter Körper lehrt die Natur der Sache, daß Nichts übrig bleibt, wenn im Augenblicke der Berührung gleiche entgegengesetzte Bewegungen einander aufheben. Die Ruhe, die nun erfolgt, ist eine nothwendige Folge davon, daß von einer Bewegung Nichts zurück bleibt, wenn so viel von ihr weggenommen wird, als ihr gleich ist. Hier ist klar, daß kein anderer, als der bestimmte Zustand der Ruhe, folgen kan. Wie aber Ruhe plötzlich auf Bewegung folgen könne, ist um nichts unbegreiflicher, als wie geringere Geschwindigkeit auf größere folgt. Eine unendliche Reihe mittlerer Zustände kan an sich keine Verwandlung begreiflicher machen, als sie ohnehin schon ist, wenn sich eine zureichende Ursache derselben findet; denn unendlich kleine Stufen bleiben doch immer auch Stufen, wie Herr von Maupertuis (Mem. de Berlin 1746. p. 284.) richtig erinnert.

Das Gesetz der Stetigkeit gehört also zu den Kleidern der Dinge, an die wir uns wohl da halten können und müssen, wo uns die Wirklichkeit undurchdringlich damit umhüllt erscheint; die wir aber nicht für Wirklichkeit selbst halten, und noch weniger solchen Dingen umhängen dürfen, an denen wir sie nicht sehen.


Naturforſcher ſelbſt in dieſen Faͤllen nicht vergeſſen, daß die angenommene Stetigkeit, wie alles, was die Sinne zeigen, nur Phaͤnomen iſt. Er wird alſo nicht laͤugnen, daß in der Wirklichkeit die Schwere gar wohl durch Stoͤße bewirkt werden koͤnnte u. ſ. w.

Wo nun vollends aus der Natur der Sache erhellet, daß dem jetzigen Zuſtande nicht jeder andere nach Gefallen nachfolgen koͤnne, ſondern daß ſogleich ein gewiſſer beſtimmter folgen muͤſſe, der ſich von jenem auf eine Art, die ſich angeben laͤßt, unterſcheidet, da hat man ja gar keine Veranlaſſung mehr, das Geſetz der Stetigkeit anzunehmen. Und blos um dieſes Geſetzes willen, das doch nur aus Erſcheinungen abſtrahirt iſt, und in der wirklichen Welt vielleicht gar nicht ſtatt hat, kan man doch nicht alle dergleichen Faͤlle fuͤr unmoͤglich erklaͤren. Beym Stoße harter Koͤrper lehrt die Natur der Sache, daß Nichts uͤbrig bleibt, wenn im Augenblicke der Beruͤhrung gleiche entgegengeſetzte Bewegungen einander aufheben. Die Ruhe, die nun erfolgt, iſt eine nothwendige Folge davon, daß von einer Bewegung Nichts zuruͤck bleibt, wenn ſo viel von ihr weggenommen wird, als ihr gleich iſt. Hier iſt klar, daß kein anderer, als der beſtimmte Zuſtand der Ruhe, folgen kan. Wie aber Ruhe ploͤtzlich auf Bewegung folgen koͤnne, iſt um nichts unbegreiflicher, als wie geringere Geſchwindigkeit auf groͤßere folgt. Eine unendliche Reihe mittlerer Zuſtaͤnde kan an ſich keine Verwandlung begreiflicher machen, als ſie ohnehin ſchon iſt, wenn ſich eine zureichende Urſache derſelben findet; denn unendlich kleine Stufen bleiben doch immer auch Stufen, wie Herr von Maupertuis (Mém. de Berlin 1746. p. 284.) richtig erinnert.

Das Geſetz der Stetigkeit gehoͤrt alſo zu den Kleidern der Dinge, an die wir uns wohl da halten koͤnnen und muͤſſen, wo uns die Wirklichkeit undurchdringlich damit umhuͤllt erſcheint; die wir aber nicht fuͤr Wirklichkeit ſelbſt halten, und noch weniger ſolchen Dingen umhaͤngen duͤrfen, an denen wir ſie nicht ſehen.

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[212/0222] Naturforſcher ſelbſt in dieſen Faͤllen nicht vergeſſen, daß die angenommene Stetigkeit, wie alles, was die Sinne zeigen, nur Phaͤnomen iſt. Er wird alſo nicht laͤugnen, daß in der Wirklichkeit die Schwere gar wohl durch Stoͤße bewirkt werden koͤnnte u. ſ. w. Wo nun vollends aus der Natur der Sache erhellet, daß dem jetzigen Zuſtande nicht jeder andere nach Gefallen nachfolgen koͤnne, ſondern daß ſogleich ein gewiſſer beſtimmter folgen muͤſſe, der ſich von jenem auf eine Art, die ſich angeben laͤßt, unterſcheidet, da hat man ja gar keine Veranlaſſung mehr, das Geſetz der Stetigkeit anzunehmen. Und blos um dieſes Geſetzes willen, das doch nur aus Erſcheinungen abſtrahirt iſt, und in der wirklichen Welt vielleicht gar nicht ſtatt hat, kan man doch nicht alle dergleichen Faͤlle fuͤr unmoͤglich erklaͤren. Beym Stoße harter Koͤrper lehrt die Natur der Sache, daß Nichts uͤbrig bleibt, wenn im Augenblicke der Beruͤhrung gleiche entgegengeſetzte Bewegungen einander aufheben. Die Ruhe, die nun erfolgt, iſt eine nothwendige Folge davon, daß von einer Bewegung Nichts zuruͤck bleibt, wenn ſo viel von ihr weggenommen wird, als ihr gleich iſt. Hier iſt klar, daß kein anderer, als der beſtimmte Zuſtand der Ruhe, folgen kan. Wie aber Ruhe ploͤtzlich auf Bewegung folgen koͤnne, iſt um nichts unbegreiflicher, als wie geringere Geſchwindigkeit auf groͤßere folgt. Eine unendliche Reihe mittlerer Zuſtaͤnde kan an ſich keine Verwandlung begreiflicher machen, als ſie ohnehin ſchon iſt, wenn ſich eine zureichende Urſache derſelben findet; denn unendlich kleine Stufen bleiben doch immer auch Stufen, wie Herr von Maupertuis (Mém. de Berlin 1746. p. 284.) richtig erinnert. Das Geſetz der Stetigkeit gehoͤrt alſo zu den Kleidern der Dinge, an die wir uns wohl da halten koͤnnen und muͤſſen, wo uns die Wirklichkeit undurchdringlich damit umhuͤllt erſcheint; die wir aber nicht fuͤr Wirklichkeit ſelbſt halten, und noch weniger ſolchen Dingen umhaͤngen duͤrfen, an denen wir ſie nicht ſehen.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/222>, abgerufen am 22.11.2024.