Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Da wir durch einen bekannten Gesichtsbetrug alle Winkel nach dem Horizonte hin größer schätzen, als gleiche höher gesehene, s. Himmel, so halten wir den Regenbogen unten für breiter, als oben. Aus eben dem Grunde kan der Bogen eine elliptische Gestalt erhalten; er kan auch schief zu liegen scheinen, wenn die Tropfen verschiedene Entfernungen vom Auge haben, und der Zuschauer durch irgend einen Umstand Anlaß bekömmt, diese Verschiedenheit zu bemerken.

Zu Bestärkung der Theorie des Regenbogens dient folgender leichte Versuch. Eine hohle mit Wasser gefüllte Glaskugel wird an einer Schnur aufgehangen, die man über eine Rolle zieht, um die Kugel weiter herauf- oder herablassen zu können. Wird diese Kugel von der Sonne beschienen, und das Auge so gestellt, daß die Gesichtslinie mit den Sonnenstralen einen Winkel von 42° macht, so sieht man an der untern oder von der Sonne abgewendeten Seite der Kugel ein sehr lebhaftes Roth; läßt man die Kugel weiter herab, so daß der Winkel mit den Sonnenstralen ein Paar Grade kleiner wird, so erscheinen statt der rothen Farbe nach und nach Gelb, Grün und Blau. Zieht man die Kugel weiter auf bis zum Winkel von 51°, so erscheint Roth auf der obern oder gegen die Sonne zu gekehrten Seite, und die andern Farben folgen, wenn man durch weiteres Aufziehen der Kugel den Winkel noch um etwas vergrößert. Die Kugel verhält sich gerade so, wie die Tropfen A, B, Taf. XX. Fig. 109. Die nemlichen Wirkungen erfolgen, wenn die Kugel unbewegt bleibt und das Auge seine Stelle auf die gehörige Art ändert.

Die Theorie des Regenbogens giebt ein vortrefliches Beyspiel einer vollständigen physikalischen Erklärung aus den Naturgesetzen. So verwickelt auch die Wirkung ist, so hängt sie doch mit den Gesetzen selbst durch die schönste Reihe von nothwendigen Folgerungen zusammen. Der Regenbogen ließe sich aus den Gesetzen der Brechung, Zurückwerfung und Farbenverbreitung errathen und vorhersagen, wenn man auch nie einen gesehen hätte, wie man z. B. den dritten und vierten Bogen zur Zeit nur blos au<*>


Da wir durch einen bekannten Geſichtsbetrug alle Winkel nach dem Horizonte hin groͤßer ſchaͤtzen, als gleiche hoͤher geſehene, ſ. Himmel, ſo halten wir den Regenbogen unten fuͤr breiter, als oben. Aus eben dem Grunde kan der Bogen eine elliptiſche Geſtalt erhalten; er kan auch ſchief zu liegen ſcheinen, wenn die Tropfen verſchiedene Entfernungen vom Auge haben, und der Zuſchauer durch irgend einen Umſtand Anlaß bekoͤmmt, dieſe Verſchiedenheit zu bemerken.

Zu Beſtaͤrkung der Theorie des Regenbogens dient folgender leichte Verſuch. Eine hohle mit Waſſer gefuͤllte Glaskugel wird an einer Schnur aufgehangen, die man uͤber eine Rolle zieht, um die Kugel weiter herauf- oder herablaſſen zu koͤnnen. Wird dieſe Kugel von der Sonne beſchienen, und das Auge ſo geſtellt, daß die Geſichtslinie mit den Sonnenſtralen einen Winkel von 42° macht, ſo ſieht man an der untern oder von der Sonne abgewendeten Seite der Kugel ein ſehr lebhaftes Roth; laͤßt man die Kugel weiter herab, ſo daß der Winkel mit den Sonnenſtralen ein Paar Grade kleiner wird, ſo erſcheinen ſtatt der rothen Farbe nach und nach Gelb, Gruͤn und Blau. Zieht man die Kugel weiter auf bis zum Winkel von 51°, ſo erſcheint Roth auf der obern oder gegen die Sonne zu gekehrten Seite, und die andern Farben folgen, wenn man durch weiteres Aufziehen der Kugel den Winkel noch um etwas vergroͤßert. Die Kugel verhaͤlt ſich gerade ſo, wie die Tropfen A, B, Taf. XX. Fig. 109. Die nemlichen Wirkungen erfolgen, wenn die Kugel unbewegt bleibt und das Auge ſeine Stelle auf die gehoͤrige Art aͤndert.

Die Theorie des Regenbogens giebt ein vortrefliches Beyſpiel einer vollſtaͤndigen phyſikaliſchen Erklaͤrung aus den Naturgeſetzen. So verwickelt auch die Wirkung iſt, ſo haͤngt ſie doch mit den Geſetzen ſelbſt durch die ſchoͤnſte Reihe von nothwendigen Folgerungen zuſammen. Der Regenbogen ließe ſich aus den Geſetzen der Brechung, Zuruͤckwerfung und Farbenverbreitung errathen und vorherſagen, wenn man auch nie einen geſehen haͤtte, wie man z. B. den dritten und vierten Bogen zur Zeit nur blos au<*>

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0680" xml:id="P.3.674" n="674"/><lb/>
            </p>
            <p>Da wir durch einen bekannten Ge&#x017F;ichtsbetrug alle Winkel nach dem Horizonte hin gro&#x0364;ßer &#x017F;cha&#x0364;tzen, als gleiche ho&#x0364;her ge&#x017F;ehene, &#x017F;. <hi rendition="#b">Himmel,</hi> &#x017F;o halten wir den Regenbogen unten fu&#x0364;r breiter, als oben. Aus eben dem Grunde kan der Bogen eine ellipti&#x017F;che Ge&#x017F;talt erhalten; er kan auch &#x017F;chief zu liegen &#x017F;cheinen, wenn die Tropfen ver&#x017F;chiedene Entfernungen vom Auge haben, und der Zu&#x017F;chauer durch irgend einen Um&#x017F;tand Anlaß beko&#x0364;mmt, die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheit zu bemerken.</p>
            <p>Zu Be&#x017F;ta&#x0364;rkung der Theorie des Regenbogens dient folgender leichte Ver&#x017F;uch. Eine hohle mit Wa&#x017F;&#x017F;er gefu&#x0364;llte Glaskugel wird an einer Schnur aufgehangen, die man u&#x0364;ber eine Rolle zieht, um die Kugel weiter herauf- oder herabla&#x017F;&#x017F;en zu ko&#x0364;nnen. Wird die&#x017F;e Kugel von der Sonne be&#x017F;chienen, und das Auge &#x017F;o ge&#x017F;tellt, daß die Ge&#x017F;ichtslinie mit den Sonnen&#x017F;tralen einen Winkel von 42° macht, &#x017F;o &#x017F;ieht man an der untern oder von der Sonne abgewendeten Seite der Kugel ein &#x017F;ehr lebhaftes Roth; la&#x0364;ßt man die Kugel weiter herab, &#x017F;o daß der Winkel mit den Sonnen&#x017F;tralen ein Paar Grade kleiner wird, &#x017F;o er&#x017F;cheinen &#x017F;tatt der rothen Farbe nach und nach Gelb, Gru&#x0364;n und Blau. Zieht man die Kugel weiter auf bis zum Winkel von 51°, &#x017F;o er&#x017F;cheint Roth auf der obern oder gegen die Sonne zu gekehrten Seite, und die andern Farben folgen, wenn man durch weiteres Aufziehen der Kugel den Winkel noch um etwas vergro&#x0364;ßert. Die Kugel verha&#x0364;lt &#x017F;ich gerade &#x017F;o, wie die Tropfen <hi rendition="#aq">A, B,</hi> Taf. <hi rendition="#aq">XX.</hi> Fig. 109. Die nemlichen Wirkungen erfolgen, wenn die Kugel unbewegt bleibt und das Auge &#x017F;eine Stelle auf die geho&#x0364;rige Art a&#x0364;ndert.</p>
            <p>Die Theorie des Regenbogens giebt ein vortrefliches Bey&#x017F;piel einer <hi rendition="#b">voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen</hi> phy&#x017F;ikali&#x017F;chen Erkla&#x0364;rung aus den Naturge&#x017F;etzen. So verwickelt auch die Wirkung i&#x017F;t, &#x017F;o ha&#x0364;ngt &#x017F;ie doch mit den Ge&#x017F;etzen &#x017F;elb&#x017F;t durch die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Reihe von nothwendigen Folgerungen zu&#x017F;ammen. Der Regenbogen ließe &#x017F;ich aus den Ge&#x017F;etzen der Brechung, Zuru&#x0364;ckwerfung und Farbenverbreitung errathen und vorher&#x017F;agen, wenn man auch nie einen ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte, wie man z. B. den dritten und vierten Bogen zur Zeit nur blos au&lt;*&gt;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[674/0680] Da wir durch einen bekannten Geſichtsbetrug alle Winkel nach dem Horizonte hin groͤßer ſchaͤtzen, als gleiche hoͤher geſehene, ſ. Himmel, ſo halten wir den Regenbogen unten fuͤr breiter, als oben. Aus eben dem Grunde kan der Bogen eine elliptiſche Geſtalt erhalten; er kan auch ſchief zu liegen ſcheinen, wenn die Tropfen verſchiedene Entfernungen vom Auge haben, und der Zuſchauer durch irgend einen Umſtand Anlaß bekoͤmmt, dieſe Verſchiedenheit zu bemerken. Zu Beſtaͤrkung der Theorie des Regenbogens dient folgender leichte Verſuch. Eine hohle mit Waſſer gefuͤllte Glaskugel wird an einer Schnur aufgehangen, die man uͤber eine Rolle zieht, um die Kugel weiter herauf- oder herablaſſen zu koͤnnen. Wird dieſe Kugel von der Sonne beſchienen, und das Auge ſo geſtellt, daß die Geſichtslinie mit den Sonnenſtralen einen Winkel von 42° macht, ſo ſieht man an der untern oder von der Sonne abgewendeten Seite der Kugel ein ſehr lebhaftes Roth; laͤßt man die Kugel weiter herab, ſo daß der Winkel mit den Sonnenſtralen ein Paar Grade kleiner wird, ſo erſcheinen ſtatt der rothen Farbe nach und nach Gelb, Gruͤn und Blau. Zieht man die Kugel weiter auf bis zum Winkel von 51°, ſo erſcheint Roth auf der obern oder gegen die Sonne zu gekehrten Seite, und die andern Farben folgen, wenn man durch weiteres Aufziehen der Kugel den Winkel noch um etwas vergroͤßert. Die Kugel verhaͤlt ſich gerade ſo, wie die Tropfen A, B, Taf. XX. Fig. 109. Die nemlichen Wirkungen erfolgen, wenn die Kugel unbewegt bleibt und das Auge ſeine Stelle auf die gehoͤrige Art aͤndert. Die Theorie des Regenbogens giebt ein vortrefliches Beyſpiel einer vollſtaͤndigen phyſikaliſchen Erklaͤrung aus den Naturgeſetzen. So verwickelt auch die Wirkung iſt, ſo haͤngt ſie doch mit den Geſetzen ſelbſt durch die ſchoͤnſte Reihe von nothwendigen Folgerungen zuſammen. Der Regenbogen ließe ſich aus den Geſetzen der Brechung, Zuruͤckwerfung und Farbenverbreitung errathen und vorherſagen, wenn man auch nie einen geſehen haͤtte, wie man z. B. den dritten und vierten Bogen zur Zeit nur blos au<*>

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/680
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/680>, abgerufen am 22.11.2024.