Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Während dieses finstern Zeitraums war in den Schulen das Ansehen des Aristoteles auf einen unglaublich hohen Grad gestiegen. Noch lange Zeit nach der Wiederherstellung der Wissenschaften im Occident herrschte diese fast abgöttische Verehrung der aristotelischen Schriften und Lehren mit unwiderstehlicher Macht. Die damalige scholastische Philosophie begrif zwar dem Namen nach die Physik, als einen wesentlichen Theil, in sich: allein diese Physik befand sich in dem traurigsten Zustande. Ohne irgend ein Naturgesetz richtig zu kennen, verlohr man sich in eine leere und nichtsbedeutende Terminologie, und glaubte die Phänomene durch Worte zu erklären, welche im Grunde entweder gar keinen Sinn hatten, oder doch höchstens nur die Phänomene selbst wieder ausdrückten. Dies war der Fall bey den Erklärungen, die aus der Abneigung gegen die Leere, aus der plastischen Kraft, und den übrigen verborgnen Qualitäten (qualitates occultae) der Scholastiker hergeleitet wurden. Die Ursache, warum der Mohn schläfrig macht, lag in der einschläfernden Qualität desselben. Solche Erklärungen lassen sich freylich von allen Dingen geben. Aber man hielt dies dennoch für wahre Weisheit, und fand ein Verbrechen darinn, von den Aussprüchen und Terminologien des Aristoteles, oder vielmehr von den eingeführten Auslegungen und Anwendungen derselben abzugehen. Der Erste, der aus dem Nebel dieser finstern Schulphilosophie den Weg zu einer deutlichen, sichern und brauchbaren Kenntniß der Natur zeigte, war der englische Lord Kanzler Bacon von Verulam (+ 1626), dessen Werke verschiedenemale gesammelt worden sind (Frant. Baconis de Verulamio Scripta in naturali et universa philosophia. Amstel. 1653. 12. edit. Sim. Jo. Arnoldi. Lips. 1694. sol. The philosophical works of Francis Bacon methodized
Waͤhrend dieſes finſtern Zeitraums war in den Schulen das Anſehen des Ariſtoteles auf einen unglaublich hohen Grad geſtiegen. Noch lange Zeit nach der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften im Occident herrſchte dieſe faſt abgoͤttiſche Verehrung der ariſtoteliſchen Schriften und Lehren mit unwiderſtehlicher Macht. Die damalige ſcholaſtiſche Philoſophie begrif zwar dem Namen nach die Phyſik, als einen weſentlichen Theil, in ſich: allein dieſe Phyſik befand ſich in dem traurigſten Zuſtande. Ohne irgend ein Naturgeſetz richtig zu kennen, verlohr man ſich in eine leere und nichtsbedeutende Terminologie, und glaubte die Phaͤnomene durch Worte zu erklaͤren, welche im Grunde entweder gar keinen Sinn hatten, oder doch hoͤchſtens nur die Phaͤnomene ſelbſt wieder ausdruͤckten. Dies war der Fall bey den Erklaͤrungen, die aus der Abneigung gegen die Leere, aus der plaſtiſchen Kraft, und den uͤbrigen verborgnen Qualitaͤten (qualitates occultae) der Scholaſtiker hergeleitet wurden. Die Urſache, warum der Mohn ſchlaͤfrig macht, lag in der einſchlaͤfernden Qualitaͤt deſſelben. Solche Erklaͤrungen laſſen ſich freylich von allen Dingen geben. Aber man hielt dies dennoch fuͤr wahre Weisheit, und fand ein Verbrechen darinn, von den Ausſpruͤchen und Terminologien des Ariſtoteles, oder vielmehr von den eingefuͤhrten Auslegungen und Anwendungen derſelben abzugehen. Der Erſte, der aus dem Nebel dieſer finſtern Schulphiloſophie den Weg zu einer deutlichen, ſichern und brauchbaren Kenntniß der Natur zeigte, war der engliſche Lord Kanzler Bacon von Verulam († 1626), deſſen Werke verſchiedenemale geſammelt worden ſind (Frant. Baconis de Verulamio Scripta in naturali et univerſa philoſophia. Amſtel. 1653. 12. edit. Sim. Jo. Arnoldi. Lipſ. 1694. ſol. The philoſophical works of Francis Bacon methodized <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0505" xml:id="P.3.499" n="499"/><lb/> z. B. der Magnetnadel, der Brillen, gemacht worden, ob man gleich in einer ſo tiefen Unwiſſenheit uͤber die Wirkungen der Koͤrper lebte, daß <hi rendition="#b">Roger Bacon</hi> und Andere, wegen ihrer gruͤndlichern Kenntniß der Naturlehre fuͤr Zauberer gehalten wurden.</p> <p>Waͤhrend dieſes finſtern Zeitraums war in den Schulen das Anſehen des Ariſtoteles auf einen unglaublich hohen Grad geſtiegen. Noch lange Zeit nach der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften im Occident herrſchte dieſe faſt abgoͤttiſche Verehrung der ariſtoteliſchen Schriften und Lehren mit unwiderſtehlicher Macht. Die damalige ſcholaſtiſche <hi rendition="#b">Philoſophie</hi> begrif zwar dem Namen nach die Phyſik, als einen weſentlichen Theil, in ſich: allein dieſe Phyſik befand ſich in dem traurigſten Zuſtande. Ohne irgend ein Naturgeſetz richtig zu kennen, verlohr man ſich in eine leere und nichtsbedeutende Terminologie, und glaubte die Phaͤnomene durch Worte zu erklaͤren, welche im Grunde entweder gar keinen Sinn hatten, oder doch hoͤchſtens nur die Phaͤnomene ſelbſt wieder ausdruͤckten. Dies war der Fall bey den Erklaͤrungen, die aus der Abneigung gegen die Leere, aus der plaſtiſchen Kraft, und den uͤbrigen <hi rendition="#b">verborgnen Qualitaͤten</hi> <hi rendition="#aq">(qualitates occultae)</hi> der Scholaſtiker hergeleitet wurden. Die Urſache, warum der Mohn ſchlaͤfrig macht, lag in der einſchlaͤfernden Qualitaͤt deſſelben. Solche Erklaͤrungen laſſen ſich freylich von allen Dingen geben. Aber man hielt dies dennoch fuͤr wahre Weisheit, und fand ein Verbrechen darinn, von den Ausſpruͤchen und Terminologien des Ariſtoteles, oder vielmehr von den eingefuͤhrten Auslegungen und Anwendungen derſelben abzugehen.</p> <p>Der Erſte, der aus dem Nebel dieſer finſtern Schulphiloſophie den Weg zu einer deutlichen, ſichern und brauchbaren Kenntniß der Natur zeigte, war der engliſche Lord Kanzler <hi rendition="#b">Bacon von Verulam</hi> († 1626), deſſen Werke verſchiedenemale geſammelt worden ſind <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">(Frant. Baconis de Verulamio</hi> Scripta in naturali et univerſa philoſophia. Amſtel. 1653. 12. edit. <hi rendition="#i">Sim. Jo. Arnoldi.</hi> Lipſ. 1694. ſol. The philoſophical works of <hi rendition="#i">Francis Bacon</hi> methodized<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [499/0505]
z. B. der Magnetnadel, der Brillen, gemacht worden, ob man gleich in einer ſo tiefen Unwiſſenheit uͤber die Wirkungen der Koͤrper lebte, daß Roger Bacon und Andere, wegen ihrer gruͤndlichern Kenntniß der Naturlehre fuͤr Zauberer gehalten wurden.
Waͤhrend dieſes finſtern Zeitraums war in den Schulen das Anſehen des Ariſtoteles auf einen unglaublich hohen Grad geſtiegen. Noch lange Zeit nach der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften im Occident herrſchte dieſe faſt abgoͤttiſche Verehrung der ariſtoteliſchen Schriften und Lehren mit unwiderſtehlicher Macht. Die damalige ſcholaſtiſche Philoſophie begrif zwar dem Namen nach die Phyſik, als einen weſentlichen Theil, in ſich: allein dieſe Phyſik befand ſich in dem traurigſten Zuſtande. Ohne irgend ein Naturgeſetz richtig zu kennen, verlohr man ſich in eine leere und nichtsbedeutende Terminologie, und glaubte die Phaͤnomene durch Worte zu erklaͤren, welche im Grunde entweder gar keinen Sinn hatten, oder doch hoͤchſtens nur die Phaͤnomene ſelbſt wieder ausdruͤckten. Dies war der Fall bey den Erklaͤrungen, die aus der Abneigung gegen die Leere, aus der plaſtiſchen Kraft, und den uͤbrigen verborgnen Qualitaͤten (qualitates occultae) der Scholaſtiker hergeleitet wurden. Die Urſache, warum der Mohn ſchlaͤfrig macht, lag in der einſchlaͤfernden Qualitaͤt deſſelben. Solche Erklaͤrungen laſſen ſich freylich von allen Dingen geben. Aber man hielt dies dennoch fuͤr wahre Weisheit, und fand ein Verbrechen darinn, von den Ausſpruͤchen und Terminologien des Ariſtoteles, oder vielmehr von den eingefuͤhrten Auslegungen und Anwendungen derſelben abzugehen.
Der Erſte, der aus dem Nebel dieſer finſtern Schulphiloſophie den Weg zu einer deutlichen, ſichern und brauchbaren Kenntniß der Natur zeigte, war der engliſche Lord Kanzler Bacon von Verulam († 1626), deſſen Werke verſchiedenemale geſammelt worden ſind (Frant. Baconis de Verulamio Scripta in naturali et univerſa philoſophia. Amſtel. 1653. 12. edit. Sim. Jo. Arnoldi. Lipſ. 1694. ſol. The philoſophical works of Francis Bacon methodized
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